Zweite Szene

[22] Ein Saal in der Burg des Herzogs Theodor von Gothland.

Der Herzog Theodor von Gothland und der Burgvogt Erik treten auf.


ERIK.

Herzog, der Finne naht und vor ihm stürmt

Das Schrecken; flüchtges Landvolk sammelt sich

Im Schloßhof, Dörfer gehn im Feuer auf

Und blutrot flammt der Horizont!

GOTHLAND.

Daran

Erkenne ich die Finnen; doch noch heut

Will ich mit ihrem schwarzen Häuptlinge

Mich messen. Ich erwarte jede Stunde

Die Ankunft Manfreds, meines zweiten Bruders.

Wir brechen auf, sobald er kommt. Sag das

Dem Kriegsvolk.

ERIK.

Herr, es ist ein Bote da;

Vielleicht, daß er von Manfred –[22]

GOTHLAND.

Bring ihn mir.


Erik geht ab. Pause; dann fährt Gothland sehr

heiter fort.


Es schwebt

Ein holder Genius über meinem Leben;

In meinen Brüdern gab er Freunde mir! –

Dich Manfred! liebe ich vor allem! Schon in

Der ersten Morgendämmerung des Lebens,

Zusammen spielend auf dem Schoß der Mutter,

Umschlangen wir uns mit der Freundschaft Banden,

Die in den Schlachten uns umfingen, die von

Den Jahren, die den Erdkreis ändern, nicht

Zerrissen wurden!


Begeistert.


Selig, selig, wer

Den Freund gefunden; nie wallt er einsam auf

Des Lebens Pfaden; zwiefach Leben ward

Sein schönes Los!

Die Liebe welkt dahin;

Sie ist auf Irdisches gegründet,

Gemeines ists, wofür sie flammt;

Nur Freundschaft, die die Geister bindet,

Ist ewig wie der Geist, aus dem sie stammt;

Drum strahlt hoch auf des Himmels nächtgem Feld

Der Freundschaft Bild und leuchtet durch die Welt!

Ich meine euch, ihre hellen Dioskuren;

Zugleich, vereinend eure Strahlengluten,

Enttauchet ihr des Meeres dunklen Fluten

Und wandelt durch der Sterne goldne Fluren,

Bis euch das ferne Westgewölk begräbt;

Ihr sterbt vereint, wie ihr vereint gelebt!


Rolf, der Bote des Kanzlers, tritt ein.


GOTHLAND.

Hat Manfred dich vorausgesendet?

ROLF.

Nein;

Mich schickt der Kanzler, Euer dritter Bruder.

GOTHLAND.

Bei dem verweilte Manfred, wie er mir

Geschrieben; kommt er bald? mit ihm nur will

Ich siegen!

ROLF.

Manfred siegt nicht mehr.

GOTHLAND.

Was soll

Das heißen, Bote?

ROLF.

Dieser Brief, den Euch

Der Kanzler schreibt, erkläre meine Worte.[23]

GOTHLAND liest.

»Mein Bruder! Eine Stunde lehret mich, daß auch

Das Edle und das Herrliche vergeht;

Die Erde ist für beides keine Heimat.

Der Bund, den wir drei Brüder schlossen, ist

Zerrissen, und mir fiel das traurge Los

Zu sehn, wie Manfred in der Jahre Blüte

Starb –« –

Starb! Ha, ich verstehe euch! Ich bin

Verwaiset!


Auf den Brief blickend.


Nein, das sind nicht Worte, das

Sind Donnerschläge!


Er tritt an das Fenster.


Sieh, es ist Herbst, und an

Der Gelbsucht krankt die sterbende Natur;

Auf öden Feldern heult der rauhe Nord;

Laut rauscht das falbe Laub – es winselt nach

Vergänglichkeit! – Erstorben ist der Lenz

Und seine grüne Blätterpracht verwelkte, –

Das ist zwar traurig, aber auch natürlich,

Weil es die allgemeine Plage ist;

Doch wenn des Nordlands königlicher Hochbaum,

Der Adler Haus und Zuflucht in den Stürmen,

In einer einzgen Nacht von dem Orkan

Zerschmettert wird, das zeugt Entsetzen, macht

Verzweifeln an dem Leben!

