Von einer Zwiebel

[336] Harlems glückseligster Bürger ist

Van Hoek, der göttliche Blumist.

Dort steht er, die Zwiebel in der Hand,

O seht, wie sein Aug' in Wonne schwand!

Nicht hat er vor Jahren die schmucke Braut

So zärtlich, so sorglich angeschaut!

Scharf bläs't der Wind von den Dünen.


»O Semper Augustus, Tulpenfürst,

O Wonne, wenn dein Incognito birst,

Du aufsteigst in deiner Herrlichkeit,

Im Silberbrokat, im Scharlachkleid,

Im Goldturban, dran der Reiher sprießt,

Dein Haupt in Anmut königlich grüßt

Im Lächeln der Frühlingssonne!


Um dich beut der Britte tausend Mark,

Und böt' auch der Doge die goldene Bark',

Vom Dogen zum Sultan, zum Mogul umher

Ihr findet den Semper Augustus nicht mehr!

O Glück! Mir liegt's in der Hand, was ihr sucht

Von Peking bis wo in Harlems Bucht

Der Wind scharf bläs't von den Dünen.
[336]

O Blumenmonarch, dein Vasall bin ich!

Dein erster Gnadenblick fällt auf mich!

Und künd' ich, dein Herold, der Huldigung Zeit,

Nahn Alle verneigt, wie zaubergefeit;

Ach, noch ist's nicht Zeit, doch Geduld, Geduld,

Bald schimmert der Tag voll Glanz und Huld

Im Lächeln der Frühlingssonne!«


Er bettet die Zwiebel ans Fenster so lind,

Als wär's ihm ein lieb, ein kränkelnd Kind,

Er faßt sie so zart, so ehrfurchtsscheu,

Als ob's der Prinz von Oranje sei.

Nun muß er fort zum Hafen in Hast,

Ein Blick noch, dann Pelz und Muff erfaßt!

Scharf bläs't der Wind von den Dünen. –


»Van Hoek nicht daheim?« ein Seemann fragt,

»Doch kehrt er bald,« antwortet die Magd,

»Weißbrods ein Stück, ein Kännlein Bier

Verkürze Mynherrn das Warten hier.«

Er denkt: Das kommt zur rechten Zeit,

Solch Trank erwärmt trotz wollenem Kleid

Scharf bläs't der Wind von den Dünen.


Nur Eins fehlt, Preis dem Seemannssinn,

Du Zwiebel, duftende Negerin,

Braunhäutige, wie die Hindumaid,

Durchsichtige, wie des Kaffern Kleid!

Zu Thränen zwingst du mein alt Gesicht,

Als säh's noch der Liebsten ins Augenlicht

Beim Lächeln der Frühlingssonne.
[337]

Hoiho, da liegst du am Fensterrand,

Verlassen, wie Seemanns Wittwe am Strand!

Willkommen, du Holde, dein Herzblut her!

Da gibt's keinen Semper Augustus mehr!

Verschlungen! Doch flau des Mörders Blick,

Der erst noch gejubelt, geleuchtet vor Glück

Wie Lächeln der Frühlingssonne.


»Ade, du Magd, grüß' deinen Herrn,

Den wackern Mann, der Blumisten Stern,

Doch Zwiebelzucht versteht er kaum,

Gewächs ist das für Mädchengaum;

Kein scharfer Duft, der das Auge beizt

Und Seemanns Herz und Zunge reizt,

Weht scharf der Wind von den Dünen.«


Van Hoek seither den Schlaf nicht kannt',

Ein Geist allnächtlich am Bett ihm stand,

Aufsteigend in fürstlicher Herrlichkeit,

Im Silberbrokat, im Scharlachkleid,

Im Goldturban, dran der Reiher sprießt,

Sein Haupt in Anmut königlich grüßt

Wie Lächeln der Frühlingssonne.


Euch, Kinder der Sonne, o Tulpen ihr,

Euch sang ich dieß Lied im Lenzrevier,

Wie Ahnenlieder man Kindern singt

Und That und Gefahr der Vorzeit jüngt.

Der Ries' ist todt, der die Kindlein frißt,

Drum fürchtet euch nicht und gaukelt und sprießt

Im Lächeln der Frühlingssonne.

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 1, Berlin 1907, S. 336-338.
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