251. Der vom Gespenst Angerührte.

[274] (S. Remigius Th. II. S. 399.)


Ein Schlesischer Edelmann lebte ganz unordentlich und liebte über die Maßen volle Becher, den meisten Theil des Jahres pflegte er des Tages über zu schlafen, dagegen die ganze Nacht über mit Fressen und Saufen zuzubringen. Dadurch aber ward das Uhrwerk seiner Gesundheit sehr verstellt, welches die böse Farbe seines Angesichts genugsam zu erkennen gab. Einmal in der Nacht ist er mit dem bloßen Degen auf der Straße herumgelaufen wie ein Wüthender, hat jeden, der ihm begegnet, angefallen und endlich gar einen todt nieder zur Erde gestoßen. Nachgehens bemühte er sich aber, alle Bekümmerniß wegen des vergossenen Menschenblutes in Traubenblut abzuspühlen. Etliche Jahre nach diesem begangenen Todtschlag, da er in seinem üppigen Leben also fortfuhr, begab es sich Anno 1624 um Mitternacht, daß er ein großes Gerassel von Wagen und Pferden hörte. Es schien, als wenn die Thüren seines Nachbarhauses geöffnet würden. Deshalb bildete er sich ein, daß etliche Gäste, seine Saufbrüder, zu ihm kämen, wie sie denn sonst vielmals zu thun pflegten. Er stand deshalb von seinem Bette auf und sah zum Fenster hinaus, meinte auch nicht anders, als es käme ein Gast zu ihm nach eben diesem Fenster geritten, sitzend auf einem sehr langen hohen Pferde und er selbst wäre nicht kleiner als sein Pferd. Sobald dieser Fremde auf ihn los kam, ward er von demselben mit der Hand angerührt. In demselben Augenblick aber lief ein Schauer über seinen ganzen Leib von dem plötzlichen Schrecken. Da er nun des Morgens aufstand, sah er, daß ihm der Kopf übermäßig aufgeschwollen war. Sein Hausgesinde ward es ebenfalls mit größter Verwunderung gewahr. Man schickte nach dem Bader im nächsten Dorfe, der ihm ein schmerzstillendes Pflaster[274] auflegte, allein gar bald drang durch die Ohren, durch die Nase, durch zwei in der linken Wange aufgebrochene Löcher, ja aus der Kehle und der Zunge eine Menge fauliger Eiter heraus. Man holte endlich den Fürstlich Liegnitzischen Leibmedicus Dr. Daniel Wicklern, der diesen Edelmann sehr schwach fand und endlich gewahr ward, daß diese böse Materie nicht in dem untern, sondern dem obern Backen einen Ausfluß halte, die Mäuslein waren weiß und gleichsam gesotten, die Haut war ganz vom Leibe abgesondert, so daß er wenig Hoffnung zur Genesung hatte, wie denn auch der Eiter in der folgenden Nacht in großer Menge ihm auf die Luftröhre fiel und er plötzlich daran erstickte.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 274-275.
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