Manfred tot,

Und


Auf Rolf zeigend.


eine Kreatur wie die da lebt!


Zu Rolf.


Entschuldige dein Dasein! – –

– Tot! dahin!

Noch fasse ich es nicht!

Wann starb er?

ROLF.

Vor

Acht Tagen.

GOTHLAND.

Weshalb bringst du mir so spät

Die düstre Nachricht?

ROLF.

Jeder fürchtete

Sie Euch zu bringen.

GOTHLAND.

Fürchtete? – Sahst du

Ihn sterben?

ROLF.

Leider sah ichs. Ich und[24]

Der Kanzler waren nur zugegen. – Manfred

Kam abends auf der Burg zu Northal

An; beide Brüder feierten bis in

Die Nacht das Wiedersehen. Manfred ging

Gesund zu Bett; am Morgen fanden wir

Im Todeskrampf ihn auf dem Lager liegen.

Ein Schlagfluß hatte ihn gerührt.

GOTHLAND heftig auffahrend.

Schlagfluß?

Banditenstreich des Todes sag vielmehr! – Auch

Der Himmel mordet!

Doch, sei ruhig Zunge;

Gott schuf mein Herz, – dafür hat er das Recht,

Es zu zerreißen, wann es ihm beliebt.

Ob meine Seele blute, ich gebe mich

In seinen Willen. Klagen darf der Mensch,

Nicht rechten. –

Wo ward mein Bruder beigesetzt?

ROLF.

Im Dom zu Northal ruhet seine Leiche.

GOTHLAND.

So eile schnell nach Northal; sag dem Kanzler,

In dieser Nacht noch würd ich ihn besuchen

Auf seiner Burg, um an des Bruders Sarge

Mit ihm gemeinschaftlich zu trauern!

ROLF.

Den Kanzler trefft Ihr dort nicht mehr; er ist

Dem Ruf des Königes gefolgt und an

Den Hof gereist.

GOTHLAND.

Wie? an den Hof gereist?

Hoffeste sollen seinen Gram zerstreuen?

– Bei der Bestattung Manfreds war er doch

Zugegen?

ROLF.

Nein; er ist am Todestag

Noch abgereist.

GOTHLAND.

Das tadl ich! Manfred war

Sein Bruder wie der meine! Handelt so

Ein Bruder? Ihn entschuldigt seine Pflicht

Als Kanzler nicht; die höchsten Pflichten sind

Die Pflichten der Natur! Sehr ehrenwert,

Sehr ehrenwert sind mir die Toten!

Wen ich geachtet habe, da er lebte,

Den ehr ich auch, wenn er gestorben ist! –

– Sag deinem Herrn,

Er möchte lernen von den alten Heiden,[25]

Wie man Verlorene betrauert: als

Der Erste der Hellenen

Vernommen, daß sein Freund gefallen,

Durchdrang sein Klaggeschrei die Götterhallen,

Sein sonst so grauses Auge schwamm in Tränen, –

Vergebens kam

Die hehre Mutter aus dem Meer gestiegen,

Um zu besänftigen seinen Gram,

Vergebens suchten liebliche Najaden

Mit schönverschlungnem Tanz ihn zu vergnügen;

– Untröstlich, seufzend, schluchzend lag er an

Des Pontus tiefaufrauschenden Gestaden,

Denn sein Patroklus war dahin!


Er stürzt fort.

Berdoa und Irnak treten auf.


BERDOA.

Wir beide wären glücklich bis hieher

Gekommen.

IRNAK.

Ja, hineingeschlichen in

Das Herz der Burg.

BERDOA.

Still!


Er erblickt den Rolf und redet ihn an, indem er mit Hülfe der immer mehr zunehmenden Dämmerung das Gesicht verbirgt.


Guten Abend, Freund.

ROLF.

Ich dank Euch.

BERDOA.

Freund –

ROLF.

Was noch?

BERDOA.

