1326. Die Pferdejungen.

[1068] (S. Jahrb. Bd. X. S. 44 etc.)


Bis vor ohngefähr 60 Jahren nannte man in den Herzogthümern junge Leute von 14-20 Jahren »Jungens«. Zur Zeit der Leibeigenschaft hießen sie Pferdejungen, weil ihnen das Geschäft oblag, des Nachts über die Pferde zu hüten. Dieselben wurden zu 4-6 einer an des andern Schwanz gebunden, von dem Pferdejungen, welcher mit einer langen Peitsche bewaffnet war, auf dem vordersten Pferde saß oder lag, am Abend nach beschaffter Arbeit in die Gräben zwischen das Korn geführt, um das an denselben wachsende kräftige Gras abzuweiden. Kam aber erst der Herbst herbei, und war alles Korn eingeheimst, so ließ der Junge seinen Pferden volle Freiheit und sah, auf einem derselben sitzend, nur darauf, daß keins sich von der Heerde verlor. Jeder Bauer hatte nämlich damals 18-20, ja mit den Füllen wohl gar 24 Pferde. Es war aber damals üblich, mit vier Pferden den Pflug zu bespannen, wozu die schlechten selbstverfertigten Pflüge und die uncultivirten Aecker sie zwangen. Außer seinem Acker mußte aber der Bauer auch noch den Acker seines Gutsherrn pflügen und für denselben Fuhren aller Art leisten, weil auf dem Hofe keine Ackerpferde gehalten wurden. Wurde zur Herbstzeit den Bauern das Gras für die Pferde knapp, so trieb der Pferdejunge mit seiner kleinen Heerde auf die Feldmark eines Andern, ja es vereinigten sich zu einem solchen Zuge nicht selten alle Pferdejungen einer ganzen Dorfschaft, die dann mit 100-150 Pferden auf eine mitunter mehrere Meilen entfernt liegende grasreiche Weide eines fremden Gutes ritten, wo sie des Nachts hüteten und mit der Morgendämmerung verschwanden. Ward ein solcher Raubzug entdeckt, so machten die Feldeigenthümer Jagd darauf, fingen jedoch selten welche ein, weil die Pferdejungen, sobald etwas Verdächtiges sich zeigte, durch das Knallen ihrer Peitschen die darauf eingeschulten Pferde zusammenriefen; mit den Leitpferden, auf denen sie saßen, in vollem Laufe davonjagend, folgten alle andern mit donnerähnlichem Getöse hinterher, wenn's sein mußte über Knick und Graben. Niemand konnte sich einer solchen Heerde ohne Gefahr nähern, vielweniger ihren Lauf hemmen. Bei solchen Zügen wurden dann auch Gärten und Aepfelbäume geplündert und anderweitiger Unfug getrieben, weshalb man die Pferdejungen böse Buben nannte, ja so weit ging, jeden bösen Buben einen Pferdejungen zu schelten.

Weil es nun so schlimm um den Ruf der Pferdejungen stand, so fiel es dem Teufel ein, dieselben als sein Eigenthum in Anspruch zu nehmen, und wie er eines Tages dem lieben Gott auf Erden begegnete, so sprach er zu demselben: »Die Pferdejungen machen es immer toller, so daß ich sie dieser Tage zur Hölle zu holen gedenke.« Der liebe Gott antwortete ihm:[1068] »Das kannst Du noch nicht, denn die Bauern können sie noch nicht entbehren, wer sollte denn ihre Pferde im Herbste hüten?« – »Gut«, sagte der Teufel, »so warte ich noch; aber wann kann ich sie denn holen?« – »Wenn alles Laub abgefallen ist«, sprach Gott, womit denn auch der Teufel zufrieden war. Wie nun die Zeit herankam, daß alles Laub abfiel, da dauerte es den lieben Gott, so viele junge rüstige Buben, welche wohl manchen muthwilligen, aber doch selten einen bösen Streich gemacht, zur Hölle fahren zu sehen. So befahl er den jungen Buchen, sie sollten ihr altes Laub nicht früher abwerfen, bis im nächsten Frühling das junge grüne Laub dazwischen wieder hervorsprieße. Solches geschah und geschieht noch alle Jahre. Als nun das Laub von den Bäumen gefallen, kam der Teufel, um die Pferdejungen zu holen. Da zeigte der liebe Gott ihm aber das Laub auf den jungen Buchen und er mußte voll Aerger zur Hölle fahren. Ja der liebe Gott ging in seiner Barmherzigkeit so weit, weil es ihn um die armen Menschen dauerte, welche bei jeder Witterung im rauhen Herbste ihren Schlaf auf dem Rücken eines Pferdes halten mußten und in dunkler Nacht nicht einmal ihr eigenes Selbst sehen konnten, daß er dem Monde befahl, nach Michaelis 14 Tage stets um dieselbe Stunde aufzugehen und den Pferdejungen den ganzen Abend und die Nacht zu leuchten. Weil nun dieses dem Monde sehr unangenehm war, da er am Abend gern im Wirthshause saß, so knappte derselbe jeden Abend ein wenig mehr ab, wagte aber doch nicht, ganz weg zu bleiben, um den lieben Gott nicht zu erzürnen. Man sagt daher noch heutigen Tages: »Der Michaelismann geht zu Bier« und nennt ihn noch den Pferdemond, obgleich man keine Pferdejungen mehr hat und in einigen Jahrzehnten selbst nicht mehr ahnen wird, woher der Name entstanden ist.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 1068-1069.
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