Letzte Szene

[202] Eine andere Gegend in der Nähe des Schlachtfeldes.


GOTHLAND tritt auf.

Der Neger wird mich nicht mehr auslachen! Eben

Hat er verröchelt! –[202]

Ja, und nun? Was soll

Ich nun tun? – Eigentlich sollt ich nun gegen

Den König Olaf, der mit großer Heeresmacht

Mir nach dem Leben trachtet, mich verteidigen,


Er gähnt.


aber

Das ist mir einerlei. – –

Ja ja,

Die Rache an dem Neger war

Das letzte, was mich auf der Welt

Noch interessierte;

Jetzt, da ich sie befriedigt habe, wüßt

Ich nichts mehr,

Was mich noch reizen könnte.

– Sogar des jetzgen Daseins bin

Ich überdrüssig; doch daß ich deshalb

Mich selbst entleiben sollte, dazu ist

Der Tod mir ebenfalls zu gleichgültig. –


Er steht eine Zeitlang nachlässig da; dann lehnt er sich auf den Stamm einer abgehauenen Eiche und blickt in die Gegend.


Sieh,

Die gelbe Morgensonne ist emporgestiegen

Und saugt die Dünste der

Morastgen Wiesen und der Sümpfe in

Die Höhe. – Auch beginnt der Frühling

Sich überall zu zeigen: Regenwürmer,

Die seiner lauen Witterung

Sich freuen wollen, kriechen aus der Erde,

Und südlich an dem Horizonte kommen

Die Schwäne und die wilden Gänse lärmend

Ins Nordland heimgeflogen. Es scheint

Daß wir 'nen schönen Sommer –


Er gähnt.


Ich bin doch

Recht müd und schläfrig. – Einstens, als

Ich noch ein Jüngling war, da – da –


Er schläft ein.


ARBOGA tritt auf.

Wo werd

Ich ihn denn finden? Ha, da liegt er schlafend!


Indem er ihn schüttelt.


He! Gothland! Gothland!

GOTHLAND aufwachend.

Was begehrst du?

ARBOGA.

Hast

Du diese Nacht, als dich Berdoa[203]

In deinem Zelt umzingelt hatte,

Mich an die Finnen überliefern,

Mich spießen lassen wollen?

GOTHLAND sich den Schlaf aus den Augen reibend.

Ich

Entsinne mich, daß ich dergleichen sprach.

ARBOGA.

Ei!

Du sprachst dergleichen! – Und wenn es

Die Finnen angenommen hätten,

So hättest du es wahrscheinlich nicht bloß

Gesprochen, sondern auch vollführt?

GOTHLAND gähnend.

Vielleicht auch das.

ARBOGA in Wut.

Vielleicht auch das! Du frecher Hund, das sagst

Du mir ins Angesicht? Nun, so krepier

Ins Teufels Namen!


Er jagt ihm den Degen durch den Leib.


GOTHLAND an den Boden stürzend, dem Arboga zuschreiend.

Narr! du meinst

Doch nicht, daß du mit diesem Degenstich

Mich ärgerst? Hohoho!

Da irrst du sehr! Ich frage nichts

Nach Leben oder Tod!


Laut hohnlachend.


Nichts, nichts

Frag ich nach Leben oder Tod!


Mit brechender, ersterbender Stimme.


Und – und

Die Hölle? O, die ist zum – wenigsten

Was Neues, – und ich – wette:

Auch an die Hölle kann man sich gewöhnen!


Er zuckt mit seinem ganzen Körper noch einigemal krampfhaft zusammen und stirbt.


ARBOGA sich über ihn bückend und seine Stirne betastend, wieder völlig ruhig geworden.

Die Stirne ist ihm kalt, – er ist verschieden.


Geht ab.

Kurze Pause. Dann großes Getöse; gleich darauf stäuben die Finnen und die Überreste von Arbogas

Regimentern in der zügellosesten, unaufhaltsamsten Flucht über die Bühne. Die Trompeten der Verfolger schallen immer näher und lauter zwischen den Tumult hindurch. Usbek, viele Feldherrn und Hauptleute, ebenso flüchtig wie die übrigen, stürzen herein.


DIE FLÜCHTIGEN.

Fort, fort! Der Ostseeküste zu![204]

Der Ostseeküste zu!

USBEK.

Weh, Wehe! Der

Ruin des Finnenheeres und der Fall

Der finnischen Nation ist da!

Ein Feigling, der das überlebt!


Er stürzt sich in sein Schwert; mehrere folgen seinem Beispiele.


FLÜCHTIGE.

Die Feldherrn

Stürzen sich in ihre Schwerter, und

Verlassen uns in unsrer Not!

VIELE STIMMEN.

Flieht, flieht! der Ostseeküste zu!

Der Ostseeküste zu!


Alle ab. Pause. Unter Triumphmusik und wehenden Fahnen kommen der König Olaf und der Graf Holm,

von ihren norwegischen, russischen und deutschen Heeren begleitet.


KÖNIG.

Der Sieg ist unser und vernichtet sind

Die Feinde! Preis und Dank

Dem Lenker der Geschicke!

HOLM auf Gothland deutend.

Seht Ihr dort

Den weißgelockten Toten liegen?

KÖNIG hinblickend und erschüttert sich wegwendend.

Still von ihm!

Wir können ihn nicht lieben –

So wollen wir ihn zu vergessen suchen!


Ein Hauptmann und mehrere Soldaten, die den gefangnen Arboga in der Mitte führen, treten auf.


DER HAUPTMANN.

Hier bringen wir den Grafen von Arboga;

Er schien sich wenig draus zu machen, daß

Wir ihn gefangennahmen.

KÖNIG.