Führ uns zum Herzog.

ROLF.

Den Herzog könnt ihr jetzt nicht sprechen.

BERDOA.

Was gibt es denn? Im ganzen Schlosse sehen wir

Geheimnisvolle Mienen.

ROLF.

Pack dich fort;

Was kümmerts dich?

BERDOA.

Freund, hier ist Geld.

ROLF.

Geld? – Fragt!

Was wollt Ihr wissen?

BERDOA.

Was hier passiert ist.

ROLF.

Nu, eben habe ich dem Herzoge

Die Trauerpost von seines Bruders Tode

Gebracht.

BERDOA.

Der Herzog hatte

Zwei Brüder, – welcher ist gestorben?

ROLF.

Manfred.[26]

BERDOA.

Der Reitergeneral?

ROLF.

Derselbe.

BERDOA.

Sehr,

Sehr jählings hat der Tod ihn weggerafft!

ROLF.

In der Gesundheit Blüte schied er hin!

BERDOA.

Warst du dabei?

ROLF.

Der Kanzler nur und ich.

BERDOA.

Was? Du nur und der Kanzler?

ROLF.

Ja;

Wir fanden ihn in seinem Todeskrampfe

Und hingeschieden war er, als

Das Burggesinde kam.

BERDOA.

Ihr beide ganz

Allein?

ROLF.

So war es.

BERDOA.

Du nur und der Kanzler?

ROLF.

Was soll das wilde Fragen?

BERDOA.

Schurk, dich fangen!

Canaille! ihr habt ihn erwürgt!

ROLF.

Das Wort

Sollst du bereun!

BERDOA.

Wärs erstemal, daß der

Berdoa was bereute!

ROLF erkennt ihn.

O ich bin

In fürchterliche Hand gefallen! Laßt

Mich gehn, ich rufe Hülfe!

BERDOA vertritt ihm den Weg.

Soll ich mit

Dem Dolche dir das Maul versiegeln? Laß

Dich handeln; diese einzge Nacht sei mir

Zu Diensten, und mit Säcken Golds beschütt

Ich dich! Du willst nicht? Gut, so lauf, doch sei

Gewiß, dem Herzog meld ich, daß du Geld

Von mir genommen und geplaudert hast; dann

Magst du mit Weib und Kind im Schnee verhungern!

ROLF nach einer Pause.

Nun, wenn Ihr mich so gut bezahlen werdet,

Wie Ihr versprecht, so bin ich diese Nacht

Der Eurige.

BERDOA.

Sei unbekümmert.

Ich geize nicht; du sollst mit mir zufrieden sein.


Leise zu Irnak, mit Verachtung auf Rolf deutend.
[27]

Das ist so'n Schurk, der gerne mordete

Und raubte, wären nur die bösen Galgen, und

Die Hölle nicht; aus Feigheit fromm!


Zu Rolf.


Zuerst sag an,

Wer hat den Toten in den Sarg gelegt?

ROLF.

Die Leichenfrau zu Northal.

BERDOA.

Irnak,

Schick gleich hernach zwei Finnen hin,

Die im Geheim das Weib erdrosseln!


Zu Rolf.


Und nun

Erzähle mir, wie sich der Herzog bei

Der Trauerpost benahm?

ROLF.

Wild brauste er

Empor, doch bald bezwang er seinen Schmerz

Mit christlicher Ergebung, – aber als

Er hörte, daß der Kanzler an den Hof

Gereist, bei der Bestattung Manfreds nicht

Gewesen sei, da tadelte er ihn

Voll Zorn, so daß ich fürchte, er gerät

Mit ihm in Zwist!

BERDOA.

In Zwist? So ist er mein!

Ist er in Zwist? Dann, Himmel, halt ihn nur

Zurück, – ich reiße dir ihn aus den Zähnen

Und schleudre ihn dem Abgrund in den Rachen!

ROLF.

Noch –

BERDOA.

Rede nicht; ich weiß genug; du hast

Mir Hanf in Überfluß gegeben, um

Ein Schicksalsstrick für ihn daraus zu flechten! –

Horch! er kommt! – Fort und lauscht! – Ich bin sein Schicksal und

Sein Gott!


