512. Der Ursprung der Stadt Thorn.

[533] (S. Abr. Hosmann, Histor. Bericht vom Ursprung, Anfang und Herkommen des wunderschönen und herrlichen heidnischen Tempels und Abbildung der Göttin Veneris, welchen der edle Römer .... Thorendus .... in Thorn in Preußen hat A. 725 bauen lassen. Budissin 1616 in 4°. Preuß. Todestempel Bd. I. S. 42 etc. Temme S. 37. Hartknoch S. 365 etc.)


Obgleich die allgemeine Annahme ist, daß die Stadt Thorn erst von den Kreuzrittern erbaut worden ist, so giebt es doch noch eine andere Sage, welche ihre Entstehung weit höher, bis zum Jahre 725 hinaufrückt. Es soll nämlich ein edler und mächtiger römischer Feldherr, Namens Thorendus, einst die Preußen geschlagen und unter die Botmäßigkeit seines Vaterlandes gebracht haben. Er erbaute hier eine Stadt, die er nach seinem Namen Thorn nannte, und wo er seiner Abgöttin Venus, die er Barthenia (doch wohl Parthenia vom gr. παρϑενος) nannte, einen kostbaren Tempel erbaute, der über fünfhundert Jahre stehen geblieben ist. In diesem stand ihr Bild als eine holdselige Jungfrau mit schneeweißem Körper und bis zu den Knieen herabreichenden zurückgeschlagenen Haaren, einen mit rothen Rosen umwundenen Myrthenkranz auf dem Haupte, in ihrem Munde eine geschlossene Rose. Von ihrem Herzen, das, da die Seite offen war, deutlich gesehen werden konnte, gingen Flammenstrahlen aus, in der linken Hand hielt sie eine Weltkugel und in der rechten drei goldene Aepfel. Sie stand auf einem goldenen Wagen, den zwei weiße Tauben und zwei Schwäne zogen, neben ihr aber drei mit den Armen in einander geschränkte Jungfrauen, deren jede den andern zwei einen goldenen Apfel reichte.

Nach einer andern Sage hat aber die Stadt Thorn den Namen von dem nordischen Heidengott Thor, der dort unter einer Eiche, um welche eine Veste gebaut war, verehrt ward. Der deutsche Orden eroberte diese und behielt den Namen bei, allein das jetzige Thorn ist nicht das alte, welches der Hochmeister Hermann von Balke im Jahre 1231 an jener Stelle erbauen ließ, denn da dieses alljährlich überschwemmt ward, so wurde eine zweite Stadt unter diesem Namen eine Meile weiter erbaut. Die Trümmer des alten Thorn liegen heute noch in der Erde, und man glaubt, daß es dort umgeht. Eine dritte Erklärung ist die, daß ein alter Mann bei Erbauung dieser ältern rechts an der Weichsel gelegenen Stadt den Ordensbrüdern ihre Thorheit vorgerückt habe, weil sie so niedrig an einem so starken Flusse die Stadt zu bauen angefangen hätten und also der Name Thorn von Thor(heit) abzuleiten sei. Andere meinen, die Stadt habe ihren Namen von dem schönen Thurme, so dazumal in Alt-Thorn an der Johanniskirche gebauet gewesen, bekommen, weswegen die Stadt lateinisch auch Turrea (bei Alb. Crantz, Vandalia VI. 7) übersetzt worden. Endlich sagt man auch, die Ordensbrüder[533] hätten bei der Eroberung einer preußischen Veste die Ihrigen mit den Worten »Thor an« aufgemuntert, daß sie frisch Thor an laufen sollten, gerade wie das zwei Meilen von Alt-Thorn auf der polnischen Seite der Weichsel liegende Städtchen Fordan den Namen daher bekommen, daß die Deutschen bei Eroberung desselben gerufen: Fort an, um die Ihrigen zu ermuntern und dieser Name nachmals dem Orte geblieben ist.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 533-534.
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