Erste Szene

[470] Rom. Platz vor einem der nördlichen Tore. Nacht, jedoch nicht sehr finster.

Der Gouverneur, sein Diener Gasparo, Don Juan und Leporello, treten auf.


DER GOUVERNEUR.

Sind wir hier ungestört, Gasparo?

GASPARO.

Ja.

DER GOUVERNEUR.

Dann Don Juan entblößt Eur Schwert.

DON JUAN.

Ist leicht

Geschehn. Nicht schämt es sich der Nacktheit.

LEPORELLO für sich.

Wenn es

Errötet, ists vom Blute.

DER GOUVERNEUR.

Die Erinnrung

An Donna Anna, an Octavio

Umschwebet meine Klinge.

DON JUAN.

Amen. Schlecht

Und unnütz tönt das Wort zum Schall des Stahls.

– Zur Sache, Herr – jetzt wehrt Euch, ich greif an!


Gefecht.


LEPORELLO.

Ha, erster Gang! – Der Alte wehrt sich tapfer.

– Der zweite Gang – Und noch ists nicht zu Ende?

– Herr, Herr, macht schnell, sonst kommt die Polizei,

So träge sie auch ist. – Der dritte Gang!

DON JUAN.

Da sitzt es!

LEPORELLO.

Drei sind aller guten Dinge!

DER GOUVERNEUR.

Es ist geschehn um mich – Holt einen Priester!


Gasparo ab.


DON JUAN.

Wo nichts mehr helfen kann, da ruft man Pfaffen![470]

Und das ganz folgerecht. Denn niemand hilft

So wenig als ein Pfaffe.

DER GOUVERNEUR.

Ehrenvoll,

Nach dem Gebrauch, in dem ich auferzogen,

Im Zweikampf fall ich – Und nun ists mir doch,

Als wäre Sünde jeder Kampf ums Leben,

Man nenn ihn Zweikampf oder Mord –

– O Christus, Heiland, öffne huldreich mir

Des Himmels Tore, und verzeih dem Greis,

Daß er dem Vorurteil der Jugend folgte,

Und darin hinsank!

Jesus! süßer Trost,

Dein Name schon stillt meine Furcht –

Ich fühls mit Scham und fühls mit Lust: wie winzig

Sind unsre Fehler gegen Gottes Gnade –

Nur Tropfen stürzend in den Ozean!

LEPORELLO.

Herr, fort – hört wie die Pferde stampfen, schnauben!

Sie riechen Blut und Blutbann!

DON JUAN.

Gleich – doch sieh,

Der Alte will mit mir ein Wort noch wechseln.

DER GOUVERNEUR.

Du, Don Juan, sieh diesen Blutstrom – Laß

Wie Lava ihn in deinen Busen dringen,

Und dessen Finsternis mit Flammenrot

Erhellen, grad wie mich dein Blut auch würd

Entsetzen, wenn ich Sieger wäre – Und

Dann denk an Gott, an dein Vergehen – denk

An meine arme Tochter – Nicht verfolg sie –

Vielmehr errett sie von dem Faust, und führ

Sie ins Asyl des Klosters.

DON JUAN.

Euch im Tod

Belügen, ist mein Wille nicht. Deshalb

Vernehmt: daß Eure Tochter Nonne würde,

Wär schade um sie selbst, – sie ist zu schön,

Um ungebraucht zu welken. An Betschwestern

Erkenn ich alte Buhlerinnen, ganz so sicher,

Wie an den Scherben eingeschlagne Töpfe.

Und Donna Anna ist noch immer rein

Und edel. – Mein Vergehen? Was versteht

Ihr unter dem? Denn was ich einst getan,[471]

Das wißt Ihr nicht, und was ich heute tat,

War alles sehr natürlich; das Natürliche,

Mein guter Alter, ist auch wohl das Rechte.

Ich liebte Anna – ist sie denn nicht hübsch?

Octavio wollte sie durch Heirat mir

Entreißen, – wars nicht klug, daß ich dem wehrte?

Ihr fordertet mich zum Duell, – ich mußte

Mich wehren, sei's auch, daß ich Euch erschlug.

