Zweite Szene

[430] Rom. Zimmer des Doktor Faust auf dem Aventin. Eine Lampe brennt.


FAUST erhebt sich vom Schreibtische.

Unselge Nacht, willst du denn nimmer enden?

– Weh mir, sie hat erst eben angefangen –

Noch schlugs kaum elf. Zurück zur Arbeit also.

– – Zur Arbeit! Zum Studieren! Schmach und Jammer!

Tödlicher Durst und nie gestillt! Sandkorn

Zum Sandkorn sammeln, grenzenlose

Und immer grenzenlosre Wüsten um

Sich her zu bauen, und sodann darin

Sich lagern, schmachtend und verzweifelnd! – Ha,

Ein Raubtier wird man, bloß um sich zu nähren!

Empfindungen, Gedanken, – Herzen, Seelen –

Den Menschen und das Leben, – Welt und Götter,

Ergreift es und erwürgt es sich zur Beute,

Und schreit vor Zorn und Hunger, wenn es kaum

Zehn Tropfen Bluts in ihren Adern findet.

– Wer hat gestrebt wie ich? Wo ist der Pfad

Der Kunst, der Wissenschaft, den ich nicht schritt?

Weit ferner, kühner (ohne Rühmen darf

Ichs sagen) drang ich darauf fort als all

Die Herren, die beim ersten Meilenstein

Umkehren, voll von ihrer Reise Wundern,

Und als gelehrte, selbstzufriedne Toren,

Von größern Toren angestaunt, sich brüsten!

– Ich aber wanderte und wanderte –

Es blieb die Sonne hinter mir zurück,

Und nur ein paarmal merkt ich, daß sie trübe,

Fast wie ein rotgeweintes Mutterauge,

Mir durch die Nebel nachsah. Weg mit ihr!

Es war ein schönres Licht, nach dem ich suchte!

Und schau, da ist das Ziel: vor mir der Abgrund,

In den die Ströme der Gedanken, des

Gefühles, brausend niederschäumen, ohne Rückkehr,

In dessen Brodem sich des Zweifels Hyder,[430]

Mit roter Zunge giftig flammend, windet

Und mästet! –

Golgatha,

Du Schädelstätte, wo das Licht der Welt

Der Todesnacht sich hingab, daß es sie

Verkläre – Auch dein Strahl dringt nicht hieher!

– Du großes Buch, du Bibel (Fels des Glaubens sagt man),

Von Varianten voll und Doppelsinn,

Voll Weisheit und voll sonderbarer Sprüche,

Mit keinem sichren Laubdach überwölben

In diesem dunklen Sturm mich deine Blätter;

Welk, trocken, fallen sie wie Laub des Herbstes,

Und wenn ichs nicht im Innern spüre, führen

Nicht tausend Bibeln, tausend Paradiese,

Nicht alle Ewigkeiten mich zum Heil! –

– – O, welche Flammenschrift brennt mir im Haupte?

»Nichts glauben kannst du, eh du es nicht weißt,

Nichts wissen kannst du, eh du es nicht glaubst

Kein irdscher Geist, der dieses Rätsel ahnt,

Und nicht nach seiner Lösung seufzte, – Keiner,

Der sie gefunden, – Selig die, die schwach

Genug sind, um vom Schein geblendet, Schein

Für Licht zu halten, – blindlings glauben, weil

Sie blindlings hoffen! Die schlaftrunknen Seelen!

– Doch lieber will ich unter Qualen bluten,

Als glücklich sein aus Dummheit! – Erdball, Boden,

In dem ich wurzeln muß, der mich geboren –

Ein ausgerißner, ausgedorrter Stamm

Bin ich, wenn ich in deinem Mark den Fuß

Nicht fassen, Kraft und Freude nicht draus ziehn kann,

Wenn ich entwurzelt mich in jenen Abgrund,

Der bläulich über unsren Scheiteln dämmert,

Voll der bigotten Hoffnung stürzen soll,

Daß dort in wüster Unermeßlichkeit

Und Ferne, aufzufinden sei, was ich

Im nahen, engen Raum nicht finde!

Nah!

Was ist mir näher als das Vaterland?

Die Heimat nur kann uns beseligen,

Verräterei, die Fremde vorzuziehn!

Nicht Faust wär ich, wenn ich kein Deutscher wäre![431]

– O Deutschland! Vaterland! Die Träne hängt

Mir an der Wimper, wenn ich dein gedenke!

