6.

[48] Ich sah der Aebte Bilder in der Halle,

In schwarzem Kleid, mit Inful, Krummstab alle;

Mir schien's, als stünden reihweis' im Spaliere

Um mich des Grabes Gardegrenadiere.


Du mit dem Busenkreuz von Edelsteinen,

Jüngling, magst selbst ein lebend Grabmal scheinen;

Mich dünkt's, als ob dir unter'm Kreuze lägen

Begraben deines Herzens Fried' und Segen.


Du, Greis, gebeugt zum Buch vor dir, dem alten,

Du gleichst, vertieft in seine morschen Spalten,

Der Weide, die sich neigt zum Stein am Grabe,

Als ob sie's, seine Schrift zu lesen, labe.


Du, kräft'ger Mann, wie stünd' ein Schwert dir prächtig!

Wohl auch das Zepter schwäng'st du gut und mächtig!

Wie Schade! Doch vielleicht an einem Tage

Wiegt Zepter, Krummstab, Schwert gleich schwer zur Wage.


Du dort, deß Aug' voll Lebensglanzes spielend

Liebäugelt, nach dem Todtenkopfe schielend!

Jetzt ist's verkehrt! Ins schöne Aug' des Lebens

Schielst du, selbst Todtenschädel, ach vergebens!
[49]

Doch fort von hier! Es will mir nicht gefallen,

Aus sichrem Port zu schaun das Sturmmeer wallen,

Des Lebensschiffes Wrack im Zwielicht blinken

Und Schwimmer krampfhaft rudern, ach, und – sinken!


Doch halt! Sieh dort, wie Vollmond aufgegangen,

Ein Abbasbild mit vollen, ros'gen Wangen,

Ehrwürd'gen Bauchs, daß fast mir angst, es sprenge

Sein Athemzug des goldnen Rahmens Enge!


Den Maler küßt' ich gern, der auf den Wangen

Dieß sonn'ge Lächeln haschend eingefangen,

Den Paradiesesvogel, glanzvoll stille

Umschwebend dieses Rosengartens Fülle!


Er hieß, wie Josua, die Sonne stehen,

Daß sie der Enkel noch mag leuchtend sehen,

Daß dieses Lächelns Geister einst nach Jahren

Mit mildem Glanz in trübe Seelen fahren!


Wie noch zu uns aus Tagen, längstvergangen

Manch rundgewalt'ge Tempelkuppeln prangen,

So in das magre Jetzt aus bessren Tagen

Seh' kühn ich deinen Bauch herüberragen.


Wie eines bombenfesten Kellers Bogen,

Drein sich die Fröhlichkeit zurückgezogen,

Der vom Geschütz des Witzes nur erschüttert,

Nur von des Lachens Erdebeben zittert!


Und über ihm und seinem Kleid, dem dunkeln,

Seh' ich das gute, runde Antlitz funkeln

Als Morgensonne, feist und purpurglühend,

Licht über dunkle Alpenmassen ziehend.
[50]

Du warst wohl gut, ich schwör's! – Aus einem Sterne

Siehst du jetzt lächelnd her und duldest gerne,

Daß keck auf deines Bauches Polsterpfühle

Jetzt meine Phantasie, das Kindlein, spiele.


So blühst du jetzt noch als gefüllte Rose

Durch dieß Gestrüpp' ringsum, das blätterlose;

So gießest du als Vollmond milde Strahle

Versöhnend rings auf düstre Trauermale.

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 48-51.
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Schutt
Sämtliche Werke 6: Schutt. Hg. von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]
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