Sie ziehen sich in eine Seitenhalle zurück. Gothland und seine Gemahlin Cäcilia treten auf.


GOTHLAND.

O, laß das Trösten, laß

Das Trösten, du geliebtes Weib! Verwüstet

Ist meine Brust, wüst ist dies Schloß, wüst

Sind jene Fluren, eine Wüste ist

Die Erde, Wüste, Wüste ist die Welt, denn

Mein Bruder ist nicht mehr!

CÄCILIA.

Geschehen ist

Das längst Gefürchtete; fast vierzig Jahre[28]

Hast du gelebt und glücklich warst du stets;

Des Unglücks Schuldner warest du geworden;

Du wußtest, daß es seine Rechte fodert!

GOTHLAND.

Ja, Glück ist Sünde – Wehe euch, die ihr

Es wagtet, Glückliche zu sein!

CÄCILIA.

O blick umher!

Es sind noch viele, die dich lieben: noch steht

Ein andrer Bruder dir im Kanzler Friedrich

Zur Seite; auch der Vater lebt dir noch,

Der edle Greis; ein Sohn blüht dir am Hof

Des Königs auf, und ewig liebend hängt

An deiner Brust dein Weib! Verzweifle nicht!

Wir alle trauern jetzt mit dir und mit

Uns allen wirst du einst dich wieder freuen!

GOTHLAND.

Mich freuen? Niemals, bei dem ewgen Licht!

Der Frühling kehrt zurück und seine Lieder,

Doch Manfred ging, er kehret nicht,

Und nimmer kehret meine Freude wieder.

CÄCILIA.

Sie kehret! glaube mir! hast du gedacht

Ans Wiedersehen?

GOTHLAND.

An das Wiedersehen?

Dank dir! Ein Funke aus den Sternenhöhen

Fällt dieses Wort in meiner Seele Nacht! –

Ja, manches Auge, feucht von Zähren, blickt aus

Der Winternacht des Lebens hoffend zu

Den Sternen – und die Träne rollt nicht mehr!

Betrügt ihr uns um unsre Tränen, oder

Seid ihr es, Sterne! was die Ahnung sagt?

Die lichten Ufer eines beßren Landes?

Und finden über euch sich die

Getrennten wieder? O,

Dann selig all ihr Millionen, die

Ihr unterm Sternenzelte wandelt, selig ihr

Betrübten, welche ihr an Grabeshügeln um

Verlorne weinet!

CÄCILIA.

Preis sie selig und

Auch dich! Es lebt in jeder edlen Brust

Ein Bürge der Unsterblichkeit: die Tugend!

Sie ist ewig, und wäre sie es nicht,

So geht sie unter mit dem Hochgefühle,

Daß sie verdienet es zu sein.[29]

GOTHLAND.

Ja, so

Gewiß in Manfreds Brust die Tugend wohnte,

So sicher werde ich ihn wiedersehn! –

Sieh! es wird Nacht; das Abendrot

Verlischt; die Nebelsäulen steigen auf

Wie Traumgestalten; schwermutsvoll und dumpf

Wie Geisterlispel, singt der Abendwind

Der Flur und dem entlaubten Wald das Schlaflied;

Mich dünket, Manfreds Geist umschwebet mich.

Laß mich allein, o laß mich träumen!

Das Träumen ist ja süßer als das Leben!

CÄCILIA beiseit.

Du Geist des Bruders, steig hernieder aus

Des Himmels selgen Höhen; schirm die Deinen;

Schweb schützend über diesem Hause, wehr

Dem Unglück, das ich ahne, senke Ruh


Auf den Herzog deutend.


In jene schmerzbewegte Brust!


Sie geht ab, noch einmal mit der Miene des Mitgefühls auf den Herzog blickend.


GOTHLAND.

So muß

Ich denn verdorren in der Väter Hallen,

Wie eine Pflanze, der die Sonne fehlt.