Kein Land, das herrlicher als du, kein Volk,

Das mächtger, edler als wie deines! Stolz

Und stark, umkränzt von grünen Reben, tritt

Der Rhein dem unverdienten Untergang

In Niederlandens Sand entgegen, – kühn

Und jauchzend, stürzt die Donau zu dem Aufgang –

Unzählge deutsche Adern rollen grad

So stolz und kühn als Deutschlands Ströme! – Schau,

Hoch über dem eiszackigen Gebirg

Tirols, erhebt der Adler sich zur Sonne,

Als wäre da sein heimatlicher Horst, –

Die Berge schrumpfen unter seinem Blick

Zu Stäubchen ein, – tief unten aber in

Tirols beengten Tälern, schlägt für Kaiser

Und für Ehre manches Herz weit höher als

Der Adler wagt zu steigen –

Selbst dies Rom,

Wer wars der diesen Käfig brach, in dem

Die Nationen römisch erst, und dann

Papistisch siegen lernten? Ha, hier war es,

Wo Alarichs, des gotischen, wo Karls,

Des fränkschen Landsmanns, wo der Hohenstaufen

Siegsrauschende Paniere flatterten,

Geliebkost von der heißen Luft, die einst

Die Kön'ge tötete!

Hier ist es, wo

Sankt Peters Kuppel sich emporgewölbt,

Den Blick der Menschheit ins Endlose auf-

Zufangen, – schmählich jetzt geborsten vor

Dem Donnerrufe, der aus Wittenberg,

Aus meiner Vaterstadt, aus Luthers Munde,

All meiner Zeitgenossen größten, über

Die Alpen furchtbar herklang!

– Und – doch o doch! –

Auch Luther, du! den Wahn hast du verjagt,

Zermalmt, zernichtet hast du wie der Blitz,

Nur etwas andres, Wahrheit, die besteht,

Beruhigt, hast du nicht gegeben – Offner

Als je tut sich vor dem enttäuschten Auge[432]

Die Tiefe auf – Zertrümmern, mit den Trümmern

Ein Trümmerwerk erbaun, das kann der Mensch,

Das kann er mit den Körben oder Eimern,

Durch die er Stein zum Steine, Tropfen trägt

Zum Tropfen, die er Kunst und Wissenschaft

Benennt!

Aus Nichts schafft Gott, wir schaffen aus

Ruinen! Erst zu Stücken müssen wir

Uns schlagen, eh wir wissen, was wir sind

Und was wir können! – Schrecklich Los! –

– Doch sei's!

Es fiel auch mir und folg ich meinen Sternen! –

Deutschland! Vaterland! – und nicht einmal –

Im Schlachtfeld konnt ich für dich kämpfend fallen –

Du bist Europas Herz – ja ja, zerrissen,

Wie nur ein Herz es sein kann!

– – Roma du!

Dem Vaterland entfloh ich, als es mich

Nicht konnt befriedigen, – Ich floh zu dir,

In mir die ganze Menschheit aufzunehmen,

Und mich in dem Genuß zu sättgen, – denn

Du Rom! bist der zerbrochne Spiegel der

Umfassendsten Vergangenheit, und Heldenbilder,

Im Glanz des Blutes der Nationen und

Der eingebornen Bürger funkelnd, tauchen

Aus dieses Spiegels Scherben mehr und mehr,

Je tiefer man hineinblickt, gleich den Sternen

Aus dunkler Nacht! – Du bist die Stadt, wo sich

Im Augenblick Jahrtausende verschmelzen:

Papst auf dem Kapitol, und auf dem Pantheon

Efeu von gestern!

Roma, Herrscherin

Der Welt! Weh, dreimal Weh ihm, der gleich mir

Zu dir gekommen, daß du ihn erhebest!

Die Reiche alle sanken hin vor dir zu Staub –

Warum? weiß niemand! Denn du warst nicht besser

Als sie! – Und als dein Schwert nun alles

Dir errungen, fielst du auch mit allem wieder

In Nacht und Barbarei – Aus dieser quoll[433]

Ein neues Blut, ein neues Licht hervor, –

Umsonst hast du gestritten und gewürgt –

Der Klang nur von zerrißnen Geistesfesseln,

Die du um halb Europa wandest, ist

Geblieben – Frankreichs, Spaniens,

Italiens Sprachen!

Haben denn die Schlachten,

Hat der Ruin der Völker nur den Zweck

Von Märchen, die erfunden zur Belehrung?

Sind Weltbegebenheiten weniger

Als Weltgeschichte? Jammer über uns!

