Fernsicht

[194] Tritt ruhmbekrönten Größen nicht zu nah!

Sie sind den Alpen gleich, die vor uns stehn,

Am schönsten, größten, wenn von fern gesehn,

Im blauen Duft, in ihrem fernen Ruhme!

Der Formen Schönheit, die dich fern entzückt,

Löst sich in rauhe Massen, wirr zerstückt,

Wenn forschend du genaht dem Heiligthume;

Der Duftschmelz wird Gestein, das wund dich ritzt,

Und wird Gedörn, das Rock und Ferse schlitzt.

Das Auge des Geweihten nur erspäht

In dunkler Kluft die schöne Alpenblume;

Nur wer der Geister Liebling, den umweht,

Entschleiernd sich, des Berggeists Majestät.


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 1, Berlin 1907, S. 194-195.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Sämtliche Werke 2: Gedichte. Hg. von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]
Sämtliche Werke 4: Jugendgedichte. Gedichte früherer und späterer Zeit. Ungedruckte Gedichte. Hg. von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]