Kunstberuf

[183] Warnend sprechen Muselmanen:

Maler, malt kein Menschenbild,

Da in ihm, eh' ihr's mögt ahnen,

Plötzlich Seel' und Leben quillt!


Weh, als unberuf'ne Väter

Klagt einst das Gebild euch an;

Mördern gleich, als Missethäter,

Steht vor Allahs Thron ihr dann!


Anders mag der Spruch auch klingen:

Dichter, schaffet kein Gebild,

Dem ihr Seele nicht könnt bringen,

Das nicht ganz von Leben quillt!


Weh, als unberuf'ne Väter

Klagt einst das Gebild euch an,

Und ihr steht als Uebelthäter

Vor dem Thron der Muse dann!
[184]

Drum laß nie die Ros' entschweben

Aus des Nichtseins stiller Gruft,

Kannst du ihrem Kelch nicht geben

Seine Seele: Gluth und Duft!


Soll sich Nachtigall aufschwingen,

Frag' erst: ob dein Hauch vermag

Ihre Kehle zu durchdringen

Ganz mit Nachtigallenschlag?


Banne zu der Himmel Wonne

Einen neuen Stern uns nicht,

Kann ihn nicht dein Herz als Sonne

Füllen ganz mit Sternenlicht!


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 1, Berlin 1907, S. 183-185.
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Gedichte
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