674. Die Schätze im Kreuzburger Schlosse.

[620] (S. Temme S. 189.)


Zwischen den eben erwähnten Ruinen des Kreuzburger Schlosses zeigte sich früher ein jetzt verschütteter Eingang zu einem Keller, den man für das Schatzgewölbe der alten Burg hielt. Bei diesem war ein armer Handwerksmann, der für seine vielen Kinder wenig zu beißen und zu brocken hatte, wenn er mit seinem Weibe Holz aus dem Walde holte, oft vorbeigekommen. Sie sahen dann immer sehnsüchtig nach jenem Eingange und wünschten sich etwas von dem Golde, das angeblich dort aufgestapelt liegen sollte. Eines Tages sind aber zwei ihrer Knaben, die dort herum gespielt hatten, um die Mittagsstunde in dieses Gewölbe hineingegangen und sahen ganz tief im Innern desselben eine schöne Jungfrau mit goldblonden Haaren und in ein blaues Gewand gekleidet sitzen. Diese winkte sie heran, schüttete einem jeden der Knaben eine Hand voll Goldgulden in die Mütze und hieß sie solche nach Hause zu ihren Eltern tragen. Da haben denn auch Andere ihre Kinder hingeschickt um die Jungfrau zu suchen und sich bei ihr Gold zu holen, allein Niemand hat sie wiedergesehen.

Einige Zeit nachher haben die Kreuzburger Schuhknechte beisammen in der Herberge gesessen, mit einander geschwatzt und tüchtig gezecht, da ist die Rede auch auf die Jungfrau gekommen und zwei von den Schustergesellen haben sich vermessen, in jenes Gewölbe einzudringen und den Schatz zu heben. Sie haben es wahr gemacht, sind hineingegangen und haben wirklich die Jungfrau im blauen Kleide und mit den goldenen Haaren dort angetroffen. Sie trugen ihr ihr Begehr vor und die Jungfrau nahm eine silberne Schöpfkelle und schöpfte aus einer mit funkelnden Goldstücken gefüllten Braupfanne mehrere Löffel voll heraus und schüttete sie in die Schurzfelle der beiden Gesellen, dieselben gingen froh nach Hause, allein im Gehen ward ihre Last immer leichter und leichter und als sie in ihrer Herberge angekommen prahlend ihre Beute ausschütten wollten, hatten sich die Goldgulden in Frösche und anderes ekles Gewürm des am Schloßberge vorbeifließenden Keisters verwandelt.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 620-621.
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