1.

[11] Durch das Schneefeld schießt mein Schlitten

Im Geschmeid des Tigerfells,

Raschen Flugs vorüber glitten

Burg und Weiler, Busch und Fels.


Lenz in Blumen, Herbst in Reben,

Sommer du im Garbenkranz,

Was ist eure Schönheit neben

Einem Wintertag in Glanz!


Wie versinkt die bunte Kleinheit

Vor so schlicht erhabner Pracht!

Er vermählt das Weiß der Reinheit

Mit dem Hermelin der Macht.


Seine Lagerzelte glänzen,

Die Gebirge, weit im Kreis;

Bis an seines Reiches Grenzen

Schimmert nur dieß stolze Weiß.
[11]

Wald und Strauch in Silberflocken,

Welch ein Hofstaat reich und steif!

Weiße Schleier auf den Locken

Und im Haar des Puders Reif;


Zarte Flöre, krause Spitzen

Schmücken zierlich das Gewand,

Spangen flimmern, Nadeln blitzen,

Funkelnd sprüht der Diamant.


Wintersonn' in eis'ger Klarheit

Streut aufs All ihr kaltes Licht,

Rein wie eine goldne Wahrheit,

Glänzend zwar, doch wärmend nicht.


Sorglich hält die Feuerbolzen

Noch im Köcher sie bewacht,

Daß nicht allzuschnell geschmolzen

Winters Herrlichkeit und Macht.


Sein Gesetz ist Ruhn und Schweigen,

Das er eisern strenge hält,

Und kein Vogel pfeift in Zweigen

Und kein Pflüger singt im Feld.


In das Mühlrad, das noch rollte,

Greift er mit kristallner Hand,

Und den Bach, der murmeln wollte,

Hält im Fall er festgebannt.
[12]

Durch die feierliche Runde

Geht ein Hauch von Majestät,

Der das Lied verbannt vom Munde

Und ihn weiht zum Festgebet.


Nur der Grund im Schlittengleise

Tönt von lieblich leisem Klang,

Gleich als tönte unterm Eise

Der verbannten Blumen Sang.


Auch mein Rößlein läßt nicht schweigen

Die Musik im Schellenkranz,

Stolzer trägt's sein Haupt zum Reigen,

Zierlich wirft's den Fuß im Tanz.


Und berauscht vom eignen Klingen

Saust's in Trunkenheit dahin,

Wie am Kastagnettenschwingen

Sich entflammt die Tänzerin.


Hier und dort wird von den Tönen

Ein entschlummert Echo wach;

Schläfrig, mit gutmüth'gem Höhnen

Murmelt's das Geläute nach. –


Jage, muntres Rößlein, jage!

Holst doch nicht mein Sinnen ein,

Das enteilt in ferne Tage,

Das entflohn in Südens Hain;
[13]

Wo die Lüfte lauer wallen,

Wo die Sonne goldner glänzt,

Wo die götterreichen Hallen

Frühling schon mit Blumen kränzt.


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 2, Berlin 1907, S. 11-14.
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