566. Das Crucifix zu Königsberg.

[556] (Nach Ziehnert Bd. I. S. 137 etc.)


Noch im Jahre 1526 befand sich neben dem Schlosse in Königsberg ein Crucifix, welches durch seine wunderthätige Kraft weit berühmt war. Von demselben giebt es aber folgende Sage.

Zur Zeit als Conrad von Feuchtwangen Meister des deutschen Ordens war, befand sich unter den Ordensbrüdern ein sehr frommer Ritter, Namens Michael Rimpitz. Derselbe war namentlich ein so großer Verehrer der Jungfrau Maria, daß wer ihn im Namen derselben um etwas bat, schon im Voraus der Erhörung seiner Bitte gewiß sein konnte. Dies benutzten besonders die Bettler, welche ihn ebenso wie die Kranken beständig im Namen der heiligen Jungfrau mit ihren Bitten bestürmten.

Einst ging er über Land, da traf er auf dem Felde einen Krüppel, der ihn ebenfalls bei der h. Jungfrau um seine Hilfe bat. Der Ritter neigte sich mitleidig zu dem Bettler nieder und ob er wohl sah, daß derselbe voll Aussatz und Beulen war, hob er ihn doch auf, lud ihn auf seine Schultern und trug ihn in seine Wohnung, wo er ihn in sein eigenes Bett legte, während er selbst sich sein Lager auf der harten Erde zurecht machte. Dann betete er laut sein Nachtgebet, der Bettler betete mit und Beide schliefen ein. Allein kaum hatte der Ritter eine kleine Weile geschlummert, da weckte ihn der Bettler und bat ihn um der h. Jungfrau willen um einen Trunk Wassers, weil er so sehr dürste. Bereitwillig sprang der Ritter auf um das Gewünschte zu holen, allein kaum hatte er sich wieder niedergelegt, so wiederholte der Bettler sein Begehren, und so ging es die ganze Nacht durch, so daß der gute Ritter, der unverdrossen die Befehle des Krüppels erfüllte, erst gegen Morgen in einen tiefen Schlaf sank. Als er erwachte, war er ärgerlich, daß er sich also von der Müdigkeit hatte übermannen lassen und es so seinem Gaste vielleicht an etwas habe mangeln können, allein als er sich nach ihm umschaute, fand er das Bett leer, an seiner Stelle aber gewahrte er ein Crucifix, auf welchem das Bild des Erlösers in wunderbarem Schimmer glänzte. Da wußte der Ritter wohl, wen er beherbergt hatte und wurde freudig im Herzen und bewahrte das Crucifix als eine heilige Gabe.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 556.
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