[122] Die Grenzen von Norwegen. Lager der schwedisch-finnischen Armee.
Gothlands Zelt. – Nacht. Auf einem Tische brennende Wachskerzen. Gothland, halb gerüstet, liegt schlafend auf einem Ruhebette. Erik steht bei ihm Wache.
ARBOGA tritt ein.
Was macht der König?
ERIK.
Schwer scheint er zu träumen.
ARBOGA.
So weck ihn auf.
ERIK.
Wer weiß, ob er
Nicht lieber angstvoll träumt, als angstvoll wacht.
GOTHLAND.
Mohr! Mohr!
BERDOA tritt ein.
Da ich vorm Zelt vorbeigeh, hör
Ich rufen; wer begehrt mich?
ERIK.
Niemand;
Der König sprach im Traum.
BERDOA.
Der König?
Gothland erblickend.
Ha, seht,
Seht, wie der goldgekrönte Wurm sich windet!
Jetzt käut er nach der Art der Europäer, nachts
Das wieder, was er tags getan!
Er kann kein Bruderfleisch verdauen!
GOTHLAND.
Laß, laß mich! Toter, laß mich!
ARBOGA zu Berdoa.
Fort; er
Erwacht.
Berdoa geht ab.
GOTHLAND vom Lager aufspringend.
Gottlob, es war ein Traum! Wie feige,
Wie feige die Gespenster sind!
Sie überfallen nur den Schlafenden!
Laßt sie ankommen, wenn ich wach bin!
Zu Arboga.
Habt
Ihr je geträumt?[122]
ARBOGA.
Ich träume nie.
GOTHLAND.
Du träumst nie?
So hör denn, wie du glücklich bist! –
Ich lag,
So träumte mir, auf einem Lavafelde, –
Aus schwarzen Wolken regnete es Nattern,
Und Friedrich, der Erschlagne, stieg empor.
Mit seinen Fersen stand er auf der Erde,
Mit seiner Scheitel stieß er an den Mond;
An seinen blutgen Haaren klebten Sterne,
Wie Fisch' in ihren Netzen;
Aus seinem Hals hing statt
Der Zunge eine Brillenschlange,
Sein Aug war stier und grünlich,
Und weißer Leichenduft umhüllte ihn.
So kam er auf mich zu, beinah
Den wandernden Gebirgen Islands ähnlich,
Und foderte sein Blut mir ab;
Ich wehrte mich mit weggewandten Augen –
Er warf mich nieder, und als ich
Die Augen wieder zu ihm kehrte, – da
Umklammerte mit hunderttausend Füßen
Mich eine zorn'ge, ungeheure Spinne,
Sog wie 'ner Fliege mir die Brust aus – und
Ihr Antlitz war das Antlitz meines Bruders!
Trompeten.
– Was gibt es da?
ARBOGA.
Die letzten Regimenter
Von Eurem sieggekrönten Heere ziehn
Ins Lager.
GOTHLAND.
Ja, – ich siegte! – Siegen – Morden –
– Was unterscheidet denn den Helden von dem Mörder?
ARBOGA.
Die Anzahl der Erschlagenen.
Wer wen'ge totschlägt, ist ein Mörder,
Wer viele totschlägt, ist ein Held.
GOTHLAND.
Nu,
Das tröstet mich; ich werde wohl ein Held sein.
– Ich bin sehr müde; ich will wieder schlafen;
Fürst! wacht in meiner Näh!
Er legt sich auf das Ruhebett, steht aber bald wieder auf.
– Ich kann nicht schlafen! –[123]
Weh, Weh,
Wie eine Feuerglocke heult mein Herz
Und läutet Sturm mit Donnerschlägen,
Und über meinem Kopf
Wirft meine Stirne Blasen auf,
Wie kochend Wasser überm Feuer! –
– Fürst! glaubt Ihr an Unsterblichkeit?
ARBOGA.
Um so etwas bekümmre ich mich nicht.
GOTHLAND aus voller Seele.
O du Beneidenswürdiger!
Pause; dann winkt er, ihn allein zu lassen; Arboga und Erik entfernen sich.
GOTHLAND allein.
– Bisweilen
Erscheinen selge Silberblicke in
Der Nacht des Lebens, – da zerschmilzt
Die eiserne, ungläubge Brust,
Und eine Götterdämmerung steigt in
Ihr auf: – der Erde Nebel,
Die düstren Graungestalten schwinden,
Und von dem jungen Morgenlicht beschienen,
Eröffnet eine weite Aussicht
Ihre goldnen Fernen, – aus
Dem Meere taucht die ewge Liebe, – am
Tiefblauen Himmel leuchtet Gottes Glorie, –
Die Gräber öffnen sich, wie Knospen in
Dem Mai, verjüngt entschweben ihnen die
Gestorbenen, vergessen ist der Schmerz,
Das ganze Weltall strahlt von seliger
Verklärung! –
Was red ich da? Nicht für mich
Sind diese Wonnen, wenn sie sind,
Und gibt es ein Elysium, so gibts
Auch eine Hölle!
Zur Zelttür hinaus.
Ruft den Neger her!
Pause; dann kommt Berdoa.
BERDOA.
Ihr ließt mich rufen.
GOTHLAND.
Neger,
Es geht auf Erden eine alte Sage
Von Mund zu Mund, von Land zu Land; woher
Sie kommt, weiß keiner, aber jeder glaubt sie,
Und sie scheint ewig, wie ihr Inhalt –
Sie redet von Unsterblichkeit – Was ist
Unsterblichkeit?[124]
BERDOA.
Ein Wort.
GOTHLAND.
Woher
Die Übereinstimmung der Völker
In ihrem Glauben an ein ewges Leben,
Woher der Glaube dran in unsrer Brust?
BERDOA.
Der Mensch glaubt, was er hofft, glaubt, was er fürchtet!
GOTHLAND.
Wahr, Neger, wahr! Du sprichst, wie ichs von dir
Erwartete; daß du es leugnen würdest,
Wußt ich; das war es auch, weswegen ich
Grad dich, und keinen andren rufen ließ!
BERDOA.
Der Mensch verdient ja kaum dies Erdenleben,
Und für ein ewiges sollt er gemacht sein?
Sein Dasein nicht einmal kann er beweisen,
Und seine Ewigkeit wär außer Zweifel?
GOTHLAND.
Vortrefflich! Neger, Freund! sprich weiter!
BERDOA beiseit.
Wart nur!
Laut.
Bloß
Um unsrer ungeheuren Eitelkeit
Zu schmeicheln und die Furcht vor der
Vernichtung unsres Daseins zu besänftgen,
Erfanden wir uns die Unsterblichkeit, –
Ein Einfaltspinsel, der sie glauben kann!
