Dritte Szene

[482] Wilde Gegend am Montblanc.

Don Juan und Leporello treten auf.


LEPORELLO.

Nie kommt Ihr zu dem Zauberschloß des Faust –

Wir sind so hoch schon, daß gleich Königen

Auf Thronen uns der Atem ausgeht,

Und dennoch sehen wir noch nichts. – Laßt uns

Zurück – Hier ist kein Hüttenbauen.

DON JUAN.

Sehr

Gefällts mir hier – Nicht einen Schritt sind wir

Des Lebens sicher – Schluchten gähnen bergtief

Unter dem dünnen Schnee – Freund, da nur, wo

Es in Gefahr gerät, bekommt das Leben

Ein wenig Wert.

LEPORELLO.

Ja wohl: denn da nur, wo

Das Geld zur Neige geht, wünscht mans am meisten.

Laßt uns umkehren, Herr!

DON JUAN.

Noch kann ich weiter!

LEPORELLO.

Mein Gott, so seht doch nur! Wir ließen schon

Die letzten Wolken unter uns zurück, und stets

Wächst noch des Berges Gipfel hoch und höher!

Wenn man hinauf sieht, ists, als drehte

Die Welt sich wie ein Eimer um, als ob

Die Höhe, Tiefe würd, als könnt ich in

Den Himmel fallen!

DON JUAN.

Davor sei nicht bange; –

Jedoch der Ausdruck war originell –

Dies Goldstück nimm dafür.

LEPORELLO.

Dieses Goldstück?

Säß ich mit ihm im Gasthaus hinterm Ofen!

– Hier aber: – rings umher nichts Lebendes,

Nur Frost und Schnee – die Alpenrücken wie

Erstarrte Walfischrücken in dem Eismeer

Allüberall – und wir dazwischen, einsam

Wie die unschuldgen Fliegen in der Milch –

Wahrlich, als mich Mama mit Qual geboren,

Nicht ahnte sie, daß ihr unselger Sohn[482]

In solche öde Situation geriete –

O meine gute Mutter – Herr, ich weine!

DON JUAN.

Da muß ich lachen! – Zeig mir doch die Träne,

Die echte Alpenfrucht – ich liefere sie

Ins Naturalien – Kabinett.

LEPORELLO.

Erbarmen, Herr!

Kehrt um! – Ich lob es allen Heiligen,

Daß ich, werd ich aus dieser Not erlöst, –

Mit – der – Lisette mich – verheirate!

DON JUAN wird auf einen Augenblick ernsthaft.

Auf Ehre, das ist viel! Totschlag von Räubern

Ist Kleinigkeit, doch Heirat! Heirat! Ha

Das ist der Winter, der wohl mit der Kraft

Des Eises, die bewegte Well des Bachs

Anfesselt, doch sie auch erstarren macht –

Das ist der frevelhafte, künstliche

Versuch, die freiste göttlichste Empfindung,

(So zart, daß bei dem leisesten Berühren

– Erfuhr ichs selbst nicht schon? – sie in das Nichts

Verfliegt, wie Pulver vor dem Feuer,) aus

Der Waldesfrei' in die Familienstub

Zu locken, – das heißt, Nachtigallen zu

Hausvögeln machen, – eine Glut, die nie

Gewohnheit werden kann noch darf,

Bei der man, auch wenn sie nur augenblicks

Gleich einem Blitzstrahl uns durchbebt, vor

Vernichtung zittert, zum Gewöhnlichen,

Gemeinen, zu erniedrigen – Ein Frosthauch

Weht tötend hier um uns – Allein er ist

'Ne Flamme gegen den Gedanken an

Verheiratung. – Ha! das Mädchen, das

Ich lieb, umarme, das ich hasse oder

Das Geld hat, heirat ich!

LEPORELLO.

Herr, das trifft zum Teil

Bei meiner Heirat mit Lisetten trefflich.

Ich hasse sie, wie eine Kröte. Ihr versteht

Mich schon, wenn ich erläutere: das Geringe,

Was ich an ihr zu lieben hatte, ist genossen,

Und Speise, wißt Ihr, ißt man niemals doppelt.


