Erste Szene

[355] Paris im Jardin des Plantes.

Ein alter Gärtner und seine Nichte treten auf.


DER ALTE GÄRTNER. Nicht so wild Kind, nicht gesprungen, – hier ging einst Buffon sehr ruhig und ordnete sein System.

DIE NICHTE. Onkel, Onkel, welch ein Morgen! Wie durchschimmert ihn die Frühlingssonne! Eintrinken möcht ich ihn!

DER ALTE GÄRTNER. Du Wilde, sieh nach den Bäumen – Haben Weide und Kastanie schon Knospen?

DIE NICHTE. Ja! alle, alle, und die Silberpappeln knospen dazu – O, ça ira, ça ira.

DER ALTE GÄRTNER. Nichte, das sag ich dir ernstlich, tu was du willst, aber singe mir keine politischen Lieder.

DIE NICHTE. Ça ira? politisch? Ich meinte, bald gehts los, und die Blumen brechen aus.

DER ALTE GÄRTNER. Wir können die Fenster von den Beeten nehmen – Ah, wie richten sich schon die Gräser auf. Hier Phalaris canariensis.

DIE NICHTE. Welch ein weitläuftiger Name für ein so kleines, zierliches Ding. – Man möchte die Gräschen ausreißen und küssen, so allerliebst stehen sie da.

DER ALTE GÄRTNER. Die Kanone der Sternwarte donnert schon die zehnte Stunde. Wir müssen fleißig sein, wollen wir vor Mittag noch etwas beschicken.

DIE NICHTE. Etwas beschicken? – Das überlaß heute den Leuten ringsum in der staubigen Stadt – Wir wollen hier das frische Grün genießen. – – Die schöne Kokosblüte in jenem Gewächshause nehm ich mir zum Stickmuster.

DER ALTE GÄRTNER. Stickmuster, ja – Seit einem Jahre[355] denkst du bei jeder Blume an Putz, Stickmuster und den unseligen Pierre. Ich glaube, du hingest ihm den ganzen Gartenflor um den Hals, deines Onkels Herz dazu.

DIE NICHTE. Mein Herz gern, deines nicht, Onkel. In deiner Brust, die für meine Mutter und mich so treu sorgte, säß es doch besser als an seinem Halse. – Aber, wahr ist wahr, und schön ist schön, und gut ist gut: wahr, schön und gut ist er.

DER ALTE GÄRTNER. Er stört mich hier, und der Oberintendant des Gartens hat es schon übelgenommen, daß ich ihn einlasse. Er ist ein Bonapartist oder gar ein Revolutionär –

DIE NICHTE. Wäre Pierre das (ich weiß wahrhaftig nicht, ob er es ist, denn auf sein politisches Geschwatz acht ich so wenig wie der schlafende Müller auf das rauschende Rad) so müßten die Bonapartisten und Revolutionäre herrliche Leute sein.

DER ALTE GÄRTNER. Kind, Kind, ehre mir die Bourbons, unsere Herren.

DIE NICHTE. Vor einem Jahre mußt ich ja das erste Kapitel des kaiserlichen Katechismus auswendig lernen, und Napoleon anbeten. Weißt du, wie du mir drohtest, als ich bei dem Aufsagen stotterte?

DER ALTE GÄRTNER. Vor einem Jahre, Kind! – Jetzt schreiben wir 1815.

DIE NICHTE. So – 1814 und 1815, das ist der Unterschied. – Es geht wohl mit den Herrschern, wie mit den Blumen, – jedes Jahr neue. – Ach, sieh da meine wieder grünende Ulme!

DER ALTE GÄRTNER. Der König Ludwig der Achtzehnte gibt mir mein Brot, – und da kommt der verwünschte Pierre mit Damen –

DIE NICHTE. Damen? Was? Ha, der –

DER ALTE GÄRTNER. Damen der Halle.

DIE NICHTE. So – Die machen mich nicht eifersüchtig.


Pierre und Damen der Halle.


PIERRE. Elise, meine Elise! – Und alle Lilien ausgerottet, mein Vater!

DER ALTE GÄRTNER. Warum?

PIERRE. Der König wird fortgejagt, – Napoleon kommt wieder.[356]

DIE DAMEN DER HALLE. Die Lilien weg! Die Lilien weg!

DER ALTE GÄRTNER. Stille, stille – Vor dem Garten stehen Gensd'armes, die dieses hören möchten.

DIE DAMEN DER HALLE. Weg Gensd'armes und Lilien!

DER ALTE GÄRTNER. Meine Damen, verwechseln Sie nicht das Reich der Natur mit dem Reiche der Bourbons, nicht blühende Lilien mit gemalten.

DIE DAMEN DER HALLE. Gut gesagt!

DER ALTE GÄRTNER. Bedenken Sie, daß dort die Büste Linné's steht. Auch Büff –

EINE DAME DER HALLE. Linné, was war der?

EINE ANDERE. Ein herrlicher Mann, Madame. Erst Schusterjunge in Lyon, dann Fürst von Pommern, Schweden und den Heidschnucken, und immer dabei ein eifriger Republikaner und Beschützer des botanischen Gartens.

DIE DAMEN DER HALLE. Behalte deine Blumen, Gärtner. Hoch lebe der Fürst Linné!


Die Damen der Halle ab.


DER ALTE GÄRTNER. Mir wirbelt der Kopf: – Linné ein Schusterjunge, dann Fürst, Republikaner, und das alles so sicher gesagt – Ich will sie eines Besseren belehren – Linné war –

PIERRE. Still! – Rufe sie nicht zurück. Ich selbst mußte sie wider Willen hieher führen. Gott weiß, was ihnen einmal vom Linné in den Ohren geklungen hat, und was klingt, glauben sie, und erzählen es noch schallender wieder. – – Elise schmollst du?

DIE NICHTE. Revolutionsmensch –

PIERRE. Das verstehst du nicht. – Geliebte –

DIE NICHTE. Und das »Geliebte« verstehst du nicht. – Ha, da die weißen Kirschblüten – sitzen sie nicht am Baume, wie junge Lämmer, die am grünen Berge klettern? – Wie schön!

PIERRE. In deinem Auge blitzen sie schöner. – Napoleon soll jetzt, wie, man munkelt –

DIE NICHTE. Folge mir unter den Kirschbaum.[357]


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 2, Emsdetten 1960–1970, S. 355-358.
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