GOTHLAND.
Ein Einfaltspinsel, der sie glauben kann!
ARBOGA kommt.
Herr, eben bringt Usbek fünftausend
Gefangne ein.
GOTHLAND.
Willkommen sind sie mir,
Wenn sie zu meinen Fahnen treten wollen.
ARBOGA.
Sie weigern sich; was machen wir mit ihnen?
GOTHLAND zu Berdoa.
Ein ewges Leben gibt es nicht?
BERDOA.
Nein.
GOTHLAND zu Arboga.
Es
Ist keine Unsterblichkeit – So
Laßt die Gefangnen niederhaun!
Arboga geht ab.
BERDOA.
Hihihi!
Und wenn nun dennoch –
GOTHLAND.
»Dennoch? dennoch?«
Zweizüngler, was bedeutet das?
BERDOA.
– und wenn[125]
Die Ewigkeit nun dennoch wäre!
GOTHLAND entsetzt.
Schrecklich!
ARBOGA tritt ein.
Die Kriegsgefangenen sind tot.
Er geht ab.
BERDOA.
Sie sind
Schon tot! Weh, König, Wehe! wenns
Nun 'ne Vergeltung geben sollte!
Ich zittere für Euch, wenn ich dran denke!
GOTHLAND zu Berdoa, indem er zugleich sich selbst beruhigt.
Es gibt nur eine einzige Vergeltung,
Und die bestehet in der gänzlichen
Vernichtung unsres Daseins, welche man
Den Tod nennt; – dem Unglücklichen nimmt er
Die Qual, dem Glücklichen die Freude,
Und überflüssig macht er die
Vergeltung übern Sternen,
Von welcher du zu träumen scheinst!
BERDOA.
Fast glaub
Ichs auch!
GOTHLAND.
Siehst du! – – Die Huren mögen
Sich fürchten vor der Ewigkeit, –
Wir wissen besser, was daran ist;
Die Seele schläft, – was schläft, kann sterben, – sie
Wird krank (sehr krank!) – was krank wird, das vergeht auch!
BERDOA.
Wie aber, König, kommts, daß noch
Kein einziger (Ihr werdet einstens an
Euch selbst erfahren, daß ich Wahrheit spreche.)
Wie kommts, daß noch kein einziger
Gestorben ist, der nicht in seiner letzten Stunde
Die Nähe einer andren Welt geahnet, und
Vor ihr gezittert hätte?
GOTHLAND
Mohr, du redest ganz
Einfältig! Ein gesunder Mann, der noch
Seine fünf Sinne hat, legt kein Gewicht
Auf das, was Sterbende, die auf
Dem Todesbett sich winden und die Kissen zupfen,
In ihrer Angst und Geistesschwäche faseln!
BERDOA.
Gespenster also gibt es nicht?
GOTHLAND.
Gespenster![126]
Hahaha! Mohr, auslachen muß ich dich!
Gespenster! Wer glaubt Ammenmärchen, wer
Hat jemals einen Geist gesehn? Ein Kind
Weiß, daß es keine Geister gibt! Mohr, Mohr,
Wie abergläubisch bist du und wie dumm,
Wie äthiopisch dumm! Gespenster!
BERDOA.
Ihr überzeugt mich; Geister und
Gespenster gibt es nicht; aber denkt Euch, daß
Es hier nach Leichen röche, und daß plötzlich
Dort in der dunklen Ecke, wo
Das weiße Laken hängt, im Totenhemd
Eur Bruder Friedrich stände, und
Euch ansäh –
GOTHLAND.
Hu!
BERDOA.
Was schreit Ihr?
GOTHLAND.
Sieh, er
Steht ja schon da! Mein Blut wird Eis! Er droht mir!
Er kommt! Verwesung ist sein Odem!
Er will mich töten! – Fliehen wär vergebens! –
Was fürcht ich mich? Dreist ringe ich mit ihm –
Auch ich bin Geist!
BERDOA.
Ringt Ihr mit 'nem Gespenste
Und nennt Ihr Euch 'nen Geist? Ei ei, ich meinte
Es gäbe keine Geister!
GOTHLAND wieder zu sich selbst kommend.
's gibt auch keine!
Angst neckte meine Augen und ließ mich
So sinnlos schwatzen!
BERDOA.
Ihr seid also auch
Ängstlich?
GOTHLAND ohne auf Berdoa gehört zu haben.
Zerstreuung hab ich nötig – Öffnet
Das Zelt!
Die Zeltwand des Hintergrundes fällt nieder und man erblickt eine Wintergegend, die zum Teil von dem schwedisch-finnischen Lager bedeckt ist; am äußersten Horizonte wird sie von den Schneegipfeln des Kiölgebirges begrenzt; über ihr funkelt der sternbesäete Nachthimmel.
GOTHLAND.
– – Eine sternhelle Luft!
BERDOA.
Ja, – weggezogen sind die Decken,
Und schwindelnd starr ich in den Abgrund[127]
Der Schöpfung; – wie ein Triumphator fährt
Die Nacht mit Millionen Sonnenrädern
Durch die Schwibbögen des Weltbaus; –
Milchstraßen drängen an Milchstraßen sich,
Sternbilder lodern bei Sternbildern!
GOTHLAND.
Pah,
Auch diese Sternenherrlichkeit erbleicht,
Und schnell und spurlos wie
Das flüchtge Lächeln eines finsteren
Gesichts, vergehet dieser Glanz der Nacht!
– Es kommt die Zeit, wo sich die Todesengel
Mit schwarzen Sturmesfittigen erheben
Und auf den Ätherhöhn die Sonnen
Losreißen, wie die Lämmergeier auf
Den Alpenspitzen die Lauwinen
Loskratzen!
Dann rollen jene feurgen Welten
Mit ihren Erden und
Mit ihren Monden, andre Welten mit
Sich niederreißend, in die Schlünde der
Vernichtung, und die Himmelswölb'
Fällt ihnen nach, wie'n müdes Augenlid! –
Ewig ist nur der Staub. –
Weltkörper gehen unter und der Mensch
Wär unvergänglich? O des Wahnwitzes!
BERDOA.
Ich zweifle sehr.
GOTHLAND.
Woran?
BERDOA.
Daß die Weltkörper
So gänzlich untergehen. Ist es nicht
Wahrscheinlicher, daß diese mächtgen Globen
Zu einem höhren Zweck bestimmt sind? Sollten
Sie nicht so gut 'ne Seele haben, als
Wie wir? Die Läuse, die
Auf einem Menschenkopfe sitzen, meinen
Gewiß, daß dieser bloß erschaffen sei,
Um sie zu nähren, – und was auf
'Nem Menschenkopf die Läuse sind, das sind
Die Menschen auf der Erde.