Zwar glaubt Ihr, daß das Recht auf Eurer Seite

Gewesen, – doch ich glaub, es war auf meiner.

Das Recht ist hundertfach und jeder übt

Sein eigenes. Mich leitete, was Euch,

Was mich, was jeden Erdbewohner führt,

Nur nennt man es verschieden. – Warum betet

Der Priester? Warum quält sich der Geschäftsmann?

Weswegen schlägt der König seine Schlachten,

Den Blitz und Donner an Zertrümmerung

Und Tosen überbietend? Weil sie endlich

Vergnügt sein wollen. Stets ruf ich den Wahlspruch:

»König und Ruhm, und Vaterland und Liebe«,

Doch darum nur, weils mir Vergnügen macht,

Dem Inhalt dieser Worte mich zu opfern!

DER GOUVERNEUR.

O meine Tochter! –

Nicht willst du den Trost o

Mir geben, daß du von ihr abläßt?

DON JUAN.

Nimmer!

DER GOUVERNEUR.

So höre denn, was ich als halbe Leiche

Noch zu dir rede: durch die Todesnacht

Zuckt es wie Blitzstrahl – es lebt ein Gott –

DON JUAN.

Meinthalben!

Die Erde ist so allerliebst, daß mir

Vor lauter Lust und Wonne Zeit fehlt, um

An den zu denken, der sie schuf. Ists Gott –

Nun um so größrer Ruhm für ihn – den Koch

Lobt man mit dem Genusse seiner Speis

Am besten.

DER GOUVERNEUR.

Don Juan, dir ist der Frevel – Scherz!

Des Schwiegersohns, des Vaters Tod, verhöhnst

Du in der Hoffnung, ein schuldloses Mädchen[472]

Zu rauben. Glaub mir aber, sterbend spür

Ichs nur zu deutlich: es gibt einen Ernst,

Der mehr bedeutet als wie das Vergnügen,

Die Tugend nur ist unvergänglich, nicht

Die Lust, mehr als das Leben ist der Tod,

Und die Vergeltung ist unsterblicher

Und schrecklicher als die Beleidigung!

DON JUAN.

He, Leporello! Haben wir noch Zeit,

Den Moralisten weiter anzuhören?

LEPORELLO.

Mein Gott, schon kommen Leute!

DON JUAN.

Don, sterbt wohl –

Seht dort das Pantheon, und denkt, in Rom

Woll Sterben eines einzelnen nicht gar

Viel sagen. Für die Lehren habet Dank.

Die Donna Anna such ich auf, und hoff

In ihren Armen seliger zu ruhn

Als Ihr im Paradies in Gottes Anschaun.


Mit Leporello ab.


DER GOUVERNEUR.

Er trotzt! – Bald steh ich vor dem Thron, von welchem

Die Gnade niederflammt, die Rache –

Dort denk ich deiner, Juan! – Weh, meine Sinne

Vergehn – Wo bin ich? – Löwenzungen funkeln

Und lecken – scheußliches Gewürm kriecht über

Die Brust mir –

Ha! – Ja – Vaterland,

Und Donna Anna – Waren das nicht Worte,

Die ich einst hörte oder einst gesprochen? – – –


Er stirbt.

Gasparo kommt mit einem Priester zurück.


GASPARO.

Er ist schon tot.

DER PRIESTER.

Wir sind zu spät gekommen.

Allmächtiger! verzeih ihm seine Sünde!

GASPARO.

Die Bitt ist unnütz. Ich dien ihm lange

Und wüßte keine Sünd, die er vollbracht.

DER PRIESTER.

Wie? Eben fiel er erst im Zweikampf!

GASPARO.

Herr,

Er fiel im Kampf um Don Octavios Blut

Und Donna Annas Ehre.

DER PRIESTER.

Nicht dem Menschen,

Der Gottheit nur geziemt die Rach und Strafe.[473]

GASPARO.

Der Gouverneur dacht anders. Weil die Gottheit

So selten straft, so meint' er wohl, es wär

Recht gut, wenn auch der Mensch ihr etwas nachhülfe. –


Er und der Priester tragen den Leichnam fort.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 1, Emsdetten 1960–1970, S. 470-474.
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