4.

[11] »Ihr, denen in die Hände ward gegeben,

Wenn sich's die Händ' etwa nicht selbst genommen,

Das Recht, zu schalten über Menschenleben,

Kennt ihr des Menschenlebens Sinn und Frommen?


Ich rath' euch, wallt aus eurer goldnen Klause

Einmal hinaus in Frühlings Sonnenblicke,

Doch laßt mir fein den Doctorhut zu Hause,

Die grüne Brille, Codex und Perrücke!


Und wenn, von all dem Licht und Glanz entborget,

Ein leiser Abglanz schlich in eure Seele,

Dann ist es Zeit, dann weilet nicht, und sorget,

Daß Flinte, Beil und Messer euch nicht fehle.


Seht dort den Rosenstrauch im Duftmeer fluthen!

Das Messer her, vom Stamme ihn zu trennen!

Er liegt im Staub und scheint nun zu verbluten

Aus so viel Wunden, als da Knospen brennen.


Seht ihr die Lerche hoch im Frühroth schimmern?

Das Feuerrohr herbei, und streckt sie nieder!

Vor euch im Rasengrün mit leisem Wimmern

Versiegt die holde Quelle süßer Lieder.


Seht dort der Linde Haupt die Wolken grüßen!

Die Axt herbei, den Stamm ihr zu zerklüften!

Da liegt die Riesenleiche euch zu Füßen,

Ihr Sterberöcheln ist ein süßes Düften.
[12]

Und will euch Wehmut nun ins Herz, so lenket

Heimwärts den Pfad, und nehmt an eurer Schwelle

Den Säugling aus der Gattin Arm, und senket

Eu'r sinnend Haupt zu seiner Lockenhelle.


Und denkt des Baums, zerspellt zu todten Trümmern,

Und denkt der Knosp', erblaßt im Todesbeben,

Und denkt des Liedes, aufgelös't in Wimmern,

Und ahnt es leise, was ein Menschenleben!«


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 11-13.
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