GOTHLAND.
Ja, wir
Sind Läuse!
BERDOA.
Und die Welten?[128]
GOTHLAND.
Sind
Vielleicht nur größre Läuse als wie wir.
BERDOA.
Die Dioskuren auch?
GOTHLAND bewegt.
Die Dioskuren! –
Wie kommst du auf die Dioskuren?
BERDOA.
Ich seh sie eben in dem Osten aufgehn.
GOTHLAND.
Ha! – schöne Sterne! Brüdersterne! seh ich
Euch wieder? Selge, selge Nächte, wo ihr mir
Noch strahltet als das Sinnbild meines Lebens!
Als ich das letzte Mal euch sah,
Da hatte ich noch Brüder, – jetzt – o jetzt! – –
– Mohr, glaubst du einen Gott?
BERDOA beiseit.
Er fragt mich, weil
Er meint, daß ich Nein sagen würde!
Laut.
Ja,
Ich glaube einen allgewaltgen Gott,
Der in die Nächte schaut und in die Herzen
Und furchtbar richtet über das
Verborgne und das Offenbare!
GOTHLAND.
Ich aber glaube, Mohr! daß du
Ein ungeheurer Narr bist, ein
Weit größerer als ich gedacht, und daß
Dein Glaube an den allgewaltgen Gott
So närrisch ist wie dein Gehirn!
BERDOA.
Recht so!
Gott ist nicht, aber du, du bist!
GOTHLAND.
Ich glaube
Die Allmacht und Allgegenwart der Zeit!
Die Zeit erschafft, vollendet und zerstört
Die Welt und alles, was darin ist;
Doch einen Gott, der höher als die Zeit
Steht, glaub ich nicht; ein solcher kann nicht, darf
Nicht, soll nicht sein und ist nicht!
BERDOA.
Mit winzigem Gekreisch
Vermeinst du den zu leugnen, den
Des Donners Heroldsruf verkündet?
Die Morgensonne zündet
Ihm auf der Berge Hochaltären
Die Opferflamme an;
Das ganze sternbedeckte Firmament
Ist nur ein Sonnenstäubchen, das im Strahle
Seiner Größe brennt;[129]
Die Geister schweben
Erstaunend auf den Stufen,
Die von dem Wurm, der in dem Tale
Der Erde lebt, bis zu den Sonnensphären
Sich erheben,
Und rufen
Seinen ewgen Namen!
GOTHLAND.
Brav Mohr! man merkts, daß du
Der Finnen Oberpriester warst!
Du predigst allerliebst! Du sollst
Dorfpastor werden! einen schwarzen Rock
Hast du ja von Natur schon an!
Wenn du die Kinder unterrichtest, und
Die Bauern über Mißwachs tröstest,
Da mußt du dich so recht in deinem
Wirkungskreise fühlen!
BERDOA tückisch lächelnd.
Nu,
Kinderunterricht erteilt ich gestern nacht!
GOTHLAND nach einer Pause.
– Hast du auf deinen Reisen Renegaten,
Die Christi Religion verlassen und
Den Islam angenommen hatten, kennen-
Gelernt?
BERDOA beiseit.
Ha, sucht er da 'ne Zuflucht?
GOTHLAND.
Was denkt man über sie?
BERDOA.
Der Christ verfolgt,
Und der Bekenner Mohammeds
Verachtet sie.
GOTHLAND.
Und was meinst du dazu?
BERDOA.
Die Religion, mein' ich, kann man vertauschen,
Doch das Gewissen nicht. Auch sind
Im Grunde alle Religionen eins,
In Nebensachen nur sind sie verschieden;
So kenne ich zum Beispiel keine einzge,
Worin der Mord nicht schwer verboten wäre;
Ich selber mußt aus meinem Vaterlande,
Vom Strand des Nigers fliehen, weil
Ich meinen Freund erschlagen hatte!
GOTHLAND.
Jetzt halt!
Du bist der größte Bösewicht auf Erden
Und sprichst doch heute, als[130]
Wenn du die Tugend selber wärst!
Denkst du, ich wüßte nicht, warum? Um mich
Zu quälen, bist du fromm! Doch das
Soll dir mißlingen; dir
Zum Trotze lache ich und bleibe ruhig –
Hoho! bin ich nicht ruhig?
BERDOA.
Ruhig? Ja,
Sehr ruhig;
Nur flechtet Ihr die Zähne gräßlich durch-
Einander,
Auch ballt sich Eure Stirne so gewaltig,
Daß sie den festesten der Steine,
Den Diamant zerquetschen kann
In ihren Falten, und
Wie rote Sonnen, die von Höllenglut
Geschwängert sind, glühn Eure Augen!
GOTHLAND.
Ja ja, geballt hab ich die Fäuste, um
Die Runzeln meiner Stirn mit ihnen platt
Zu schlagen; ein Palast der Stürme ist
Mein Haupt; wie 'n tollgewordner Hund
Schlägt mein Gewissen seine Zähne in
Die Tiefen meiner Seele; meine
Gedanken würgen, meine Glieder
Bekriegen sich –
Mit dem höchsten Schmerzgefühl.
– Ich bin ein Haufe von zusammen-
Gesperrten Tigern, die einander
Auffressen! – –
– O, wie glücklich ist ein Vieh!
Es weint nicht, es bereuet nicht, und ist
Es einmal tot, so lebt es auch nicht mehr!
O wäre ich ein Vieh!
Geht ab.
BERDOA nachdem er ihm nachgesehn.
Der gute Gothland!
Er geht ab.
Arboga und Erik treten ein.
ERIK.
Ihr seid des Königs treuster Freund;
Ihr wißt, wie wenig er sich glücklich fühlt.
Ich kenne nur Ein Mittel,
Wodurch sein trüber Geist genesen kann:
Er muß sich mit der Edelsten der Frauen,
Mit seinem holden Weibe, welches er
So ungerecht verstoßen, wieder[131]
Vereinen. Sie, die ihn so hoch beglückte
In seiner schöneren, vergangnen Zeit,
Ist ganz erschaffen, daß sie der
Schutzengel seines Lebens werde.
O hätte sie mir nicht geboten,
Mit Rat und Tat in seiner Näh zu bleiben,
Längst wär auch ich davongeflohen. – Eben
Ist sie mit ihrem Vater,
Dem alten Grafen von Skiold,
Hier in dem Lager angekommen.
Sie will als eine fremde Säng'rin vor
Dem Könige erscheinen, bis daß er
An ihres Liedes Klagetönen
Sein Weib erkennt und beide sich versöhnen! –
– Nun bitt ich Euch, hierin die Fürstin nicht
Zu stören, und ihr freien Durchgang durch
Die Leibwacht und den Eintritt zu
Dem Kön'ge zu gestatten.
ARBOGA.
Zwar sollt ich sie verhaften lassen –
Doch, sie ist nur ein Weib, kann also nicht
Viel schaden, – höchstens kratzen; –
– Sie mag ihr Glück versuchen!
Erik geht ab. Gothland tritt wieder auf.
GOTHLAND zu Arboga.
Fürst,
Warum sollt ich betrübt sein? bin ich nicht
Ein König? – –
Aber gräßlich still und einsam,
Entsetzlich dunkel, furchtbar dunkel ist
Es hier! Licht, Lärm, Gesellschaft muß ich haben!
ARBOGA.
Soll ich das Lager aus dem Schlaf aufrufen?
GOTHLAND.
Dein Rat ist gut; ich selbst will ihn erfüllen!
In das Lager rufend.
Auf auf, Soldaten! jubelt, raset, schlagt
Die Waffen aneinander! kränzt
Des Himmels Scheitel mit Raketen!
Macht euren König fröhlich! – Sät
Trompetenklänge in die Lüfte,
Laßt widerhallen alle Klüfte,
Bis daß der Himmel auseinanderspringt
Und bis das Nichts[132]
Herein durch seine offnen Fugen dringt!
Geschrei und wilder Lärm hinter der Szene.
GOTHLAND zu Arboga.
Horch, Hunderttausend wachen auf
Und leisten mir Gesellschaft,
Und dennoch bleib ich einsam und allein;
O jeder Sterbliche, und säß er auf
Dem volkumdrängtesten von allen Thronen,
Er wandelt einsam unter Millionen;
Kein anderer
Kann seine Freude, seinen Schmerz verstehen
Und einsam muß er untergehen!
Er versinkt in sich selbst; Arboga entfernt sich; Lärm und Geschrei verstummen.
ERIK tritt auf und deutet auf Gothland.
Jetzt muß Musik ihn vorbereiten!
Er geht ab; gleich darauf beginnt eine hinreißende gefühlvolle Symphonie.
GOTHLAND.
Horch,
O horch! – Wer tut mir das? – O meine Brust!
Sie muß vergehen unter diesen Klängen
Vor Schmerz und Lust!
Wie bei des Frühlingswindes warmem Wehn
Die Blumen an das Sonnenlicht sich drängen,
So erschließen
In mir sich die Erinnrungen verschwundner Tage!
Hold und schön
Wie diese seelenvollen Melodien
Tönt auch die frohe Sage
Von meiner Kindheit Rosenzeit!
O laßt mich aus der düstren Gegenwart entfliehen,
Und nur noch einmal laßt mich sie begrüßen,
Die selige Vergangenheit! –
Dort taucht, umkränzt mit Regenbogen,
Der Kindheit Insel aus den blauen Wogen! –
Wie's sich in mir hinüber sehnt!
Ich seh die Flur, wo ich als Knabe spielte,
Wo ich mich kindlich glücklich fühlte,
Ich seh das väterliche Haus!
Allein vergebens
Streck ich die Arme zu dir aus,
Du Tempe meines Lebens![133]
So steht der Wandrer an dem Felsgestade,
An dem er Schiffbruch litt – blickt voll Verlangen
Zum fernen Eilande, wo goldne Gärten prangen;
Er blickt und blickt – die Pfade
Sind verschlossen,
Ein Meer ist zwischen ihm und jenseits ausgegossen!
Die Musik geht in eine sanfte und rührende Melodie über.
Wohlbekannte Worte hör ich klingen,
Die gleich verwehten Abendglockentönen
Aus weiter Fern herüberschwimmen!
Gott! es sind der Mutter heilge Warnungsstimmen!
Mutter! Mutter!
Lebtest du, wie würdest du die Hände ringen
Über mich,
Den Unglückseligsten von allen Söhnen!
Als ich noch an Deiner Seite
Wallte durch des Lebens Weite,
Fiel ich nicht, und brach der Sturm auch los
Ich flüchtete zum Mutterschoß!
– Nimmer, Mutter! sehe ich dich wieder!
Droben schwebst du in den Sternenregionen,
Wo die verklärten Geister wohnen,
Und strahlest in dem Kreis der Frommen;
Vergebens blickst du aus nach ihm, den du geboren;
Nimmer, nimmer wird er kommen,
Denn zur Hölle fährt er nieder
Und auf ewig ist er dir verloren! –
Hinweg, vorüber, zieh vorüber
Du Kindheitsland! mein Aug wird trüb und trüber!
Vorbei ist ja vorbei!
Kindheit und Lieb zu ihr ist Kinderei!
Wer schneidet wohl mehr Fratzen,
Wen seh ich mehr einander beißen und zerkratzen,
Zanken und greinen,
Wer kriegt mehr Prügel auf die Hinterbacken
Als diese Kinder, die uns selig scheinen!
Die frechste Lügnerin
Ist die Erinnerung! Kindheit, fahr hin
Samt deinen Kindern, welche sich bekacken!
Pause. – Die Musik nimmt einen neuen Schwung.
– Bin ich denn nie beglückt gewesen?[134]
O einmal, einmal war ich es!
– – Drei Brüder seh ich durch die Fluren wallen,
Manfred und Friederich und – Theodor!
Arm in Arm,
Der schönste Kranz von allen,
Die je der Frühling flocht; das Herz wird warm
Am Herzen, von einander nie geschieden,
Herrscht unter ihnen steter Frieden!
– Wer hat dies Friedensglück gestört?
Ich! Friedrich fiel durch dieses Schwert! – –
Was fällt mir ein? Bin ich denn toll?
Manfred gehörte zu den schwärmerischen Toren;
Sein Herz war voll,
Im Kopfe hatt er Grütze;
Und an dem Kanzler war noch weniger verloren,
Denn der war nichts
Als eine menschenähnliche Schlafmütze!
Pause. Die Musik schweigt.
ERIK tritt auf.
Herr, eine fremde Sängerin
Ist in dem Lager angekommen,
Und wünscht mit ihrer Stimm Euch zu vergnügen.
GOTHLAND.
Vergnügen? So laß sie herein! Ruf auch die Feldherrn!
Doch erst gib mir den Königsmantel,
Denn fortan zeige ich mich nur als König.
Erik legt ihm den Mantel um und geht dann ab.
GOTHLAND tritt an die Zelttür.
Wie kalt der Nachtwind weht!
Arboga, Rossan, Usbek, Irnak, Berdoa und andere treten ein. Gleich darauf kommt Erik mit der Cäcilia und dem Grafen Skiold.
CÄCILIA.
Dort steht er – – mitten unter den Verworfnen!
