11.

[61] Im Klosterdome prangt, aus Stein gehauen,

Des Stifters Grabmal, kläglich anzuschauen:

Ein Ritter knieend, Stahl um Brust und Lenden,

Den Rosenkranz fest in gefalt'nen Händen.


Vor ihm liegt ein Brevier und Todtenschädel,

Ein Kruzifix und dran ein Weihbrunnwedel

Und eine Geißel, daß den Leib er schlage!

Ei, ob er drum wohl Schien' und Panzer trage?


Und was noch Trübes fehlt, der Stein mag's künden:

Wie er gen Sion zog, sich zu entsünden,

Wie er die Fasten hielt und sich kasteite

Und keine Mess' versäumt' und niemals freite.


Doch muß ich dieser Marmorlüge lachen,

Denn mir erzählt mein Herz ganz andre Sachen,

Als sei's mit dir, du theurer Held, vor Jahren

In lust'gem Zug froh durch die Welt gefahren.


Ich seh' dich zwar nach Schädeln noch verlangen

Doch ist noch Goldhaar dran und ros'ge Wangen!

Zwar noch den Rosenkranz, doch aufgezwungen

Den Händen nicht, nein, frei ums Haupt geschlungen!


Ich sehe dich an Bord, die Fluth durchjagend,

Du stehst am Deck, die Harfe fröhlich schlagend,

Daß selbst das Schiff im Tanz durchflog die Wogen,

Und hinterdrein Delphine walzend zogen!
[62]

Seh' deiner Sehnsucht heilig Grab dich finden

In Salem in zwei Armen, weichen, linden;

Es neigen schattend sich, wie seine Fahnen

Rings um den Sieger, Palmen und Platanen.


Ich find' auf Burgen süßer Heimat wieder

In Lauben kühl dich und die Waffenbrüder,

Die klingenden Pokale frisch erneuend

Und Scherz und Lied drein als Gewürze streuend;


Seh' auf der Klänge Meer im Saal dich wiegen,

Als rüst'gen Segler tanzend es durchfliegen;

So hält der Sprosser nimmermüden Reigen

Im sel'gen Festessaal von Blüthenzweigen.


Daß sie am Grab dir lesen so viel Messen,

Ist, weil du lebend ihrer oft vergessen!

Doch log etwa die Kunde meines Herzens?

Und warst du doch ein trüber Sohn des Schmerzens?


Dann, kraft des Dichterrechts, das mir gegeben,

In meinem Herzen leb' ein schön'res Leben!

In meinem Herzen wirst du neu geboren,

Und Alles dir erweckt, was du verloren.


Der Freund, daß du ihn liebend magst umschließen,

Die süße Maid, die du versäumt zu küssen,

Der Rosenstrauch, dem kalt vorbei du gingest,

Daß du ihn jetzt in deine Locken schlingest!

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 61-63.
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