Das Musikantendorf

[321] Es blinkt ein Dörflein in Böhmens Land,

Drin, was da lebendig, ein Musikant;

Verkehrte Schwalben, im Lenz entflogen,

Sind jetzt im Herbst sie heimgezogen.


Du meinst die Nachtigallen der Welt

In Einem Busch hier alle gesellt.

Du meinst, es müssen hier tausend Quellen

Zu Einem melodischen Strome schwellen.


Horch, lieblich spielt hier im Erdgeschoß

Ein Stück zur Geige der Virtuos;

Aufs Jahr durchklingt's der Länder Weite,

Glückseliger, dich entzückt's schon heute!


Doch furchtbar jetzt aus dem Nebenhaus

Braust polterndes Paukengewirbel heraus;

Dein Ohr, es glich dem Knappen im Schachte,

Auf den ein Bergsturz zusammenkrachte!
[322]

Horch, drüben flötet's so süß und rein,

Und wiegt in gaukelnde Träume dich ein,

Doch hier der Trompeten Schmettern und Krachen

Sorgt für dein zeitliches Wiedererwachen.


Horch, Mädchenstimmen so lieblich und hehr,

Dein Ohr durchschifft des Wohllauts Meer!

Am Brummbaß hat der Nachbar Behagen,

Vom Sturm, ach, wird dein Schifflein verschlagen!


Horch, Waldhornklang! Wie herrlich er schallt!

Dir säuselt der duftige grüne Wald;

Doch dort des Dudelsacks Surren und Summen

Dich mahnt's, daß in Wäldern auch Bären brummen!


Hier flüstert der Guitarren Erguß

Von Rosenlauben und heimlichem Kuß;

Dort braust aus dem Haus der Klang der Fagotte,

Wie von Betrunkenen eine Rotte.


Der übt auf dem Klarinett sich ein,

Der will ein Meister am Hackbrett sein;

Dort stürzt vom Fenster Posaunenschall nieder,

Wie eines Verzweiflers zerschmetterte Glieder.


Jed' einzelner Ton klingt gut und rein,

Doch will kein Einklang Aller gedeihn,

Wie die zerhauenen Glieder der Schlangen

Sich winden und nie zusammen gelangen.


So heult's durcheinander und wimmert und dröhnt

Und ächzt und schnurrt und pfeift und stöhnt,

Als säßen im Chor des Mißlauts Geister,

Als wäre Satan Kapellenmeister!
[323]

Du fliehst und suchst vor dem Thore Ruh

Und fühlst, es dachten die Vogel wie du,

Die Schwalben und Störche, die auch entflogen,

Weil heim die Musikanten gezogen. –


Doch wenn der Schnee zu schmelzen begann,

Dann wallt aus dem Dörflein Weib und Mann,

Die wollen ostwärts, die westwärts wandern,

Nach Süden die Einen, gen Norden die Andern.


Vereint, was getrennt zu Hause war:

Dort drei, hier ein Pärlein, dort eine Schaar,

Wie des Wohllauts Geist sie zu Kränzen reihte

Und, Blumen gleich, durch die Lande streute!


Das kommt dem Dörflein auch eben recht,

Drin musizirt der Lerchen Geschlecht,

Frau Schwalbe kommt herbeigeflogen,

Herr Storch ist auch wieder eingezogen.


Die Spielleut' grüßen manch fernes Land,

Sind üb'rall willkommen und wohlbekannt,

Finden üb'rall offene Ohren und Hände

Und schäumende Becher und Beifallsspende.


Da hat jeder Busch seine Nachtigall

Und jeder Fels seinen Wasserfall,

In allen Wäldern die Vögel singen,

Durch alle Thäler die Quellen springen.
[324]

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 1, Berlin 1907, S. 321-325.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Sämtliche Werke 2: Gedichte. Hg. von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]
Sämtliche Werke 4: Jugendgedichte. Gedichte früherer und späterer Zeit. Ungedruckte Gedichte. Hg. von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Das Leiden eines Knaben

Das Leiden eines Knaben

Julian, ein schöner Knabe ohne Geist, wird nach dem Tod seiner Mutter von seinem Vater in eine Jesuitenschule geschickt, wo er den Demütigungen des Pater Le Tellier hilflos ausgeliefert ist und schließlich an den Folgen unmäßiger Körperstrafen zugrunde geht.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon