1329. Der Geldsot.

[1071] (S. Bechstein, Deutsches Sagenbuch S. 154.)


In Süddithmarschen bei Marne rinnt eine helle Quelle über die Marsch hin, die blinkt wie Silber. Nahe dabei hat ein Dorf gestanden, das verheerte erst der Moskowiter Krieg, nachher kam die Seuche und da starb es ganz aus, bis auf einen einzigen Mann, das war der Hirte und der erbte nun alles Geld und Gut, das die Verstorbenen hatten zurücklassen müssen, doch half es ihm auch weiter nichts, denn er verließ den Ort nicht. Er hatte aber eine Lust daran, alles zusammenzutragen und versenkte dann alles hinab in den Quellbrunnen, und dann starb er und hinterließ keine Erben. Es mochte aber doch im Vorbeireisen einer gesehen haben, was der Hirte gethan hatte, denn die Sache kam unter die Leute und der Brunnen wurde der Geldsot geheißen. Wenn einer mit einem Stocke in den Quell hineinstieß, klang es hohl und man konnte bisweilen in der Tiefe den kleinen grauen Mann sehen, wie er, einen schwarzen Hut auf dem Kopfe und ein brennendes Licht in der Hand, nachsieht, ob der Schatz noch ganz vorhanden ist. Wollte einer versuchen und hinabgreifen, so war der Hirte verschwunden. Einstmals haben sich ihrer drei verbunden, den Schatz zu heben und haben die Quelle weit aufgegraben und da sind sie auf einen großen Braukessel gestoßen, den konnten sie nicht herausheben, da legten sie einen Windebaum quer über das Loch und banden Stricke an die Oehre und begannen den Kessel in die Höhe zu winden, das thaten sie aber ganz stillschweigend, weil man beim Schatzheben ja nicht reden darf. Mit einem Male hörten sie Räder rollen und Achsen krächzen, und da fuhr ein Fuder Heu vorbei, das zogen sechs weiße Mäuse. Aber keiner von den Dreien verlor ein Wort, noch einen Laut, und der Kessel rückte schon merklich höher. Da kam der Mann mit dem dreieckigen Hute auf einem Schimmel geritten, der nur drei Beine hatte. »Guten Abend«, sagte der Alte, aber die Drei waren klug und antworteten nicht. »Könnt' ich wohl das Heufuder einholen?« fragte der Mann weiter, und da fuhr's dem einen heraus: »Der Teufel, wirst Du's einholen, Du lahmer Krüppel auf Deinem lebendigen Dreibein?« O weh, da brach die Winde und der Kessel versank, und nimmermehr, so viele ihrer es auch später versucht haben, hat einer vermocht ihn zu heben.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 1071.
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