O, der Beweinenswerte!
ERIK.
Redet ihn an.
CÄCILIA.
Ich kann es nicht; mein Busen ist beklommen,
Das Wort erstirbt mir auf der Zunge!
GOTHLAND.
Ein schönes Weib! nur düster, wie es scheint!
Zu ihr tretend.
Ein schwarzes Band schlingt sich
Durch deine Locken, Sängerin; – du trauerst?
CÄCILIA.
Das Band soll Zeichen sein, daß ich[135]
Mein Lebensglück verlor.
GOTHLAND.
So weine;
Doch weine nicht, daß du dein Lebensglück
Verlorest, wein, daß du es nie besaßest!
CÄCILIA zu Skiold.
O Vater! hörst du? – wie unglücklich muß
Er sein!
GOTHLAND.
Was meinst du?
CÄCILIA.
Ich sprach nichts.
GOTHLAND.
Dir bebt die Stimme; fürcht dich nicht.
CÄCILIA.
Wenn du
Das sagst, so will ich auch nicht fürchten!
GOTHLAND.
So laß uns denn dein Lied vernehmen!
Er setzt sich. – Erik bringt der Cäcilia eine Harfe.
CÄCILIA sehr bewegt, beginnt erst nach einigem Zögern zu singen.
»Einsam wandert und vertrieben
Ein banges Weib durchs Herbstgefild;
Fern irrt sie von ihren Lieben,
Der Nachtwind sauset kalt und wild.«
»Es rauscht der Wald, es strömt der Regen,
Sie zittert wie ein welkes Blatt,
Kann ihr Haupt nicht niederlegen,
Und ach! es ist so müd, so matt.«
»Ihr Gemahl –«
Gothland steht auf.
»Ihr Gemahl,
Den sie mehr liebte als das Leben,
Für den sie Eltern und die Heimat ließ,
Dem sie ihr Alles hingegeben –
Er war es, der sie in die Wüste stieß.«
Gothland wird immer unruhiger.
»– Gras wird bald ihr Grab umzittern,
Vom Abendhauche leis bewegt;
Dann vielleicht wirds ihn erschüttern,
Daß nun der Busen nicht mehr schlägt,
Der ihn so sehr geliebt!«
GOTHLAND.
Der ihn so sehr geliebt! Auch ich, auch ich
Kannt Eine Seele, die mich liebte,
Doch diese Eine wird nun tot sein,
Nun liebt mich niemand mehr!
[136] Zu Cäcilia.
Weib, Weib,
Was blickst du mich so traurig lächelnd an?
Was weinst du? was bewegt dich? Komm!
In meine Arme, schönes Wesen!
Daß sie erfreue, ist die Schönheit da,
Und daß es liebe, schlägt der Frauen Herz!
Der Himmel hat dich mir gesendet, du
Sollst die gestorbne Gattin mir ersetzen!
Er umarmt sie.
SKIOLD UND ERIK.
Sie hat gesiegt!
CÄCILIA.
O Theodor! mein Theodor!
GOTHLAND.
Was soll der Jubel jener beiden Alten?
Wie wohlbekannt ertönt mir diese Stimme?
CÄCILIA.
Die Tote, welche du betrauerst, lebt für dich!
Kennst du dein treues Weib nicht mehr?
GOTHLAND.
Mein Weib! So laß mich los!
Zurücktretend.
Feldherrn, umgebt mich!
CÄCILIA.
Nein, auseinander weicht vor mir!
Ist Gothland euer König, so bin ich,
Seine Gemahlin, eure Königin!
Die Feldherrn weichen auseinander; sie geht mitten durch sie hin und ergreift Gothland bei der Hand.
Gib mir die Hand,
Verlaß des Abgrunds schauervollen Rand,
Laß diese Larven, welche dich umgeben
Und folge mir zu einem neuen Leben!
Komm! auf den Pfad der Tugend,
Den du so herrlich gingst in deiner Jugend,
Zu deinem vorigen, verlornen Glück
Führt deine Gattin dich zurück!
Der Reue Träne ist noch nie umsonst geflossen,
Des Heilands Blut ist auch für dich vergossen,
Die düstere Vergangenheit wird schwinden,
Den Frieden sollst du wiederfinden,
Und auch zu deinen Sternenhöhen,
Zu deinen Dioskuren, sollst du wieder sehen!
Gib mir die Hand!
Als Abgeordnete von höhern Mächten,
Vom Edlen, Guten und dem Rechten,
Steh ich zum letzten Mal vor dir[137]
Und rufe, flehe: folge mir!
O Gothland, teurer Gothland, kehre!
Dich ruft die Tugend, ruft die Ehre,
Dich rufen deine Freunde, deine Ahnen,
Vom Himmel rufen deine Brüder:
O Gothland, Gothland kehre wieder!
– Ha, er ist mein! in seinem Aug glänzt eine Träne!
Sie reißt ihn mit sich fort.
GOTHLAND folgt ihr einige Schritte, doch dann ermannt er sich und tritt wieder zurück.
Vergebens lockst du mich, Sirene!
Nicht mehr
Den Jüngling, der an deinem Busen weinend lag
Und Küsse haschte, siehst du hier;
Jetzt scheint mir jede Träne Schmach,
Ein Tränenloser steht vor dir!
Ja, wehe ihr, die ihres Glückes Blume
Auf mich gepflanzt im kindlichen Vertrauen,
Daß sie die Blüte würde schauen;
Die Blume steht in einem Land voll Grausen,
Wo ewge Stürme und Erdbeben hausen!
Mein Weib kannst du nicht bleiben; es ist klar;
Ich wandte eine andre Bahn als du
Betreten kannst –
Du liebtest mich, als ich noch schuldlos war,
Jetzt aber bin ich – – Doch genug! –
Gib dich darein; das kann der Mensch; und geh zur Ruh!
Beklag mich nicht; nicht groß
Ist dein Verlust; sehn dich
Nach deinem Sohne nicht; ihm ward ein andres Los;
Er ist für mich!
CÄCILIA.
O Gustav, Gustav! armes, armes Kind!
GOTHLAND.
Und nun ade!
CÄCILIA.
Nein, knieend sink ich vor dir nieder –
O Gothland, Gothland kehre wieder!
GOTHLAND zu einem Soldaten.
Unteroffizier! nimm zwölf Mann
Und transportier dies Weib
Samt ihrem Vater aus dem Lager!
CÄCILIA.
Ich bin bereit zu wandern, aber
Verschone meinen Vater, ehre sein[138]
Gebleichtes Haar!
GOTHLAND.
Das weiße Haar beneid
Ich ihm; es zeigt ein hohes Alter an. – –
CÄCILIA.