Ich werde keine Taten mehr

Vollenden, in der Brust nur kochet mir

Ein gärend Leben.

BERDOA tritt hervor; für sich.

Jetzt wirds Zeit,

Den Feuerbrand in seine Seel zu schleudern.


Laut.


Ein irrgegangner Wandrer flehet um

Eur gastlich Dach.

GOTHLAND.

Wie? täusch ich mich? Der Neger?

Fort, eil, daß du zu deinen Finnen kommst,

Du bist in deines Feindes Burg.

BERDOA.

Das Recht

Des Gastes, welches man im Nordland, wie

In Lybias Palmenhainen ehret, schirmt mich.

GOTHLAND.

Die Schurken haben keins. Drum fort von hier

Du Schandfleck deines schnöden Stammes!

BERDOA wie gereizt.

Freund,

An Schande haben unsre Stämme sich

Nichts vorzuwerfen –[30]

GOTHLAND.

Kühner Lästerer!

BERDOA.

– in meinem Stamm ist noch


Halblaut und unverständlich.


kein Brudermord

Geschehn.

GOTHLAND.

Was murmelst du?

BERDOA.

Ja, Herzog, ich

Beklage Euch.

GOTHLAND.

Schlimm, wenn Berdoa mich

Beklagt.

BERDOA.

Der Pöbel lästert Gothlands Namen.

GOTHLAND.

Das kann der Pöbel nicht.

BERDOA.

Es gehn von Ohr

Zu Ohr gar fürchterliche Worte.

GOTHLAND.

Sprich sie aus!

BERDOA.

Eur Bruder Manfred, heißt es, sei erschlagen!

GOTHLAND.

Erschlagen?

Hui, meine Faust rollt sich zusammen! Arme,

Wonach zuckt ihr? nach einem Messer! Seele,

Freu dich! nun kann ich wenigstens ihn rächen!

Süß ist die Rach, – hinaus, den Mörder mit

Der Hände Schlingen einzufangen und ihn

Zu opfern Bruder dir!

– O wohin irrt

Mein Geist? Ich Tor! ich blinder Tor! Der Neger

Lügt! Manfred starb in Friedrichs Armen!

BERDOA.

In?

Durch!

GOTHLAND.

Weltempörung! Was sagst du?

BERDOA.

Durch!!

GOTHLAND.

Sprichst du von Friedrich, meinem Bruder?

BERDOA.

Der Kanzler Friedrich, Euer jüngster Bruder

Hat Euren andren Bruder Manfred

Ermordet auf der Burg zu Northal!

GOTHLAND.

Entsetzlich! das wär Brudermord! – – Hoho,

Ich lache! Brudermord ist ja unmöglich! Mohr,

Du lügst! Die Hölle hat dich schwarz gebrannt!

– – Und doch! – Wär es geschehen? – Erik! Erik!


Erik tritt herein.


Wo ist des Kanzlers Bote?

ERIK.

Nirgend find

Ich ihn; er muß das Schloß verlassen haben.[31]

GOTHLAND.

Verdächtig ist mir diese Eile. Sucht ihn auf;

Schickt Reiter aus, ihn einzuholen!


Erik geht ab.


Wär es geschehen? –

Manfred

Stirbt plötzlich; abends ist er noch gesund –

Der Kanzler ist mit einem Diener nur

Zugegen, – reist dann ab, als trieben ihn

Die Furien! – – seit er Kanzler ward

Vergaß er oft der Bruderpflicht, – kalt schlug

Sein Herz von Jugend auf, – er liebt das Geld –

Und Manfred war sehr reich, besaß

Auch viele Schlösser, viele Dörfer; – wir

Zwei hinterbliebnen Brüder

Sind seine einzgen Erben – sollte Friedrich, wahn-

Betört, liebäugelnd mit des Goldes Stücken, ihn –

BERDOA.

Begreift Ihrs nun?

GOTHLAND.