Don Juan will weitersteigen. Leporello hält ihn zurück.
[483]

LEPORELLO.

Herr, halt! – Da klafft ein Abgrund

DON JUAN.

Den umgehn wir!

LEPORELLO.

Und seht! Jenseits bricht jemand durch die Felsen,

Als wärens dünne Hecken.

DON JUAN.

Sicher

Der Teufelsritter, der den Aufenthalt

Der Donna uns verriet, und seine Hülf

Uns anbot.

FAUST erscheinend.

Menschenkind, der ist es nicht;

Der büßt bereits an der verdienten Strafe.

Faust ist es selbst.

DON JUAN.

Faust selbst! Ei, welcher Held!

Ich bin der Don Juan, und bin es selbst!

LEPORELLO.

Don, laßt uns laufen – 's ist ein Zauberer –

Er kann uns töten, uns verderben – Euch

In einen Hasen, mich zum Löwen wandeln.

DON JUAN.

Hohn biet ich aller Zauberei! Sie mag

Spaß machen, gaukeln, Stirnen, Angesichter

Verändern können, doch den Geist verändert

Sie nie – Zu Grunde geht er, oder bleibt

Was er stets war. Mag ich ein Hase werden

Und du ein Leu, ich bleibe Don Juan,

Und du bleibst Leporello, mein Bedienter.

FAUST.

Zurück, Juan, denn nie erreichst du die

Gesuchte!

DON JUAN.

Atm ich noch, so hoff ich sicher

Sie zu erlangen.

FAUST.

Fliehe, sag ich, vor

Dem Ausbruch meiner Macht.

DON JUAN.

Vor deiner Macht?

Vor ihr, die nicht 'mal stark genug ist, um

Dich Schwächling zu beglücken, dessen Brust

So flau, daß sie nach Höllenflamme lechzte,

Als noch des Lebens frische Quellen sie

Umrieselten?

FAUST.

Beglückt der Sklav in Ketten,

Kennt er die Freiheit nicht!

DON JUAN.

Wer liegt in Ketten?

Wer stürmt mit übermenschlicher Gewalt[484]

Das Herz der Anna, und vermag das Fleckchen

Nicht zu erobern? – Wozu übermenschlich,

Wenn du ein Mensch bleibst?

FAUST.

Wozu Mensch,

Wenn du nach Übermenschlichem nicht strebst?

DON JUAN.

Ein Übermensch, sei's Teufel oder Engel –

Ist Weiberlieb so fremd, als wie nur irgend

Ein untermenschlich Ding, ob Pavian,

Ob Frosch, ob Aff es sein mag – Und, mein Freund,

Ich bins, der in der Donna Anna Herzen lebt!

LEPORELLO.

Wir sind verloren, Herr – Ihr machts zu arg –

Laßt mich an Euren Zipfel fassen – Sturm

Und Ungewitter wehn aus seinen Augen!

FAUST.

Ha, ist das wahr, wie ich es längst gefürchtet,

So reiß ich Annas Herz mit seinen Wurzeln

Und deinem Bilde aus! Dich aber werf

Ich an die Grabstätte des Gouverneurs,

Vielleicht die einzge Stelle auf der Erde,

Wo du vor Geistern bebst.

DON JUAN.

Du irrst! Ich bebe

Vor dir nicht, nicht vor Geistern!

FAUST.

Geister, werft

Ihn dahin!

LEPORELLO.

Nehmt mich mit, Herr – Seht, Wolken! Winde! –

Ach da verlier ich meine schöne Mütze noch

Dazu!


Don Juan und Leporello werden auf den Wink des Faust im Sturm davongeführt.


FAUST.

Sie liebt ihn! Reiß ich sie zu Stücken? –

– Der Teufel hatte recht, nicht log er, da

Er sprach: daß er unsäglich einst geliebt! –

Nur wer geliebt hat, kennt den Haß, den Zorn.

Nur wer sehr fromm war, kann ein Satan werden,

Nur wer ein Satan war, wird echter Frömmling.

– Die Donna Anna, sie die mich verschmäht

Wer sagts, ob ich sie heftger liebe oder hasse?


Ab.
[485]

Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 1, Emsdetten 1960–1970, S. 482-486.
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