Denn die Geschichte hat die Menschheit nie

Gebessert! – Nur ein Don Juan vermag

Inmitten unter der Zerstörung Lava

An Millionen Blumen sich vergnügen,

Und nicht bedenken, daß es viele zwar,

Doch alle auch vergänglich sind, – daß wohl

Zerstreuung, aber keine Sicherheit

Und Ruhe da zu finden, wo die Eine,

Die Unverwelkliche nicht blüht! –

So sei's denn!

Länger ertrag ichs nicht! Ich sucht die Gottheit,

Und steh am Tor der Hölle – doch noch kann

Ich weiter schreiten, weiter stürzen, wär

Es auch durch Flammen – Ziel, ein Endziel muß

Ich haben! – Gibt es einen Pfad zum Himmel,

So führt er durch die Hölle, mindestens

Für mich –

Wohlan, ich wag es!

Nicht erlernt

Ich die Magie, mit der ich an den Wurzeln

Des Erdballs rütteln, Sterne löschen kann

(Nur meine Zweifel nicht), auf daß sie nutzlos

Als Theorie versaure – Ha, dort liegt

Mein Höllenzwinger (ach! kein Herzbezwinger!) –


Windsbrausen hinter der Szene. Faust tritt ans Fenster.


Hum,

Spürt ihrs, was ich beginne, Elemente?

Bleich glänzt der Mond und furchtsam fliehn

Die Wolken unter ihm dahin –


Er tritt wieder zurück, nimmt den Höllenzwinger, einen mit[434] Ketten umwundenen Folianten, aus dem Verschluß, und legt ihn auf den Tisch.


Laß fliehen!

– Aufschlag ich es das Buch der Tiefe –


Er schlägt den Höllenzwinger auf; sogleich erlöscht das auf seinem Tische brennende Wachslicht.


Was da? Erlöscht das irdsche Licht? Meinthalben!

Nichts konnt es bei zahllosen Nachtwachen,

Am Pulte überstanden, mir erhellen –

– Ein andres ewges Licht, aus jenen Schachten,

Worin die Mittagssonne sich auf stets

Verdunkeln würde, ruf ich mir zu Diensten!

– Herauf, und leuchte mir!


An der Stelle, wo Fausts Licht erloschen ist, steigt eine glutrote Flamme auf und leuchtet ihm während der ganzen folgenden Szene. Faust faßt sich, wie schwindelnd, an die Stirne.


Weh! Funken der Hölle!

Bin ich verloren?

Mut! Mut! vorwärts!


In den Höllenzwinger blickend.


Welche

Schriftzüge! Ich, ich selbst wars, der sie malte –

Und jetzt! – Verwünscht, der Mensch erkennt nur dann,

Wann ers bereits getan hat, das was er

Getan, und Teufelshände

Sind öfters unsichtbar im Spiel! –


Wieder im Anschauen des Buches verloren.


– Wie giftiges Gewürme windet, dreht

Sichs hier – dazwischen schwefelhafter Schimmer!

– O Unheil und Verzweiflung! Was sind Tiger?

Was sind Alligatoren, Krokodile?

Nichts! nichts! 'Ne Albernheit, ein wahrer Spaß

Hiergegen! – Dampf umweht mich, den kein sterblich

Gemüt erträgt!


Vom Buch auffahrend und in die Leere starrend.


Ich sehe sie: die Pforten

Der Hölle! Ehern, brennend heiß, – vom Feuer,

Das hinter ihnen lodert, hoch gerötet

Gleich glühnden oder überschminkten Wangen

Der Jungfraun oder Huren! – Alles eins![435]

Weh dem, der je zurückblickt!

An klopf ich, bebt' die Erd auch auf! – Adieu

Ihr Engel, lieben Kinder, gute Nacht!

Fort mit den Träumen, womit ihr mich oft

Umgaukelt habt und bitterlich getäuscht, –

Erwachen, wissen, daß ich wach bin, will

Ich, sei es auch durch Stich der Höllenqualen!


Feierlich und sehr ernst, die Hand auf den Höllenzwinger gelegt.


Satan! bei jenem Namen, welcher dir

Allein gebührt, – vor dem du stets erbleichst,

Der ewig donnernd dir im Herzen rollt, –

Den nie ein Mensch gehört, – der größer ist

Als du, der du ihn trägst, – der hier gezeichnet

Steht, ruf ich dich, erschein, erschein und leist

Mir deine Dienste!


