5.

[149] Und Ostern wird es einst, der Herr sieht nieder

Vom Oelberg in das Thal, das klingt und blüht;

Rings Glanz und Füll' und Wonn' und Wonne wieder,

So weit sein Aug' – ein Gottesauge – sieht!


Ein Ostern, wie's der Dichtergeist sieht blühen,

Dem's schon zu schaun, zu pflücken jetzt erlaubt

Die Blüthenkränze, die als Kron' einst glühen

Um der noch ungebornen Tage Haupt!


Ein Ostern, wie's das Dichteraug' sieht tagen,

Das über'm Nebel, der das Jetzt umzieht,

Die morgenrothen Gletscherhäupter ragen

Der werdenden Jahrtausende schon sieht!


Ein Ostern, Auferstehungsfest, das wieder

Des Frühlings Hauch auf Blumengräber sä't;

Ein Ostern der Verjüngung, das hernieder

Ins Menschenherz der Gottheit Athem weht!


Sieh, welche Wandlung blüht auf Zions Bahnen!

Längst hält ja Lenz sein Siegeslager hier;

Auf Bergen wehn der Palmen grüne Fahnen,

Im Thale prangt sein Zelt in Blüthenzier!


Längst wogt ja über all' den alten Trümmern

Ein weites Saatenmeer in goldner Fluth,

Wie fern im Nord, wo weiße Wellen schimmern,

Versunken tief im Meer, Vineta ruht.
[150]

Längst über alten Schutt ist unermessen

Geworfen frischer Triften grünes Kleid,

Gleichwie ein stilles, freundliches Vergessen

Sich senkt auf dunkler Tag' uraltes Leid.


Längst stehn die Höhn umfahn von Rebgewinden,

Längst blüht ein Rosenhag auf Golgatha.

Will jetzt ein Mund den Preis der Rose künden,

Nennt er gepaart Schiras und Golgatha.


Längst alles Land weitum ein sonn'ger Garten;

Es ragt kein Halbmond mehr, kein Kreuz mehr da!

Was sollten auch des blut'gen Kampf's Standarten?

Längst ist es Frieden, ew'ger Frieden ja!


Der Kedron blieb. Er quillt vor meinen Blicken,

Ins Bett von gelben Aehren eingeengt,

Wohl noch als Thräne, doch die dem Entzücken

Sich durch die blonden, goldnen Wimpern drängt!


Das ist ein Blühen rings, ein Duften, Klingen,

Das um die Wette sprießt und rauscht und keimt,

Als gält' es jetzt, geschäftig einzubringen,

Was starr im Schlaf Jahrtausende versäumt.


Das ist ein Glänzen rings, ein Funkeln, Schimmern

Der Städt' im Thal, der Häuser auf den Höhn;

Kein Ahnen, daß ihr Fundament auf Trümmern,

Kein leiser Traum des Grabs, auf dem sie stehn!
[151]

Die Flur durchjauchzt, des Segens freud'ger Deuter,

Ein Volk, vom Glück geküßt, an Tugend reich,

Gleich den Gestirnen ernst zugleich und heiter,

Wie Rosen schön, wie Cedern stark zugleich.


Begraben längst in des Vergessens Meere,

Seeungethümen gleich in tiefer Fluth,

Die alten Gräu'l, die blut'ge Schergenehre,

Der Krieg und Knechtsinn und des Luges Brut.


Auf Golgatha, in eines Gärtchens Mitte,

Da wohnt ein Pärlein, Glück und Lieb' im Blick;

Weit schaut ins Land, gleich ihrem Aug', die Hütte,

Es labt ja Glück sich gern an fremdem Glück!


Einst, da begab sich's, daß im Feld die Kinder

Ausgruben gar ein formlos, eisern Ding;

Als Sichel däucht's zu grad' und schwer die Finder,

Als Pflugscharr fast zu schlank und zu gering.


Sie schleppen's mühsam heim, gleich selt'nem Funde,

Die Eltern sehn es, – doch sie kennen's nicht,

Sie rufen rings die Nachbarn in der Runde,

Die Nachbarn sehn es, – doch sie kennen's nicht.


Da ist ein Greis, der in der Jetztwelt Tage

Mit weißem Bart und fahlem Angesicht

Hereinragt, selbst wie eine alte Sage;

Sie zeigen's ihm, – er aber kennt es nicht.
[152]

Wohl ihnen Allen, daß sie's nimmer kennen!

Der Ahnen Thorheit, längst vom Grab verzehrt,

Müßt' ihnen noch im Aug' als Thräne brennen.

Denn was sie nimmer kannten, war ein Schwert!


Als Pflugscharr soll's fortan durch Schollen ringen,

Dem Saatkorn nur noch weist's den Weg zur Gruft;

Des Schwertes neue Heldenthaten singen

Der Lerchen Epopee'n in sonn'ger Luft!


Einst wieder sich's begab, daß, als er pflügte,

Der Ackersmann wie an ein Felsstück stieß,

Und, als sein Spaten rings die Hüll' entfügte,

Ein wundersam Gebild aus Stein sich wies.


Er ruft herbei die Nachbarn in der Runde,

Sie sehn sich's an, – jedoch sie kennen's nicht!

Uralter, weiser Greis, du gibst wohl Kunde?

Der Greis besieht's, – jedoch er kennt es nicht.


Ob sie's auch kennen nicht, doch steht's voll Segen

Aufrecht in ihrer Brust, in ew'gem Reiz,

Es blüht sein Same rings auf allen Wegen;

Denn was sie nimmer kannten, war ein Kreuz!


Sie sahn den Kampf nicht und sein blutig Zeichen,

Sie sehn den Sieg allein und seinen Kranz!

Sie sahn den Sturm nicht mit den Wetterstreichen,

Sie sehn nur seines Regenbogens Glanz!
[153]

Das Kreuz von Stein, sie stellen's auf im Garten,

Ein räthselhaft, ehrwürdig Alterthum,

Dran Rosen rings und Blumen aller Arten

Empor sich ranken, kletternd um und um.


So steht das Kreuz inmitten Glanz und Fülle

Auf Golgatha, glorreich, bedeutungsschwer:

Verdeckt ist's ganz von seiner Rosen Hülle,

Längst sieht vor Rosen man das Kreuz nicht mehr.

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 149-154.
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Schutt
Sämtliche Werke 6: Schutt. Hg. von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]
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