Novara

[221] 1849.


Der einst die Trommel fröhlich schlug

In Kämpfen und Gefahren,

Jetzt sitzt tiefsinnig er beim Krug,

Ein Greis in Silberhaaren.


Dort rauscht die Enns. Ein Apfelhain

Umblüht den düstern Alten;

Nur Heit'res rings, doch trüb allein

Auf seiner Stirn' die Falten.


Am Heerd des Sohnes ruht er aus,

Von Enkeln hold umgeben,

Schön ist das Land, fast reich das Haus,

Für Andre welch ein Leben!
[221]

Verschlossen bleibt sein strenger Mund;

Doch wer ihn bringt zum Sprechen,

Der hört aus tiefstem Felsengrund

Die dunkle Quelle brechen;


Der ahnt: dieß Haupt gebeugt von Scham

Wird nie in Lust sich heben,

Und diese Brust bewohnt ein Gram,

Der flieht nur mit dem Leben. –


Nun lauscht der Greis: mit freud'gem Klang

Durchs Haus viel Stimmen schallten,

Ein Krieger plötzlich ihn umschlang

Und lag im Arm des Alten.


Sein ält'ster Enkel ist's, bestaubt

Vom Marsch aus fernen Reichen,

Geschmückt, – drum trägt er stolz das Haupt, –

Mit goldnem Ehrenzeichen.


Der junge Korporal doch spricht

Im Ton des Feldmarschalles:

»Großvater, hängt den Kopf mir nicht,

Das Schwert gewann uns Alles!


Ich komme von Novaras Feld,

Das uns bekränzt als Sieger;

Das Eisen bleibt der Herr der Welt,

Als Zepter führt's der Krieger.«
[222]

Des Alten Blick mißt die Gestalt

Des waffenstolzen Knaben;

Sein flüchtig Lächeln ist gar bald

Im Furchengrund begraben:


»Ließ't ihr vom Eisen etwas noch

Für Pflug und Gartenmesser?

Und trüg't das Haupt ihr minder hoch,

Traun, mir gefiel' es besser.


Ob echt und recht ein Kriegerherz,

Befrag' erst Unglücksloose!

Aus dunklem Schacht steigt helles Erz,

Aus schwarzem Grund die Rose.


Was hier dein goldner Pfennig spricht,

Ich lob's: du standst in Ehren!

Wer siegte mit Radetzky nicht

Genüber Sardenheeren?!


Doch komm, ich will ein Gegenstück

Im wirren Schlachtenreigen,

Will andern Feind dir, andres Glück

Und andre Führer zeigen.«


Des Alten Stübchen wohnlich traut

Bewahrt in goldnem Rahmen

Ein Feldherrnbild; doch Oestreich graut

Noch heut vor diesem Namen.
[223]

»Ein Blinder,« so erklärt der Greis,

»Der lahm vom Hauch der Schlange,

Zermalmt von ehrnem Schuppenkreis!

Uns riß zum Untergange!


Ein Feldherr, der dem eignen Heer

Einflößte Todesschrecken;

Der Männern einst in blanker Wehr

Gebot: die Waffen strecken!


O Ulm, du hast die Schmach gesehn,

Den Tag, verhüllt von Schande!

Des dunklen Schleiers Schatten stehn

Noch schwarz ob unserm Lande.


Vom Michelsberg sahn stolz herab

– Noch heut fänd' ich die Stelle, –

Der Frankenkaiser und sein Stab,

Die Garden und Marschälle.


Vom Frauenthor schon rückten an

Dort Oesterreichs Kolonnen,

Doch zähneknirschend Mann für Mann,

Die Brust von Scham umsponnen.«


»Kopf hoch!« gebot ein General,

»Brust vor!« hört' ich ihn sagen,

»Der senken sollt' sein Haupt zumal,

Die Brust in Reue schlagen.
[224]

Die Trommeln klangen hohl und dumpf,

Gern wollt' ich meine missen;

O hätt' die Kugel mir vom Rumpf

Zuvor die Hand gerissen,


Bevor auf jenes Männleins Wort

Ich ließ das Zeichen schallen,

Daß zwanzigtausend Tapfern dort

Vom Arm die Waffen fallen!


Im Feld jetzt mußten sie zu Hauf

Gewehr und Säbel legen,

Trompeten dann und Trommeln drauf,

Den Küraß auch und Degen.


Als so die Wehr von Oesterreich

Sank vor des Korsen Tritten,

Mir war's, als ob sie mir zugleich

Vom Leib die Arme schnitten.


Und als ich zu der Trommeln Wust

Die meine warf mit Grimme,

Mir war's, als sei aus meiner Brust

Verbannt die eigne Stimme.


Als ab das Reitervolk dann saß

Und Fremden ließ die Zügel,

Der Siegesgöttin Austrias

Gebrochen war der Flügel.
[225]

Die Fahnen senkten staubwärts sich;

Mir war's: als ob dem Heere

Die eigne starke Seel' entwich',

Des Herzens Herz: die Ehre.


Da ging durchs waffenlose Heer

Die große Weihestunde,

Ein heil'ger Eid lag racheschwer

Auf graunhaft stummem Munde.


Und leuchten schon am Tag der Schmach

Sah ich ein fern Gewitter,

Als Mancher sein Gewehr zerbrach,

Den Degen schlug in Splitter;


Als Grimm und Haß und Scham und Groll

Den Funken glimmend fachte,

Der dann zur Gluth in Aspern schwoll,

In Leipzigs Donnern krachte.


Drum ehr' ich jenen Mann im Bild

In eigner Art als Retter,

Dieß dunkle Blatt Geschichte gilt

Mir hundert licht're Blätter.«


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 2, Berlin 1907, S. 221-226.
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