Wieder in die Leere starrend


Ha! auseinander fahren

Die Schreckenspforten! – Welch Gerassel! –

Ein Flammenstrom stürzt ein auf meine Brust –

Armselge Flammen, – ihr, ihr wärt's, mit denen

Die Gottheit die Verruchten droht zu strafen?

O meine Brust brennt heißer als wie ihr!

– Doch schau! Da kommt es! kommt es! Eine Schlange

Mit gelbem Auge, – schuppig, – mit dem Schweif

Die Sterne peitschend und den Tartarus,

Bewegt sich her – die Luft wird mir zu enge –

Ich kann nicht atmen – schon umklammert

Das Ungeheur mein Haus, mich von der Welt

Absondernd, wie der Meeresarm das fern

Entlegne Eiland!


Die Glocke schlägt zwölf Uhr nachts. Faust horcht auf.


Weh mir, dieses war

Der letzte Klang, der hoch vom Turm, mir aus

Der Menschheit Kreis entgegenschallt! – Sie hat

Geschlagen, meine letzte, unter Menschen

Menschlich verlebte Stunde!


Es wird dreimal stark an die Tür gepocht, jedesmal begleitet von einem heftigen Donnerschlage.


Horch! das sind

Die Glockenschläge, die ich fortan höre! – –

– Er naht, der Feind! – Nicht Hülfe ruf ich! – Eher[436]

In Tod und Ohnmacht, als in Furcht! – Herein!


Er stürzt ohnmächtig auf einen Sessel.

Ein Ritter, mittleren Alters, bleichen Gesichts, nach Sitte des sechzehnten Jahrhunderts, jedoch durchaus schwarz gekleidet, tritt herein.


DER RITTER.

Wie? in Betäubung fällt der stolze Rufer,

Da wir uns nähern? Also viel Geschrei

Und wenig Kühnheit –


Den Faust rüttelnd.


Hund, erwache!

FAUST aus der Betäubung sich aufrichtend.

Wer –

Wer nennt mich Hund? – Du Viper? Zittre vor

Dem Fußtritt deines Herrn.

DER RITTER.

Herr, Herr, Ihr lagt

Vor Eurem Knecht in tiefer Ohnmacht!

FAUST.

Einmal,

Und nimmer wieder! Nur mein Körper, nicht

Mein Geist war schwach. Dein Anblick war abscheulich.

DER RITTER.

Der Torheit! Nicht das Auge, nur der Geist

Dahinter, sieht! Entschuldigt Eure Schwäche

Nicht mit der reinen Brill in Eurem Haupte.

FAUST.

Wo denn die Trennung zwischen Geist und Körper?

DER RITTER.

Eh ich Euch Antwort gebe, muß ich wissen,

Wozu Ihr mich berieft? auf welcherlei

Bedingungen?

FAUST.

Wer mit dem Teufel dingt,

Der wird betrogen.

DER RITTER.

Auch der weise Faust?

FAUST.

Er wird es darauf wagen.

DER RITTER.

Gut, so greift

Das Nächste und erreicht dadurch die Ferne.

Hier meine Hand – Nur nicht davor gezagt

Ihr seid ja kein Trabant von ihm, mit dem

Sie einst gerungen hat, und ringen soll,

Bis meine Herrschaft sieget oder seine!

FAUST.

Des Renommisten! Du bist längst besiegt!

DER RITTER.

Besiegt? Ha, Frevler – –


Wieder mit Kälte und Ruhe.
[437]

Ja, wir stürzten – Zufall

Entscheidet oft das Los der Schlachten, – List

Bewältigte uns auch, – Er wollte herrschen,

Ich wollt es auch, der Gleichberechtigte –

Doch ich war offen, und Er heuchelte –

Er hieß die Fesseln »Liebe« und sieh da,

Es waren Toren allerwärts, die über

Dem Klang des Wortes den der Kette nicht

Vernahmen – doch die Nacht ist unerschöpflich,

Das Licht bedarf der Nahrung und erlischt

Deshalb gar leicht aus Mangel. – Sterne, Sonnen

Verkohlen, Liebe sättigt sich, – es dringt

Das alte Dunkel, womit wir die Welt,

So weit sie sich auch dehnt, umlagern, schnell

Hervor, wo etwas einbricht. – Er muß sich

Schon wieder wehren, und wir greifen wieder

An! Dicht am Himmel, keinen Fingerbreit

Davon entfernt, stehn unsre Throne. – Zeig

Das Herz mir, sei's auch ausgestopft und glatt

Gesalbt mit gleißendsten Erbauungen

Des Katechismus, das in seinen Schlünden

Nicht auch für uns ein winklig Plätzchen hätte!

