1284. Hexen in Nordfriesland.

[1050] (S. Jahrb. f. Schleswig-Holstein Bd. IX. S. 131.)


Als einst eine böse Seuche zu Pastor Tycho Fröddens Zeit auf Amrum grassirte und die Insel fast entvölkert hatte, war das Wehklagen der im Herbste von ihren Seefahrten heimkehrenden Männer und Jünglinge groß, weil sie fast alle ihre Frauen und Bräute verloren hatten. Sie wußten sich indeß zu trösten und holten sich Frauen und suchten Bräute auf Sylt, Föhr und den Halligen. Die wenigen am Leben gebliebenen Frauen und Bräute waren aber übel daran, indem man sie der Hexerei beschuldigte und glaubte, daß sie nur durch Teufelskünste dem Tode entronnen wären. Die dem Tode entronnenen Bräute wurden sämmtlich alte Jungfern, die als Hexen berüchtigten Frauen aber hielten ihre Männer fest und gestatteten nicht, daß sie mit den andern auf die Freite gingen. Diese Frauen aber und ihre Kindeskinder, ja die Enkel und Urenkel behielten »at iaragh Wurd (das böse Wort)«, waren der Zauberei verdächtig und deren Töchter wurden fast nur von Wittwern und Nichtfriesen geheirathet.

Der Glaube an Zauberei erhielt sich auf den nordfriesischen Inseln bis an das Ende des vorigen Jahrhunderts in seiner alten Stärke. Als einmal ein Mann auf Amrum seine Braut zur Trauung in die Kirche führte, da sagte er auf dem Kirchhofe laut und vernehmlich zu ihr: »Bist Du eine Traal (Hexe), so sage es, noch ist der Knoten nicht geschürzt!« Worauf diese zur Antwort gab: »Ich bin keine, Du kannst die Hebamme fragen, ob ich vor der Taufe auf Fork und Faden getanzt habe!« Man glaubte nämlich, daß jedes Mädchen, welches eine Traal werden sollte, vor der Taufe und zwar gleich nach der Geburt über einem seidenen zwischen den Zinken einer Heugabel ausgespannten Faden hin- und hergeschwenkt werden und so den Traaltanz lernen müsse.

Die Hexen verwandelten sich häufig in Thiere und erschienen bald als blanke Hunde, bald als Katzen und als Mäuse. Von den Hexen zu Dunsum auf Westerlandföhr wird erzählt, daß sie als witis korteltukkat Faamnan (weißbeschürzte Mädchen) Luftreisen machten und untreue Liebhaber auf jede Weise beängstigten.

Ein junger Seemann auf Röm hatte zwei Tanzbräute, eine auf dem Norder- und eine auf dem Süderlande. Er war lange unschlüssig, welche die eigentliche »Festemöe« sein solle, entschloß sich aber endlich, der auf dem Süderlande die Ehe zu geloben, machte sich also Abends auf, sein Vorhaben auszuführen. Er kam glücklich an »ä Borre« (Ruinen einer alten Schanze) vorbei und auf die Heide; da war er auf einmal von Mäusen umringt, die sich auf die Hinterbeine stellten und schaarenweise um ihn herumtanzten und quiekten. Wohl raffte er Gras auf und warf die Mäuse damit, allein sie fragten nichts darnach und verließen ihn erst, als er das Haus seines Mädchens erreicht hatte. Später erfuhr er von klugen Leuten, daß die Tanzbraut auf dem Norderlande eine Hexe sein und die Mäuse hervorgezaubert haben müsse, um den untreuen Liebhaber zu necken.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 1050.
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