Der König und der Schuster

[241] »Sieh da, Herr Meister, willkommen! Hätt' euch bald nicht gekannt,

Denn seit mit Kron' und Zepter ihr obherrscht diesem Land,

Ist eure Nase röther, gewölbter die Augenbraun

Und euer Antlitz blutig, wie Sturmgewölk, zu schaun.«


So scherzte Max gen Kopp'noll, der halb noch im Prachtornat,

Halb schon im Zunftgewande, in das Gefängniß trat.

Erst schweigend stand der Meister und seufzte still und tief,

Doch endlich hob er kühner das Angesicht und rief:
[241]

»Manch Herrscher Roma's tauschte das Zepter um den Pflug,

Den Mosler im Goldpokale um Wasser in irdenem Krug,

Das edle stolze Schlachtroß um Ackergaul und Schwein.

Soll minder groß als der Römer, der Genter Kopp'noll sein!?


Mein Fürst, zu euren Füßen leg' ich nun Thron und Reich,

Und euer treu'ster Diener steh' ich, wie sonst vor euch.

So wie der singende Vogel seid frei der Haft ihr wieder,

Nur blick auch euer Auge auf uns verzeihend nieder.«


»Herr Meister, wenn ihr Vögel sperrt über Winter ein,

Dann singen sie zur Lenzzeit wohl doppelt schön im Frei'n;

Doch säng' ich euch das Liedlein, gelernt in eurer Lehr',

Beim Himmel, ihr sängt und hörtet kein andres Liedlein mehr!


Seht, Freund, des Schusters Arbeit ist nur für Fuß und Bein,

Drum muß, wo Schuster herrschen, das Reich getreten sein;

Ihr wollt Verzeihung? Ihr sagt ja, ihr seid ein edler Mann,

Drum streb' auch Max, daß bald er mit euch sich messen kann.«


»Habt Dank, mein Fürst! Noch bitt' ich, daß Eins gewährt mir sei:

Braucht ihr einst Lederarbeit, geht nicht an mir vorbei;

Denn wieder kehr' ich zur Ahle, zu Gent seht ihr mein Haus,

Und eine zerbrochene Krone hängt dran als Schild heraus.«


»Wohl, Meister, ich will's gewähren; erst aber zum Probestück

Macht einen langen Riemen, doch sei er fest und dick,

Aus gutem starkem Leder, und daß er ja nicht sprengt,

Wenn man in Zukunft einmal vielleicht daran euch hängt.«


Jetzt schritt an Kopp'nolls Seite der König aus dem Haus,

Da brach das Volk auf den Straßen in lauten Jubel aus.

Max aber sah noch einmal zu seiner Haft empor,

Und eine Marmortafel erblickt' er ob dem Thor.
[242]

Drein hatten jüngst die Meutrer gegraben ein Spottgedicht,1

Max las es laut, drauf sprach er mit lächelndem Angesicht:

»Warum schriebt ihr's lateinisch? Das ist für Mönch' allein,

Und so was, lieben Leute, soll doch für Alle sein.«


Fußnoten

1 Folgendes Chronostichon hatten die Bürger über dem Thore der Kranenburg angeschlagen: reX non est hiC. ECCe LoCVs VbI posVer Vnt Ips VM.


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 241-243.
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Der letzte Ritter
Sämtliche Werke 5: Der letzte Ritter. Spaziergänge eines Wiener Poeten. Herausgegeben von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]