Hyänenwitz mag es

Begreifen, ich begreif es nicht! Bei dir

Zu Haus, am Strand des Senegal,

Dort mag das Brudermorden

'Ne Sitte sein, doch nicht in diesem Norden,

Wo schon der Mensch zum Menschen ist geworden! –

Eil fort von hier! Obwohl ich dich nicht Gast

Kann nennen, so will ich doch selbst den Schatten

Des Gastrechts ehren und dir Zeit gestatten,

Daß du entfliehst, eh ich gerechte Rache

Für Friedrich, meinen Bruder nehme,

Den du mit giftgem Mund verleumdet hast!

BERDOA.

Ob er ihn würgt', ob nicht, ist Eure Sache;

Mir gilt es gleich! – Doch denket meiner, käme

Es aus! – Wähnt Menschen edel, straft mich Lügen!

Gern duld ichs! Möcht Eur Wahn Euch nie betrügen,

Ihr würdet ewig glücklich sein! Lebt wohl!


Er geht auf den Haupteingang zu; als er aber bemerkt, daß Gothland ihm nicht weiter nachblickt, schleicht er sich in die Seitenhalle zurück.


GOTHLAND.

Sein Lebewohl kommt mir zu spät! Ich war

Ein Glücklicher, als ich noch seine Stimme nicht

Gehört, er selber hat mich aus dem Wahn

Geweckt! Was sprech ich da vom Wahn? Hoffnung auf[32]

Den Menschen und Vertrauen auf den Bruder

Soll Wahn gewesen sein? Dann Himmel! fleh ich:

Wahnwitzig laß mich bleiben immerdar!

Wohl weiß ich es: Nichts steht auf Erden fest;

Der Mensch lehnt sich auf seine Türme,

Und seine Türme stürzen krachend ein –

Doch wer am Busen seines Bruders liegt,

Der fand die heilge Stätte auf, an der

Er sicher ruhet im Gewühl des Lebens! –

Ein Haus der Freundschaft wölbt sich meine Brust

Und an mir selbst müßt ich verzweifeln,

Wenn ich den Brudermord mir denken könnte!

Ihn denken? Wehe! das vermag ich nur

Zu wohl: 'nen Bruder rächend, kann

Ich einen Bruder töten! – O, wer schafft

Gewißheit mir in dieser Angst? Natur,

Ich frage dich! Erschlug er ihn? – Gottlob,

Er tat es nicht! Ich sehe, wie

Die Wölfe ihre Häupter schütteln! – –

– Und wärs doch

Geschehen? O, dann brauset racheknirschend auf,

Ihr Höllenpforten! werde schwarz vor Zorn

Du sonnenhelle Ätherwölbung! Satan

Bäum riesig dich empor vom Feuerpfuhl,

Und wirf die Sternenkuppel aus den Angeln!

Brecht los ihr Stürme, deckt die Gräber auf,

Worin der Mord sein blutig Werk verscharrt hat!

Das Weltgericht ist um Jahrtausende

Gezeitigt und es kommt mit Blitzesschwingen,

Denn »Brudermord« sein Stichwort ist erschollen!

Die Erde ist von heilgem Blut gerötet

Und ein geschminkter Tiger ist der Mensch!

Weh! Weh! zu welchem Ziele wird dies führen?

Ich bete! Hörer mich ihr obern Mächte!

Hört mich, den Wurm, dem man sein einzig Gut

Will rauben! Nehmt Gesundheit mir und Habe, – doch

Den Glauben an die Menschheit, diesen Trost

Des Menschen in den Nöten, ohne den

Es keine Liebe, ewgen Haß nur gibt,

Der mich vertrauen lehret auf mich selbst,

Der mich beglückt, wenn ich mein Weib[33]

Umfasse, der den Menschen menschlich macht,

Den Glauben an die Menschheit raubt mir nicht!

– Gib meine Ruh mir wieder, Neger, und wenn

Du mich in ehrne Banden schlagen müßtest;

Nur meine Ruhe gib mir wieder! –

– Ob es

Geschah, ob nicht, kann ich in Northals Dom

An Manfreds Sarg erfahren; also hin,

Mit eignem Aug den Leichnam anzusehn!


Er ruft zum Fenster hinaus.