O Gott! zerrissen ist mein Herz!
GOTHLAND.
Für das
Zerreißen ist das Menschenherz gemacht!
SKIOLD.
Barbar! in dieser kalten Winternacht
Willst du mein unglückselges Kind
In die beschneite Wüste stoßen? Sie
Hat nicht geschlafen in drei Tagen, weil
Sie um dich weinte!
CÄCILIA.
Vater, Vater, schweig! Sag
Ihm nicht, was ich um ihn gelitten!
Er lohnt es mir doch nur mit Hohn und Spott!
SKIOLD zu Gothland.
Sieh, wie sie zittert!
Ein heißes Fieber brennt auf ihren Wangen –
Der schwächste Luftzug wird sie töten!
Ha, welche Heldentat, ein krankes Weib
Zu morden!
GOTHLAND.
Alter, reize mich nicht!
CÄCILIA.
Nur eine Bitte noch: laß mich von Gustav,
Von meinem Sohne Abschied nehmen.
GOTHLAND.
Nein, nein! Das geht nicht an!
CÄCILIA.
Ich will ihn sehn! Wer hält die Löwin ab,
Wenn sie zu ihren Jungen stürmt?
GOTHLAND sie aufhaltend.
Ich!
BERDOA.
Schwächlich Europäerpüppchen!
Vergleich dich nicht mit Löwinnen!
CÄCILIA.
Auch meines Sohnes Anblick raubt man mir!
– So sag mir wenigstens, wie geht es ihm?
Hängt noch sein Herz an mir? Schmückt noch
Gesundheit seine jugendlichen Wangen?
Ist er noch heiter wie er einst es war?
GOTHLAND.
Es geht ihm wohl.
CÄCILIA.
Dank, Dank dir gütge Gottheit! –
Sag ihm, (ich bitte dich.) die Mutter hätte
Nach ihm gefragt mit Tränen – sage ihm,
Er möchte seiner Kindheit nicht vergessen, –
Wer seiner Kindheit denket, sündigt nicht, –
Sage ihm – – O, mein Sohn! mein Sohn!
O dürft' ich ihn nur einmal noch,[139]
Zum letzten Male ihn noch sprechen,
Zum letzten Male ihn an meinen Busen drücken!
Gewiß, er freute sich! Erbarmen!
Erlaub es mir! Zu ihrem Kinde laß Die Mutter!
GOTHLAND.
Nein, nein, nein!
CÄCILIA.
Erbarmen!
GOTHLAND.
Laß
Mich los!
CÄCILIA.
Erbarmen!
GOTHLAND.
Willst du denn nicht hören, so –
Er zuckt einen Dolch.
CÄCILIA bemerkt es.
Ich will! ich will! Erspar du dir den Mord!
Leb wohl! – – O Theodor, wer hätte das
Gedacht vor sechzehn Jahren,
Als du errötend vor mir lagst und der
Geliebten ewge Liebe stammeltest! –
Sie geht.
GOTHLAND.
Starrsinnig Weib! nimm deinen Vater mit!
Bei meiner Königskron, ich lasse ihn
Enthaupten, wenn er bleibt!
CÄCILIA umkehrend.
Was hat
Der alte Mann dir denn getan?
SKIOLD zu Gothland.
Erbarm
Dich unserer!
GOTHLAND.
Jetzt hab ichs übersatt!
Soldaten!
CÄCILIA.
Rufe die Soldaten nicht!
Wir fliehen schon!
Zu Skiold.
Komm, teurer Greis;
Stütz dich auf deine Tochter!
Zu Gothland.
Leb wohl! leb ewig wohl, Unglücklicher!
Sag meinem Sohn mein letztes Lebewohl! –
– Ich gehe fort,
Doch blutend reißt mein Herz sich los
Und bleibt bei dir zurück!
Sie geht mit ihrem Vater ab.
GOTHLAND.
Endlich hat das Geschrei ein Ende!
Was tuts denn auch, ob so ein Weib krepiert?
Es gibt ja ohnehin der Weiber viel
Zu viel! selbst mancher Mann ist eins!
[140] Er geht; alle folgen ihm, bis auf Berdoa, der mit Irnak zurückbleibt.
BERDOA.
Sahst du den jungen Gothland?
IRNAK.
Ja, er liegt
In Milchens Arm.
BERDOA.
Schon wieder?
IRNAK.
Nu,
Seit jenem Abend, wo Ihr ihn
Zum ersten Male zu der Dirne schicktet,
Läßt er ihr wenig Ruhe;
Fast stündlich ist er da; er hat sich sehr
Verändert!
BERDOA mit Hohngelächter.
Ja, er hat sich sehr verändert!
IRNAK.
Kaum
Begreif ichs; erst war er so blöd,
Doch jetzt ist er fast unverschämt; Ihr
Müßt ihn verzaubert haben!
BERDOA.
Narr!
Ich schmeichelt ihm so lange und so grob,
Bis daß er mich hochachtete. Er war
Noch unschuldig, also sehr leicht verführbar;
Er war verliebt, – ich macht ihn wollüstig;
Wer liebt, ist eitel, weil er der
Erkorenen doch gern gefallen will –
Leicht machte ich den Eitlen eitler;
Der Eitle putzt sich gern – ich leih ihm Geld
Dazu; – der Junge hat 'ne heiße Phantasie –
Mit gringer Müh ist sie entzündet;
Er ist nicht dumm und auch nicht klug – nichts leichter
Als sein Gehirnchen mit Gedanken zu
Zersprengen, welche es nicht fassen kann!
– So habe ich auf tausend Weisen ihn ergriffen;
Vermagst du es, so steh mir darin bei!
IRNAK.
Ja, wenn ichs nur vermöchte! Ich
Kann höchstens ein paar Zoten reißen!
BERDOA.
Ach, mancher ist auch dazu noch zu dumm!
'Ne Zote ist so übel nicht; sie ist ein Ding,
Was man gern tut, allein nicht gerne sagt;
Die Hosenklappe sollt man eher vorm
Gesichte als vorm Bauche tragen,[141]
Denn bei den meisten ist
Die ärgste Zote eben das Gesicht!
Gustav tritt auf.
IRNAK.
Still!
Da kommt der Prinz! – Schaut Ihrs, wie blaß
Er sieht? Glaubt mir, das blonde Milchen quetscht
Ihn aus wie einen Schwamm.
BERDOA.
Laß mich mit ihm
Allein.
IRNAK.
Ich gehe. – Guten Abend, Prinz.
GUSTAV.
Steht dort
Berdoa?
IRNAK.
Ja.
Entfernt sich; Gustav geht zu Berdoa.
BERDOA.
Ei ei, sieh da,
Mein schöner Prinz!
