13.

[66] »Der Brüder Mangel gab mir zu viel Würden!

Im Büchersaal hüt' ich Foliantenhürden,

Als Gärtner muß ich Kohl und Blumen treiben

Und als Chronist des Klosters Chronik schreiben!


Quartanten dort gleich Leichensteinen prangen,

Dran Spinnennetz' als Todtenhemden hangen;

Ich wehr' es nicht, da dieser Grüfte Blüthen

Die Welt ja längst mit Duft und Glanz durchglühten.


Die Chronik schlag' ich auf; da find' ich wieder

Die Rose, die ich drein einst legte nieder

Als Zeichen, wo mein Vorfahr stehn geblieben.

Ach! meine Hand hat noch kein Wort geschrieben!


Ist's meine Schuld, daß längst die Wunder schweigen,

Kein Fürst sich zum Besuch am Thor will zeigen,

Kein Bannstrahl blitzt, und in dem Klosterleben

Sich's nur begibt, daß gar nichts sich begeben?


Mich aber dünkt's, als ob die Weltgeschichte

Sich mählich ganz in meinen Garten flüchte;

Wenn draußen thatenleer die Tage wandern,

Blüht drin ein hold Ereigniß nach dem andern.


Als sich des Winters Wüsten in den Sonnen

Des Lenzes zu bevölkern kaum begonnen,

Da ward die Tulpe auf des Thrones Stufen

Erhöht und laut als Kön'gin ausgerufen.
[67]

Die Rose zeigt dem Volk sich vom Altane,

Da wird entthront die eitle Tulipane!

Die Rose prangt mit Duft und Dorn und Blüthe:

Es herrsche Schönheit, Kraft und Herzensgüte!


Deß nicht zufrieden, sind zum Bund verschworen

Violen, die rebellisch tricoloren;

Die Köpfchen stecken flüsternd sie zusammen,

Gen die Tyrannin Wettkampf zu entflammen.


Sieh Goldorangen, Kronen in den Händen,

Granaten, die das Aug' mit Purpur blenden,

Gesandte Wälschlands, Kron' und Purpur bietend,

Das Glashaus, das Hotel der Fremden, hütend!


Sieh hier des Fruchtbaums goth'schen Domthurm ragen,

Darin als Glocken hell die Vögel schlagen,

Um seinen Fuß die farb'gen Blumen alle,

Wie Gläub'ge Sonntags um des Münsters Halle.


Dort hüllt in Traubenschmuck und Laubgewebe

Den kahlen Pfahl, der sie gestützt, die Rebe,

Des Armen Blöße deckend und im Bilde

Mir schön entschleiernd christlich echte Milde.


Ich weiß mit Blüthenranken, Baumspalieren

Die Wand, die von der Welt uns trennt, zu zieren;

Was sollt' ich ob der Scheidemauern klagen,

Die mir so schöne Blüth' und Früchte tragen!


So ist, o Herr, ein stilles, schönes Schweben

Durch Blüthenglanz und Sonnenduft mein Leben!

So mag mein Geist zu deines Frühlings Hallen

Durch Blüthenglanz und Sonnenduft einst wallen! –
[68]

Ha, Zeit ist's, meine Blumen zu begießen!

Ach, unbeschrieben muß mein Buch ich schließen!

Dich, Rose meines Gartens, leg' ich wieder

Als Zeichen in der Chronik Blätter nieder.


Da magst du Würze hauchen in die Spalten

Des vollgeschriebnen Säkulums, des alten,

Und in das leere weiße Blatt des neuen

Dein Morgenroth und deine Düfte streuen.«

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 66-69.
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Schutt
Sämtliche Werke 6: Schutt. Hg. von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]
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