Wartburg

[207] Dich, ernste Wartburg, möcht' ich grüßen

Als Frühlings Burg zu aller Frist,

Da deutschen Lenz treu zu umschließen

Freistätt' und Liebeshort du bist!


In dichter Wälder dunklem Rahmen

Wahrst du ein lichtes Frühlingsbild,

Daß Allen, die zu dir je kamen,

Lenzahnung süß im Herzen quillt.


War's nicht in deinen luft'gen Hallen,

Wo einst in alter Zeit erwacht,

Wie Leu-gewordne Nachtigallen,

Das Rauschen einer Liederschlacht?


Ein schönes Kämpfen, wo der Sieger

Mit Wohllaut süß den Gegner lähmt

Und den besiegten schwächern Krieger

Mit Wonne göttlich überströmt!


Du Fels, dran los die Donnerwolke,

Das Lenzgewitter, Luther, brach,

Da der Prophet zu seinem Volke

Verhüllt aus Wolkenschleiern sprach!
[208]

Das Wetter hat gereint, durchschüttert

Den Himmel, daß er heller blaut,

Manch morsches Haus in Grund gesplittert

Daß fester, schöner man's erbaut!


Du Steinwand, dran in spätern Tagen

Der Jugend üpp'ger Rebensproß

Lenzungeduldig ausgeschlagen,

Lenzübermüthig frei aufschoß!


Die Rebe wollt' im Keime sprühen

Von Früchten, die dem Herbst gespart!

Kein Edelreis, das nicht im Blühen

Schon künft'ger Frucht Bewußtsein wahrt!


Doch jetzt kein Frühlingslied mehr flötet,

Kein Blühn wagt sich zur Marmorflur;

Der Lenz hat selbst den Lenz getödtet,

Gras säend auf der Edlen Spur.


Wie Polens Reichstag, als zerstoben

Sein Heer, im fremden Lande doch

Treu hielt zusammen, gotterhoben:

Da Polen nicht verloren noch!


So schaarten Frühlings Auserkorne

Die Blumen hier sich bald aufs neu',

Daß Lenz, der noch nicht ganz verlorne,

Sich guter Stellvertreter freu'.


Da stehn sie, hütend seine Krone,

In Feuerwächters Gartenplan:

Doch hat der Mann die Lärmkanone

Hart aufgefahren nebendran;
[209]

Daß nimmer Feuersnoth empöre

Das liebe Städtchen Eisenach,

Den tiefen Waldesfrieden störe,

Der es umwölbt mit grünem Dach!


Der eh'rne Nachbar dünkt erschreckend

Wohl eben nicht den Blumenbund;

Mohnköpfe spähn, empor sich streckend,

Neugierig in des Mörsers Schlund.


Schlingblumen greifen in die Speichen,

Das Ungethüm hinwegzuziehn;

Am Pulverschrein, dreist ohne Gleichen,

Die kecken Feuernelken sprühn.


Der Mörser dient als Bank im Garten,

Es sitzt auf ihm ein zärtlich Paar;

Den Ausgang will ich nicht erwarten,

Da allerseiten Feu'rgefahr!


Jetzt hüpfen glüh'nde Rosenlunten

Sogar ums Zündrohr unbedacht;

Nun seid gefaßt, ihr Andern unten,

Daß bald die Lärmkanone kracht.

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 1, Berlin 1907, S. 207-210.
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Gedichte
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