Graf,

Ihr wart der pflichtvergessenste

Verräter Eures Königs – Wisset Ihr, womit

Ein solcher Hochverrat gebüßt wird?

ARBOGA.

Mit

Dem Rade.

KÖNIG.

Niemals soll man von mir sagen,

Ich sei grausam gewesen –

Euer Leben kann[205]

Ich Euch nicht schenken, aber Eure Strafe

Kann ich zur Hälfte Euch erlassen –


Zu einigen Soldaten.


Geht

Und schlagt den Kopf ihm ab!

ARBOGA.

Meintwegen!


Er wird abgeführt.


DER ALTE GOTHLAND tritt auf.

Nun? Habt

Ihr den verruchten Buben, den ich mir

Zur Schmach erzeugte, endlich ein-

Gefangen und erschlagen? Oder

Ist er schon wiederum entwischt?

KÖNIG führt ihn zu der Leiche.

Er ist

Erschlagen!

DER ALTE GOTHLAND.

Dank dir für

Die Nachricht!


Während er den Leichnam betrachtet wird er immer bewegter; er will das »Dank dir für die Nachricht!« noch einmal wiederholen, aber seine Stimme fängt an zu zittern und zu stammeln; endlich mit unwiderstehlich hervorbrechendem grenzenlosen Schmerze.


Dank dir? Dank!

Nein! Fluch, zehntausendfacher Fluch

Auf dich, daß du mir sagtest, daß mein Sohn

Erschlagen sei, und Fluch auf mich, daß ichs

Dir dankte!

HOLM.

Weh!

Jetzt kommt es, wie ich es gefürchtet!

DER ALTE GOTHLAND über der Leiche liegend.

O

Ich grauer Tor! ich grauer Tor! Zu wähnen,

Der Tod des Sohnes sei mein Glück! Zu glauben,

Daß sich die menschliche Natur, daß sich

Die Liebe, die ein Vater für sein Kind hegt,

Auf ewge Zeit vertilgen ließen! O, um

So länger du die reinen, menschlichen

Gefühle niederringst,

Um so gewaltger richten sie hernach,

Wenn ihre Stunde schlägt, sich wieder auf!

KÖNIG.

Herzog, ich bitte Euch – bedenkt, vergesset – –

Gott,

Er hört mich nicht![206]

DER ALTE GOTHLAND.

Ha,

Wo ist mein Schild und meine Lanze? –

– Das Haus der Gothlands stürzt zusammen und

Hört auf zu sein –

zerbrochen sei sein Schild, zu Stücken

Sei seine Lanze,


Sich den Helm abreißend.


Federbusch

Und Wappen sei'n auf immerdar

Von seinem Helm gerissen, – in

Vergessenheit soll es versinken, – und

Ich selber habe es vernichtet!

KÖNIG.

Tröste dich;

Das Haus der Gothlands ist unsterblich,

Und als das glorreichste im ganzen Norden

Wird es der Zeit zum Trotz in ewgen Liedern

Ewig leben!

DER ALTE GOTHLAND.

Nun,

Wenn das dein Ernst und nicht

Bloß dein Geschwätz ist, so gebiet,

Daß man den Nachkommen aus diesem Hause,

Der leblos hier am Boden liegt,

Würdig und feierlich bestatte! – Legt

Zum Zeichen seines Heldentums

Das Feldherrnschwert auf seinen Sarg,

Senkt eure Fahnen, und zum Trauerzug

Geordnet, mit umflorten Waffen,

Begleite ihn das Heer!

KÖNIG.

Ein stilles Grab

An heiliger, geweihter Stätte – das

Ist alles, was ich dir für ihn

Gewähren kann!

DER ALTE GOTHLAND.

Hoho,

Ich sehe wohl, wo das hinaus will, –

Beiseit, dicht an der Kirchhofsmauer, wollt

Ihr ihn bei Nacht und Nebel

Wie einen Ehrlosen verscharren –

Doch so – und kostet es mir auch das Leben!

So laß ich ihn nicht schänden! – Zieht

Die Degen und nehmt euch in Acht!

Ich stehe in dem Blute meines Kindes

Und es durchglühet mich mit Riesenstärke![207]

Ihr, ihr habt es gemordet, ihr habt mich

Gereizt, es mit euch in Gemeinschaft zu

Verfolgen, ihr verweigert ihm

Sein Grab –


Mit dem Schwerte auf den König und die übrigen einhauend.


ihr

Sollt merken, was ein Vater ist, dem man

Den Sohn erschlug!

KÖNIG.

Halt! Weg mit

Dem Schwerte! Zwing mich nicht, daß ich

Dich mit Gewalt –

Nein,

Hier hilft nichts andres!

Ergreifet und entwaffnet ihn!

DER ALTE GOTHLAND nach einem kurzen, aber heftigen Widerstande überwältigt.

O,

Ich habe keine Söhne mehr,

Sonst dürftet ihr mir das nicht bieten!

Sonst dürftet ihr mich nicht so frech auslachen!

KÖNIG.

Wir lachen dich nicht aus –

Wir stehen tieferschüttert da,

Und trauern über dein unseliges

Geschick!

DER ALTE GOTHLAND.

Ihr lachet, da das alte, fürstliche

Geschlecht der Herzoge von Gothland,

Der Glanz des Nordens und sein Ruhm,

Zu Grunde geht? – Ihr lacht? Ihr lacht? –

Ho, weinet! weinet! sag ich euch! Noch oft

Du König! wirst du in den Schlachten

Dich nach den Gothlands sehnen


Mit unsäglichem Schmerze auf die Leiche stürzend.


und

Die Gothlands sind nicht mehr! –


Alle blicken in stummer Rührung auf ihn hin.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 1, Emsdetten 1960–1970, S. 202-208.
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