FAUST.

Du sprichst von Finsternis, und ich will Helle!

DER RITTER.

He, Doktor! ists die Nacht nicht, die das Licht

Gebärt? Steh ich nicht hier, weil jener Schein,

Womit sie Euren Horizont umfärben,

Nur Blendwerk ist auf schwarzem Grunde? Wollt

Ihr jene Lava-Adern nicht erspüren,

Die in der Nächte tiefster rollen, alles

Entzündend, aber alles auch entzückend?

FAUST.

O welche Wonne! welcher Hochgenuß!

Könnt ich euch fühlen, tiefste Pulse der

Natur!

DER RITTER.

Ihr sollt sie fühlen, Doktor –


Für sich.


wenn

Du dir dabei den Finger nicht verbrennst.

FAUST.

Gewagt, gewonnen! Ewigkeiten weg

Für Augenblicke! Lieber bare Münze[438]

Als zweifelhafte Schuldanweisung für

Die Zukunft! Du bist mein in diesem Leben,

Ich dein im Tode! –

Dafür aber fodr ich

Die ganze Kraft, die dir als Cherub einwohnt,

Fodr ich, daß du mit deinen mächtgen Flügeln

Mich von des Wissens Grenzen zu dem Reich

Des Glaubens, von dem Anfang zu dem Ende,

Hinüber suchst zu tragen, – daß du Welt und Menschen,

Ihr Dasein, ihren Zweck mir hilfst enträtseln, –

Daß du (der Theorie nur halber, denn

Die Praxis geb ich auf, seit ich mich dir

Ergeben) mir, und wärs beim Schein der Flammen,

Den Weg zu zeigen suchst, auf dem ich Ruh

Und Glück hätt finden können!

DER RITTER.

Kleinigkeit!

Sehr große Kleinigkeit!

FAUST für sich.

Zweideutler!

'Ne Kleinigkeit – doch warum eine große?

DER RITTER.

Doch erst ersuch ich dich (wir stehn ja nun

Auf du und du) um ein paar Tropfen Bluts,

Das Pakt zu unterschreiben. Hier Feder,

Hier Papier!

FAUST.

Alles bei der Hand? Viel Vorsicht!

DER RITTER für sich.

Und desto wen'ger Nachsicht!

FAUST verwundet sich an der Hand, und unterschreibt das Papier mit seinem Blute. Dann gibt er es dem Ritter zurück.

Nimm sie hin

Die alberne Formalie.

DER RITTER für sich.

Er ist mein!


Laut.


Nun sollst du –

FAUST.

Soll? Sklav, welch frecher Ton?

Was soll ich? Wer befiehlt mir?

DER RITTER.

Doktor, Meister,

Ich lieg vor dir im Staube!

FAUST.

Lieg und zittre!


Für sich.


Ha,

Die Schlange! Krümmt sie sich nicht nieder, wie

Zum Sprunge? O wie furchtbar wird sie sich

Aufrichten, wenn die Zeit dazu gekommen! –

DER RITTER.

Mein lieber Doktor, wissen willst du, was[439]

Das Glück ist? Glück ist die Bescheidenheit,

Mit der der Wurm nicht weiter strebt zu kriechen,

Als seine Kraft ihn trägt, – Glück ist es, gleich

Dem Don Juan (von dem du viel magst lernen)

Stets zu genießen und den Magen nicht

Verderben, – Unglück ist es, daß dein Geist

Zu schwach ist zur Verdauung irdischer

Gesunder Speisen, und daher Luftbilder

Aufschnappt –

FAUST.

Und Glück ist es für Euch, Herr Ritter,

Daß Ihr so traurig liegt vor mir am Boden,

Daß ich mich schäme, für das geifernde

Salbadern, das Ihr auskramt, Euch zu züchtgen. –

– Elender Tor, was du da sprichst, das prüft

Ich längst. – Wo denkst du hin? Gut weiß ich es:

Die Hölle ist der beste Prediger

Der Christenheit, – man fürchtet sie! – Doch nur

Der aufgeblasne stolze Teufel selbst

Kann wähnen, daß der Faust, vor dem er wimmert,

Von ihm sich schrecken ließe!

DER RITTER.

Wimmert! Wimmert!

Man wimmert auch nach Rache! – Wimmert! – O

Ihr meine Hände reckt euch auseinander,

Und packt ihn und durchkrallet seine Brust!

FAUST.

