242. Der Goldzahn.

[267] (S. Misander, Deliciae Bd. II. S. 133 etc.)


Ein Zimmermann und Müller, Namens Hans Müller, wohnhaft in Weigelsdorf, einem Flecken in Schlesien, hatte sich verheirathet mit einer gewissen Hedwig von Endersdorf, unfern von Breslau gelegen. Diese beiden Leute lebten in friedlicher Ehe, wohl vergnügt in ihrem geringen Stande. Sie erzeugten einen Sohn, welcher geboren ward den 27. des Christmonats 1585 und in der h. Taufe den Namen Christoph empfing; er ist von seinen Eltern mit großer Aufsicht erzogen und in die Schule gesendet worden, allwo er mit andern Bauerkindern sich unterrichten ließ und wohl gelernt hat. In der Schule nahm aber ein Kind wahr, daß Christophs Zahn auf der Seite glänzte wie Gold und als es solches den andern Kindern sagte, wollten sie alle den Zahn sehen, und erschallte hiervon ein großes Geschrei, welches auch den Herzögen zu Liegnitz, Brieg und Münsterberg zu Ohren[267] gekommen ist, wie auch dem Bischof zu Neisse, welcher diesen Knaben vor sich kommen und den Zahn von den Wundärzten besichtigen ließ. Doctor Horst, welcher solches beschreibt, meldet, daß er selbst den Knaben gesehen und den güldenen Zahn berühret, da er ihn denn fest und unbeweglich gefunden und daß der Knabe einen sonst dickeren Kinnbacken hatte, als sonst andere. In dem achten Jahre hatte er alle Zähne, ausgenommen den nächsten Backzahn vor dem güldenen, deswegen auch solcher viel leichter zu sehen und zu betasten war. Er pflegte darauf zu essen wie mit den andern Zähnen, und wurde der Zahn mit dem Probirsteine gestrichen und gutes Gold, das dem Ungarischen gleich war, befunden. Dieser Knabe ist schön von Angesicht gewesen, warmer und trockener Natur, zu seinem Alter verständig und vom Leibe wohlgestaltet. Wie aber das Gold in seinen Mund gekommen, kann kein Mensch ersinnen, und ist allein göttlicher Allmacht beizumessen. Etliche haben gemeint, daß vielleicht in der ersten Kindheit, als die Zähne noch gemangelt oder als ihm ein Zahn ausgefallen, man ihm von Gold einen neuen eingesetzt, welcher in das Zahnfleisch vertheilet, fest geworden ist und also gedient gleich einem andern, dermaßen man auch sonst Zähne von Elfenbein wieder einsetzen kann. Daß aber dieses nicht sein könne, ist aus vielen Ursachen abzunehmen. Weil nämlich der Zahn nicht vorne, sondern zum Ende des Zahnfleisches gestanden hat, da man mit keinem Werkzeug angreifen können, und das Kind würde übrigens den Zahn, wenn dem also, nicht unbewegt in dem Munde geduldet haben, daß er hätte fest in das Zahnfleisch einwachsen können.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 267-268.
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