Auf, Erik, sattle mir mein schnellstes Roß!

Die Zügel sind nicht nötig!


Vom Fenster wegtretend.


Tod und Qual

Dem Neger, wenn er log!

ERIK tritt auf.

Herzog, Eure

Gemahlin bittet Euch –

GOTHLAND wieder am Fenster.

Ha, was erblicke ich?

Sieh, drüben über Northals Bergen steht

Blutäugig-funkelnd, flammenhaarumweht,

Gleich dem Medusenhaupte ein Komet!

ERIK.

Mit Grausen sehe ich die Nachterscheinung.

GOTHLAND.

Sie hat Bedeutung! weißt du ihre Meinung?

ERIK.

Wer weiß nicht, was Kometen künden! Weh

Dem Nordland, über dem er aufgegangen,

Und Wehe uns, wir werden Schreckliches erleben!

GOTHLAND.

Du fürchtest dich vor Kindermärchen, Graukopf!

ERIK.

O spottet nicht! So lang ich denke, ist

Noch kein Komet erschienen, welcher nicht

Der Welt Entsetzliches verkündet hätte;

Bald großes Blutvergießen, bald geheim

Verübte, unbestrafte Frevel, wie

Vergiftung, Brudermord und –

GOTHLAND.

Brudermord!

Schweig, Lügner, schweig!

ERIK.

Ihr werdet es erfahren!

GOTHLAND.

Was werde ich erfahren, Schurke? Was?

ERIK.

Herr, nie bin ich ein Schurk gewesen,

Ich hab Euch dreißig Jahre treu gedient.

GOTHLAND sich mäßigend.

Es war nicht bös gemeint. Was wollte meine[34]

Gemahlin doch?

ERIK.

Sie bittet Euch, heut nacht

Das Schloß nicht zu verlassen.

GOTHLAND.

Sag du ihr,

Ich bäte sie, zu Bett zu gehen.


Erik geht ab.


Licht

Muß ich in diesen nächtgen Zweifeln haben,

Und sollt ich zu der Hölle wandern, um

An ihrer Flamme es mir anzuzünden!


Er tritt schnell an das Fenster und ruft in den Schloßhof.


He! sind die Pferde aus dem Stall? Der Sättel

Bedarf es nicht!


Er will abgehn; Erik tritt aber wieder auf.


ERIK.

Die Herzogin beschwöret nochmals

Bei ihrer Liebe Euch, ihr warnend Wort

Zu hören und die Burg heut nacht

Nicht zu verlassen!

GOTHLAND.

Sag du ihr, ich hätte sie

Gefreiet, um mir Kinder zu gebären,

Nicht aber mich zu warnen, mich zu lehren!


Erik geht ab.


Nach Northals Dom, wo Manfreds Leiche liegt!

Ob er erschlagen ward, das schau ich dort!

Ist es,


Mit heftigem Schauder.


dann: Brudermord will Brudermord!


Er eilt ab.

Berdoa, Irnak und Rolf kommen aus der Seitenhalle.


BERDOA.

Hussah! begonnen hat die wilde Jagd!

Nach Northals Dom durch Sturm und Nacht!

Wir folgen ihm! –

Liegt Northal auf

Der Straße nach Upsala?

ROLF.

Dicht daran.

BERDOA.

So eilt mit mir, daß wir dem Herzoge

'Nen tüchtgen Vorsprung abgewinnen, denn

Viel früher muß ich drüben sein als er.

– Was zögerst du?

ROLF.

Ich folg Euch nicht! Was

Soll ich in Northal? Ich hab Euch gedient,

Nun gebt mir meinen Lohn![35]

BERDOA.

Du sollst ihn unterwegs

Erhalten! Folg mir!

ROLF.

Nimmer!

BERDOA.

Ho, daß du

Mir folgst, des sei gewiß, folgst du nun auch

Lebendig oder tot!

ROLF.

O wie entrinn

Ich ihm!

BERDOA.

Still, Schurk, sonst schleife ich dich hin!


Sie gehen ab.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 1, Emsdetten 1960–1970, S. 22-36.
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