Zweite Szene

[100] Wüste Küste in Ostfriesland.

Heinrich der Löwe liegt am Strande.

Mathildis, wieder in weiblicher Kleidung, steht neben ihm.


HEINRICH DER LÖWE.

Am Nordmeer liegt der Sachsenherzog, blickt

Ins unermeßliche Gewühl der Wogen, und

Sieht darin nur die eigene, vom Sturm

Empörte Brust!

MATHILDIS.

Dem Sachsenherzog steht

Zur Seite Englands Königstochter, und

Erkennet ihren herrlichen Beruf:

Sie wandelte aus ihres Vaters Thronsaal,

Mit ihrer Lieb der deutschen Helden Ersten

Im Mißgeschick zu trösten!

HEINRICH DER LÖWE.

All der Nord

Erzitterte vor meinem Fuß, wie vorm Erdbeben –

Jetzt hab ich nur die Stelle noch, auf der

Ich Hege! Meine Stimme scheuchte Ritter auf,

Die Möwe flieht jetzt nicht einmal vor ihr!

MATHILDIS.

Weit mächtiger als in des Glückes Schimmer

Durchtönt jetzt deine Stimme mir die Brust! –

So unermeßlich liebt dich die Gemahlin,

Daß sie sich stark glaubt, Land und Volk und Ruhm

Durch ihres Herzens Schläge zu ersetzen!

HEINRICH DER LÖWE aufspringend.

Ein Feind – ein Feind! Ich habe das Gehör

Des Kriegers auf der Wacht! – Gefährlich kriecht

Etwas heran!


[100] Landolph wankt in die Szene.


MATHILDIS.

Es ist ein Freund! Der Landolph! –

– Ach wie er blutet!


Zu Landolph.


Treuer, laß die Wunde

Durch mich verbinden!

LANDOLPH.

Wie? die Herzogin

Zerreißt den Schleier, um den armen,

Doch braven Landolph zu verbinden? Teuer,

Weit über euren Wert, bezahlt man euch,

Ihr Wunden!

HEINRICH DER LÖWE.

Landolph, lieber Landolph, lebt

Der Wilhelm noch?

LANDOLPH.

O Gott, wie würde er

Sich freuen, wenn er hörte, wie

Ihr noch nach seinem Tode nach ihm fragt!

HEINRICH DER LÖWE.

Dahin – dahin! – Stets einsamer und wüster!

LANDOLPH.

Herzog – noch einmal mußte ich dich sehn!

Du ahnst nicht, wie ich, als du noch in Füll

Und Glanz in deinem Braunschweig throntest, lechzte

Nach deinem Blick! – Ich schlief in prächtgen Träumen,

Wenn du des Tages einmal mir begegnet! –

– Zu Ende gehts! – Leb wohl! – Die Narben brechen

Mir unaufhaltsam auf – Herzog, halt' aus!

Der Welfe geht nicht unter! – – Treu war dir

Der Leu bei Askalon – so stark wie der

War Landolph nicht, so treu gewiß!

HEINRICH DER LÖWE.

Du sinkst? – In meine Arme!

LANDOLPH.

Ha, mir wird

Ein fürstliches Begräbnis: Herzogsarme!

Der Tod!

Hie Welf!


Er stirbt.


HEINRICH DER LÖWE.

Ich ward doch sehr geliebt!

MATHILDIS.

Du wirst es noch!

HEINRICH DER LÖWE.

Mathildis, daß auch du,

Mit meiner Macht, sie hast verloren! Daß

Auch du, statt einzuziehn als Kaiserin[101]

In Aachens Dom, mit mir mußt flüchten – O,

Gott weiß es, meine Schuld ists nicht – Ich stritt

Ja in der Weserschlacht fast übermenschlich!

MATHILDIS.

Ich lag verletzt vom Pfeil – doch in der Ohnmacht

Hört ich die Donnertöne deines Mutes!

In Ostreich, Böhmen und in Polen klingen

Die Glocken über die gefallnen Herrscher,

Und Jeder schreckt dabei vor deinem Namen! Seufz

Um mein Geschick nicht, und bedenke:

Die Tochter des Plantagenets bedurfte

Nach Reichtum nicht und Ruhm und Macht zu freien:

Sie wählte nur das Herz – So lang es schlägt,

Ist sie beglückt!

HEINRICH DER LÖWE.

Nach England denn!

Fahr ewig wohl, du deutsche, teure Küste!

Die Woge spült auf einem schwachen Kahn

Der Welfen letzten fort, wie eine Muschel!

MATHILDIS.

Nicht ewig Lebewohl dem Vaterlande,

Und nicht der Welfen letzter!

HEINRICH DER LÖWE.

Du errötest?

MATHILDIS.

Weg falsche Scham, wenn ich den Herzog kann

Erfreun! –


Leise.


Heinrich, ich fühle, unterm Herzen

Lebts mir. – –

HEINRICH DER LÖWE.

– – Ha, das ist Gottes Wink! – Mein

Geschlecht soll nicht verderben – es verdients

Auch nicht! Es strebte allzu groß! So weit

Die Erde sich, die Meere, dehnen, wollt

Es herrschen, und es wirds! –


Er küßt Mathildis auf die Stirn; dann in wilder Freude aufblickend und sich über die Felsen des Strandes beugend.


– – Was seh ich? – Wolken

Zerflattern! Tosend springen auf die Tore

Der Zukunft! Freudger Wahnsinn, Weib, umzuckt mich, oder

Ists Wahrheit?[102]

Ha! der öde Ozean

Wird weit und weiter und erfüllt sich – Wälder

Von nordschen Masten, statt des Laubs umrauscht

Von stolz geschwollnen Segeln, fliegen hin

Auf ihm – Die Windsbraut schadet nicht – Sie buhlt

Mit ihnen! – – Und der Wellen Rücken brechen

Wie Glas, so wie die Schiffe nahn! – Sinds Schiffe?

Sinds schwimmende Vulkane? – Feinde kommen!

Doch Lava strömt aus allen Schlünden,

Und Donner brüllen hinterdrein! – Die Gegner

Versinken! – – – Und in Siegesruhe wiegen

Sich wieder auf der See die Flotten, und das Wappen

Der Welfen flagget hoch an ihren Bäumen,

Den Szeptern aller Meere!

MATHILDIS.

Welfens Haus

Wird alle Welt bezwingen! Hohenstaufen

Ist nur die Wolke, die's auf einen Tag

Beschattet! – In den Kahn! – Das Glück verläßt

Uns nicht! An meinem Busen nähr ich würdige

Nachfolger!

HEINRICH DER LÖWE.

Ist es Ahnung? ists mein Geist?

– Noch immer ist mein Auge voll von mächtgen Flotten

Und weißen Segeln! – Nie verschwinden sie! – –


Er steigt mit Mathildis in ein Fahrzeug, und schifft fort nach England.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 2, Emsdetten 1960–1970, S. 100-103.
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