Ruhig! Droh mit den Tatzen nicht! Ich möchte

Drauf schlagen! Noch bin ich der Herr! – Erfüll

Das Paktum!

DER RITTER sich erhebend.

Leicht geschehn! Du brauchst nicht weit

Zu fliegen – willst du glauben, willst du lieben,

Nun so verlieb dich in die Donna Anna,

Das schönste Weib, das je in Rom gewandelt.

Den ganzen Rummel hast du dann auf einmal:

Denn wer verliebt ist, seufzt und hofft, und glaubt

Und jauchzt!

FAUST.

Entriß ich dich dem Schwefelpfuhl,

Daß ich in eines Mädchens Kreis mich bannen,

Daß ich Stecknadeln lösen sollte, statt

Der Riegel, womit die Geheimnisse[440]

Des Alls verschlossen sind?

DER RITTER.

Es kommt die Stunde,

Wo dir der Donna Anna Busennadel

Weit mehr verschließt, als dir die Welt kann geben!

FAUST.

Hinweg! – die Welt durchgründet! –

Hoch, die Kuppe

Umstäubt von Sonnen, wie von Flocken Schnees,

Erhebt sich über uns der Äther – Dunkel

Und immer dunkler, ein schwarzfinstres Auge,

Aus dem verborgne Tücke späht und droht,

Tut sich die Tiefe auf –

DER RITTER.

Sie tuts! – Du bebst?

FAUST.

Was beben! Freude klopft in meiner Brust!

Umfasse mich! – Hinunter zu der Hölle – dann

Zurück zu der Gestirne Höhen! – Hat

Die Tiefe festen Grund, so soll mein Fuß

Ihn treten, hat die Höhe freie Aussicht,

So soll mein Auge darin schwelgen!

DER RITTER.

Recht!

Nur fürcht ich, daß dein Fuß am Grund

Der Tiefe schwankt, und daß dein Auge, bei

Der Aussicht von der Höhe, schwindelt.

FAUST.

Wer war es, der die Pulse der Natur

Erst eben noch mir zeigen wollte?

DER RITTER.

Doktor,

Ich war es! Doch bedenke, Menschlein, – nur

In Übergängen wirds dir ungefährlich,

Den Anblick der entschleierten Natur

Zu tragen. Wenn du da, wo im Gewühl

Die Sonnen fliegen, die Kometen lodern,

Milchstraßen gleich Heerstraßen hin zum Thron

Der Geisterfürsten flammen, plötzlich einsam

Wirst wandeln, wird es, mit Vergunst zu sagen,

Dir ohngefähr ergehen, wie der Katze

Im Regenwetter. Ängstlich wirst du laufen,

Mit trockner Pfote Obdach zu erreichen!

Du wirst mir leid tun.

FAUST.

Durch den Staub der Bücher

Bin ich gekrochen, und bin nicht erstickt –

Frei atm ich in der Glut des Firmaments!

– Dein Mitleid spar – ich mags nicht – hab ich Leid,[441]

So solls mein eignes sein – ein fremdes würd

Es nur verdoppeln, Ritter!

DER RITTER.

Kräftig

Gesagt! – So faß mich! – Schau, mein Mantel weht

Um dich gleich einem Rabenfittig – Treu

Wird er uns in der Schwebe halten – Erde

Zur Seite! – Horch, es nahen Tritte – Erst

Hinunter, dann hinauf, wie du geboten!


Er versinkt mit Faust.

Der Gouverneur, Don Octavio und Diener treten ein.


DER GOUVERNEUR.

Das ist des Zauberers Gemach. – Ha, welch

Ein Dampf! Ein Dämon muß es sein, der hier

Geatmet hat!

DON OCTAVIO.

Wie Pesthauch qualmts!

DER GOUVERNEUR.

Faust ist

Verschwunden. – Hat das Zimmer einen Ausgang?

DON OCTAVIO.

Ich sehe nur die Tür, durch die wir kamen.

DER GOUVERNEUR.

So fuhr er zu der Hölle!

DON OCTAVIO.

Vater, bleich

Und bleicher werdet Ihr!

DER GOUVERNEUR.

Auch du erbleichst!

DON OCTAVIO.

Hier ist nicht gut sein – Fort!


Während er den Gouverneur wegführt, wendet er sich noch einmal um zu den Dienern.


Die Fenster öffnet! –

– – Beinahe glaub ich selbst an Zauberei.


Alle ab.
[442]

Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 1, Emsdetten 1960–1970, S. 430-443.
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