Ein Held

[205] Im Lippenrosenbett geboren

Ward uns das freie Wort, ein Held;

Wer sieht's dem Weichling an, erkoren

Sei er zu herrschen ob der Welt?


Wie lang, daß festen Tritt er lerne,

Ist er ans Gängelband verdammt,

Bis ihn, gediehn zu Mark und Kerne,

Des Gottes Funke ganz durchflammt.


In Kindesunschuld würgt er spielend

Alciden gleich der Schlangen Schwall,

Vom Firmamente holt ihm zielend

Manch schönen Stern sein Kinderball.


Am Haupt den Kranz von Blüthenflocken,

Der Glieder Bau so schön geschwellt,

Weiß er als Jüngling süß zu locken

Die Liebe, wie es ihm gefällt.
[206]

Gereift zum Manne tritt an Throne,

In Erz gerüstet, fordernd er,

Da springt entzwei manch eine Krone,

Da flammt manch andre doppelt hehr.


Nun tritt er euch als Greis entgegen

Am Dom im Hohenpriesterkleid,

Vom Himmel läßt er strömen Segen,

Es kniet das Volk, die Saat gedeiht!


Er liebt's, zu schweifen durch die Lande,

Sich zaubernd vielerlei Gestalt,

Als Prasser bald im Prachtgewande,

Als Bettler nackt und dürftig bald.


Nicht schmeichelt er den Staubessöhnen,

Sie sandten Schergen, ihn zu fahn,

Da hörten sie aus Wolken dröhnen

Den Ruf: Ihr sollt ihn lassen stahn!

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 1, Berlin 1907, S. 205-207.
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Gedichte
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