GUSTAV.
Wie sitzt
Mir dieser Rock?
BERDOA.
Ganz himmlisch, himmlisch!
Ihr werdet alle Herzen drin erobern!
GUSTAV.
Meinst du? Ich fürchtete, er wär etwas
Zu lang!
BERDOA.
Ihr fürchtetet? Ein Kronprinz fürchtet?
Nehmt Euch in Acht! die Weiber sind sehr sonderbar!
Weils sich nicht schickt, daß sie den Mann anfallen,
So sehn sie's gerne, wenn der Mann das Weib anfällt!
Der Freche wird geliebt!
GUSTAV.
Was machen wir
Heut nacht?
BERDOA.
In meinem Zelt ist großer Schmaus;
Ich lade Euch dazu; an Mädchen und an Wein
Soll es nicht fehlen.
GUSTAV.
Milchen ist doch auch
Dabei?
BERDOA.
Ei, das versteht sich. Auch
Adelaide ist geladen.
GUSTAV.
Fy! das schmutzge Mensch?
BERDOA.
Laß das nur sein; sie hat 'nen hübschen Arsch!
Wie prachtvoll wölbt er sich!
GUSTAV.
Fürwahr, da hast
Du Recht! Ihr Steiß ist delikat, ist göttlich![142]
BERDOA.
Sollt er nicht gar unsterblich sein?
GUSTAV.
Wie?
BERDOA.
Nichts. – Seit Milchen hast du wohl
Die schöne Selma ganz und gar vergessen?
GUSTAV.
Du bist ein dummer Kerl! Wie kannst du nur
So sinnlos schwatzen? Selma, dich vergessen!
Bloß weil ich Selma liebe, bloß
Daß meine Qual um sie in etwas doch
Sich lindre, gehe ich zu deinem Milchen;
O selig, überselig wär ich, hörte ich
Nur rauschen ihres Kleides Saum!
BERDOA.
Du!
Mit Selma unter einer Decke –
Im bloßen Hemde du und sie –
Und dann der süß Errötenden
Mit wollustvollem Zögern leise, leise
Das Hemde aufzuheben!
GUSTAV.
Ah, der Wonne!
BERDOA beiseit.
Ha, das versetzte ihm den Atem! – jetzt
Will ich ihn Sprünge machen lassen!
Laut.
Eur Vater ist doch hart; wißt Ihr daß Eure Mutter –
GUSTAV.
O Gott! ich weiß! O meine gute Mutter!
Jetzt, grade jetzt vielleicht verjammert sie
Im Schnee!
BERDOA.
Adelaidens Steiß!
GUSTAV.
Ist wirklich einzig!
Er ist der Steiß der Steiße!
BERDOA.
Eur Vater will für Euch um die
Norwegische Prinzessin werben, und
Der Selma sollt Ihr gänzlich Euch entschlagen.
GUSTAV.
Ich werd ihm nicht gehorchen!
BERDOA.
Panther und Hyänen!
Da habt Ihr Recht! Ihr müßt ihm nicht gehorchen!
Seid nur nicht blöde! Machts mit ihm, wie ers
Mit seinem Vater macht! Denkt nur an das,
Was ich von ihm erzählte! Treibt er es
Zu weit, so laßt von seinem Brudermorde
Ein Wörtchen fallen, – da wird er schon schweigen!
GUSTAV.
Ich weiß, was ich ihm bieten kann!
BERDOA.
Recht so,
Ich seh du hast Courage und Verstand![143]
GUSTAV.
Aber, erlaubt die Tugend –?
BERDOA.
Pah,
Sei doch nicht abergläubisch! Wer hat von
Der Tugend je etwas gespürt? Die Zeit
Ist aufgeklärt, sie glaubt an keine mehr.
Dummheit und Frömmigkeit sind synonym,
Nichts Sündges gibt es und nichts Böses,
Was für den einen bös ist, das ist für
Den andren gut; der Mensch kann ohnehin
Das Gute nicht vertragen: säe Wohltat auf
Ihn aus und Undank wird dir aufgehn;
Es gibt nichts Großes; achte niemand; wer
Sich selber kennt, verachtet sich; das Glück
Benennt man Weisheit und Genie;
Die großen Männer waren große Narren;
Lob nicht den Edlen, lob den Zufall, der
Ihn edel machte; Sokrates
Und Nero sind von gleichem Wert: versetz
Den einer in des andren Lage,
Und aus dem Nero wird ein Sokrates
Und aus dem Sokrates ein Nero;
Die Liebe ist versteckter Eigennutz,
Großmut ist spekuliernde Heuchelei,
Mitleid ist schwächliche Empfindsamkeit,
Und wenn auch jemand wirklich Gutes tut,
So tut ers weil das Gute leichter als
Das Böse ist.
GUSTAV.
Mit Schaudern höre ich
Die Religion der Hölle!
BERDOA.
Ah, sie paßt
Für diese Erde! – Ja, als ich noch liebte,
Da dacht ich ebenfalls ganz anders!
GUSTAV.
Wie?
Du hättest je geliebt?
BERDOA.
Hab ich es nicht
Schon hundertmal gesagt?
Beiseit.
Ein Narr, ders glaubt!
Laut.
Nie Ella! werd ich dich vergessen,
Du Holdeste der Afrikanerinnen,
Wie edel war ihr Herz! wie wollig war
Ihr Haar! zwei Schuhe lang ihr Busen![144]
Und ach! sie war Euch schwarz, schwarz wie
Die Unschuld!
GUSTAV lachend.
Wie? ist denn Unschuld schwarz?
BERDOA.
Nun,
Wir Neger haben einen anderen
Geschmack als ihr: uns ist das Schöne schwarz,
Die Teufel aber sind uns weiß!
GUSTAV.
Pfui, Pfui,
Schwarz sind die Raben!
BERDOA.
Altes Weiberhaar
Ist freilich weiß!
GUSTAV.
Sprichst du im Ernst?
BERDOA.
Im vollsten Ernste:
Ein ordentlicher Mohr muß aussehn wie
Ein gut gewichster Stiefel!
GUSTAV.
Hahaha!
Gothland tritt auf.
BERDOA.
Still, Prinz! da kommt Eur Vater! – Lebet wohl,
Bei meinem Schmause sehe ich Euch wieder.
Er entfernt sich.
GOTHLAND.
Mein Sohn, der Mohr verließ dich eben.
Vermeide seine schändliche Gesellschaft.
GUSTAV.
Wo soll ich hier im Lager eine beßre finden?
GOTHLAND.
Ich bin entschlossen, dich
Mit Norwegs Königstochter zu vermählen
Und hoffe, Beifall gibst du meiner Wahl.
