3.

[84] Sei mir gegrüßt, Ohio, schöner Strom,

Der im gebetesstillen Urwaldsdom

Auf neuer Städt' unheil'gen Marktlärm stößt,

Hier Goldsaat tränkt, dort Felskolosse flößt!


Ein Bild der Zeit, begegnen sich auf dir

Der Riesenbaum, den Sturm entwurzelt, hier

Und dort des Dampfschiffs wandelnder Palast,

Des Wilden Kahn, gebaut aus einem Ast!


Hier hörtest du des Britten feilschend Wort,

Des irren Indianers Wehruf dort

Und lauschest jetzt des Deutschen ernstem Lied,

Das auf dem Strom der Sehnsucht heimwärts zieht!


Du sangst mein Wiegenlied, du hieltest klar

Dem Jüngling einst der Reinheit Spiegel dar

Und hast geflüstert leis ins Herz dem Mann

Des Ernstes und der Kraft ein Wörtlein dann!


Du siehst mein Vaterhaus, so deutscher Art,

Als ob's ein Engelpaar in luft'ger Fahrt,

Wie einst Loretto's Gnadenhaus, hierher

Gerad' vom Rhein getragen übers Meer.
[85]

Drin grüß' ich, heimisch Larenpaar, dein Bild,

Dich, großer Fritz, dich, Joseph weis' und mild!

Am Fenster klimmt ein Rosenstrauch hinan,

Auch er durchmaß als Zweig der Meere Bahn.


Ein Frühlingsargonaute zog er fort,

Der, steuernd aus der Heimat sichrem Port

Nach ferner Lenze goldnem Sonnenvließ,

Daheim sein Liebchen Nachtigall verließ.


O Deutscher, deine Heimatlieb' ist gleich

Dem Feuerwein, an Duft und Gluthen reich,

Der, wenn er weiter Meere Bahn durchzog,

Nur höh're Gluth und neue Würzen sog!


Vor'm Hause liegt ein Feld, aus dessen Raum

Manch Strunk noch ragt von manch gefälltem Baum,

Ein Urwaldsforum, von deß Säulenzahl

Des Feindes Sturm nur ließ manch Piedestal.


Und mitten in gesunkner Säulen Kreis

Als Triumphator sitzt ein ernster Greis,

Als Zepter blitzt die Axt in seiner Hand,

Als Siegeswagen fuhr sein Pflug durchs Land!


Mein Vater ist's! Seht rings sein rüstig Heer!

Es starrt von Golde, schimmernd Speer an Speer!

Die Saaten sind's, sie lagern nah und fern,

Gewaffnet All' für ihren süßen Kern!
[86]

Das sind vom Rhein die Truppen, deren Zelt

Er siegreich an Ohio's Bord gestellt!

Sie flüstern, Kriegern gleich an fremdem Strand,

Vertraut vom schönen, fernen Vaterland.


Colibri-Schwärme flattern farbenreich

Ums Heer, verbuhlten, lust'gen Dirnen gleich;

Ihr Losen, laßt mir ungeschwächt und stark

Die schöne Fremdenschaar an Kern und Mark!


Die Heerde, die im Walde läutend geht,

O Held, ist deiner Thaten Hofpoet;

Gleich dem erhebt, wenn Hunger sie beschlich,

Am allerlaut'sten ihre Stimme sich.


Sieh Riesenbäume, die geschont dein Streich,

Mit Kränzen üpp'ger Schlingeblumen reich

Behängt die Arm', als Abgesandte stehn,

Die kamen, Frieden von dir zu erflehn!


Und Nachts, wenn durch des Urwalds dunkles Grün

Myriaden Feuerfliegen leuchtend sprühn,

Ist's die Beleuchtung nur, die funkeln läßt

Dem Sieger die erstürmte Stadt zum Fest!


Nur dort im Mondenschein ragt todt und kahl

Uralter Bäume Patriarchenzahl,

Wie Geister der im Kampf Erschlagnen fast

Ein stummes Händeringen jeder Ast!
[87]

Sieh fern die Wogen eines Feuermeers

Wie Lagerfeuer des geschlagnen Heers!

Als schwäng' das Flammenschwert ein Seraphchor,

Flammt einmal noch der Wald im Zorn empor!


Die Ros' am Fenster glüht im Widerschein,

Sie nickt wohl grüßend in die Nacht hinein.

Doch dünkt mich, in dem blüthenreichen All

Fehlt ihr die heim'sche, deutsche Nachtigall.


Du hast erkämpft ein schönes Vaterland!

Was neigst du sinnend, Greis, dein Haupt zur Hand?

Ob deines Herzens stillen Rosen nicht

Wohl auch die heim'sche Nachtigall gebricht?

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 84-88.
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