GUSTAV.
Die Wahl ist schön, doch nimmer werd
Ich Norwegs Königstochter freien.
GOTHLAND.
Warum nicht?
GUSTAV.
Weil ich längst schon liebe!
GOTHLAND.
Liebst du?
So hüt dich, daß du nicht venerisch wirst! –
– Wie heißt denn die Erwählte?
GUSTAV.
Selma.
GOTHLAND.
Was? Tollkopf?
Die Tochter des vertriebnen Olafs?
GUSTAV.
Wenn
Du willst, daß ich die Völker, welche dir
Gehorchen, einstens groß und glücklich machen,
Ihr Völkerglück befördern soll, so gib
Mir Selma; ohne sie vermag ich nichts.[145]
GOTHLAND.
Ihr Vater ist mein fürchterlichster Feind,
Sie kann durchaus dein Weib nicht werden.
Und fasle mir nicht mehr von Völkerwohl
Und Völkergröße, – das sind Ideale!
Noch niemand ging mit Idealen für
Der Menschheit Wohl ins Leben, der
Es nicht als Bösewicht,
Als ausgemachter Menschenfeind verlassen hätte!
Bekümmere dich nicht um andrer Glück,
Sonst werden sie's dich büßen lassen, daß
Du für sie sorgst und dich in ihre Sache mischest!
Nach einer Pause.
– – Mein Sohn, du bist mein einzges Kind,
Für dich erobr ich Throne, häuf ich Schätze,
Du bist der einzge auf der Erde, welchen ich
Noch liebe: darum rar ich dir:
Verstein dein zartes Herz und mach
Es zähe für die Hämmer des Geschicks;
Verbanne Mitleid und Gefühl aus deiner Brust
Und ungeheure Qual wirst du ersparen;
Wie es der Liebende
Mit der Geliebten macht, die
Er lieber selber tötet, ehe er es ansieht,
Daß die barbarsche Räuberschar
Sie schändet und erwürgt, so mache du's
Mit deinen Hoffnungen und Träumen, – schneide sie
Mit eigner Hand bei Zeiten ab, bevor
Die rauhe Wirklichkeit sie dir vernichtet!
Vor allem aber bitt ich dich,
Bereue nichts! Denn etwas Überflüßgers als
Die Reue, gibt es auf der Erde nicht!
– Sohn, willst du diese Warnungen
Befolgen?
GUSTAV.
Ich will sie befolgen.
GOTHLAND.
So schwör, daß du dein Herz verhärten willst!
GUSTAV.
Ich schwör, daß ich mein Herz verhärten will!
GOTHLAND.
So schwör, daß du dein Hoffen töten willst!
GUSTAV.
Ich schwör, daß ich mein Hoffen töten will!
GOTHLAND.
So schwör, daß du nicht Reue fühlen willst!
GUSTAV.
Ich schwör, daß ich nicht Reue fühlen will!
GOTHLAND.
Du hast geschworen; willst du glücklich sein,[146]
So halte deinen Schwur! –
Und nun, mein Sohn,
Versprich mir auch das eine noch: heirate die
Norwegische Prinzessin, und
Laß Selma fahren!
GUSTAV.
Nein, das kann ich nicht.
GOTHLAND.
Ich bitte dich, mein Sohn, laß Selma fahren;
Sehr glücklich machst du mich dadurch!
GUSTAV.
Ei ei!
Ich sollte mich ja nicht um andrer Glück
Bekümmern!
GOTHLAND.
Bube, diesen Spott sollst du
Mit Tränen einst bereun!
GUSTAV.
Pah! ich
Bereue nichts! Ich habe ja geschworen, daß
Ich keine Reue fühlen will!
GOTHLAND.
O Bube! Bube!
Was macht dich gegen deinen Vater so
Verwegen?
GUSTAV.
Machst du es etwa
Mit deinem Vater besser?
GOTHLAND.
Junge! Junge!
GUSTAV.
Ich bin kein Junge!
GOTHLAND.
Wer hat dich
So fürchterlich verderbt, milchbärtger Schurke?
GUSTAV.
Ich
Ein Schurke? Einen Brudermord hab ich gottlob
Noch nicht begangen!
GOTHLAND.
Ha, dies hat der Mohr
Dir eingegeben!
GUSTAV.
Man gibt mir
Nichts ein!
GOTHLAND.
Vergiß die Selma!
GUSTAV.
Nein!
GOTHLAND.
Du sollst es!
GUSTAV.
Panther und Hyänen!
Ich will es nicht!
GOTHLAND.
Brav Äffchen! bravo Papagei!
Du hast beim Mohren etwas profitiert!
Sein »Panther und Hyänen« ahmest du
Ganz allerliebst schon nach![147]
GUSTAV.
Ich lasse mich
Von dir, der meine Mutter in die Wüste stieß,
Nicht schimpfen!
GOTHLAND.
Bengel! hüte, hüte dich!
Ich habe viel vergessen, und daß du mein Sohn
Bist, werde ich im Notfall auch vergessen können!
Nimm dich in Acht! laß dich nicht wieder bei
Dem Neger treffen!
GUSTAV.
Darf ich gehen?
Ich habe die Lektionen satt bekommen!
Er geht.
GOTHLAND ruft ihm nach.
Und morgen noch bewirbst du dich
Um die norwegische Prinzessin!
GUSTAV sich an der Tür noch einmal umdrehend.
Um die norwegische Prinzessin
Bewerb ich mich nun nicht.
Er geht trotzig ab.
GOTHLAND.
Weh! Weh!
Mein einzger Sohn! mein einzger Sohn!
Wie mich der Neger und die Freundschaft,
Verderbten ihn der Neger und die Liebe!
Drum Fluch der Freundschaft, Fluch der Liebe, Tod
Dem Neger! –
Heda!
Ein Diener tritt ein.
Hol mir
'Ne tüchtge Eisenkette!
Der Diener geht ab. Man hört Musik und Jubel hinter der Szene.
Fürst Arboga!
Arboga tritt ein.
Woher schallt dieser Jubel?
ARBOGA.
Aus
Berdoas Zelt; er hält heut nacht
Ein groß Bankett.
GOTHLAND.
Er triumphiert wohl, daß
Er mich an meinen Sohn verraten hat!
Der Diener kommt zurück mit Ketten; Gothland nimmt sie ihm ab und wendet sich dann wieder zu Arboga.
Nehmt funfzig Eurer bravsten Krieger und
Begleitet mich mit ihnen zu[148]
Berdoas Zelt; wir wollen die Lautjauchzenden
Bei dem Bankette überraschen, und
Den Neger einmal ernstlich fragen,
Weswegen er so schwarz ist! –
Er geht mit Arboga ab.
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