Dritte Szene

[387] Abend. Zimmer in den Tuilerien. Erleuchtet.

Napoleon. Viele diensttuende Offiziere um ihn.

Andere sitzen und schreiben.


NAPOLEON. Wo Cambronne?

OFFIZIER. Sire, er visitiert die Wachen.

NAPOLEON. Diese Zimmer – Ich bin wieder zu Haus, und Frankreich ist mein! – Hier wandelten also vor ein paar Stunden Blacas d'Aulps und d'Ambray? – Ah,


Halblaut.


s'il est un temps pour la folie,

il en est un pour la raison.


Wem gehörten diese Bücher?

OFFIZIER. Dem König Ludwig.

NAPOLEON. Ich bin doch neugierig – Er blickt in mehrere. Gebete! – Mit Gebeten und Jesuiten zwingt man nicht mehr die Welt – Die Bücher beiseit, und Landkarten auf den Tisch – Zu einem Offizier. Lassen Sie in die Zeitungen setzen: binnen drei Wochen würden die Kaiserin und der König von Rom hier sein.


Adjutant ab. Napoleon für sich.


O mein Sohn – in den Krallen von Habsburg – Ich kanns, ich mags nicht denken!


Zu einem schreibenden Offizier.


Die Depeschen?

DER OFFIZIER. Sind fertig, Sire.

NAPOLEON. Fort mit ihnen in die Provinzen. – – Hier neue! – Welch sonderbares Ding von einem Stuhl?

EIN OFFIZIER. Des Königs Rollstuhl.

NAPOLEON setzt sich hinein. In dem sitzt es sich freilich bequem – in dem konnte man leicht vergessen, daß es in Frankreich und auf Elba anders war, als in diesem Zimmer.


Wieder aufstehend.


Schließt den Stuhl beiseit.

EIN KAMMERHERR tritt ein. Sire, hier Depeschen – schriftliche Nachrichten von dem Telegraphen –

NAPOLEON. Her damit – – Die Depesche ist albern – Er wirft sie weg. – Da Aufruhr in der Vendée – General Travot kennt den Distrikt seit zwanzig Jahren – Er soll[387] hin mit zehntausend Mann – Schnell, schnell das expediert, ihr Schreibenden! Die Truppen nimmt er aus Nantes und Angers. – – – Hier – o, alles, alles seit dem April von 1814 in Frankreich Ruin, Festungen und bürgerliche Ordnungen – bloß mit den Einkünften der Pfaffen stehts gut – wenigstens beschweren sich die Gemeinden über das Unmaß derselben.


Zu den Schreibenden.


Die Missionskreuze auf den Marktplätzen sollen fort, – kein Geistlicher unter Bischofsrang erhält mehr Gehalt als ein Bezirksrichter.

– Nochmals der Telegraph? – Murat marschiert. Konnt er denn nicht warten, bis Ich gerüstet war? Die Übereilung ist schlimm für ihn und etwas Schade für mich. – Zwölf Zimmer sollen in Toulon königlich eingerichtet, und ihm überlassen werden, kommt er auf der Flucht dahin. – Bildet sich der Mensch ein, er könne in Einem Feldzuge mit seinem neapolitanischen Gesindel Italien organisieren – Das ist eine Arbeit für Jahrhunderte – Geistliche und weltliche Politik haben zu fleißig dafür gesorgt.

KAMMERHERR tritt ein. Der König flüchtet, wie man erfahren, über Lille.

NAPOLEON. Alle Behörden und alle Festungskommandanten sollen ihn laufen lassen, soviel er kann. Hab ich ihn, so macht er mir Plage, hab ich ihn nicht, so bin ich mit der Plage verschont und er tut mir keinen Schaden.


Kammerherr ab.


EIN OFFIZIER. Sire, das Volk ruft Ihnen immer donnernder Vivat –

NAPOLEON. Schon gut.

DER OFFIZIER. Und es fleht, Sire, Sich einen Augenblick am Fenster zu zeigen, um sein Sehnen nach Ihrem Antlitz zu stillen.

NAPOLEON. Die Canaille wird anmaßend – Die Bourbons haben, so hochadlig sie sind, die Zügel doch recht schlaff gehalten – – Nun –


Er geht einen Augenblick an das Fenster, lautes Geschrei: »es lebe der Kaiser« erschallt. Er tritt zurück, und


DER KAMMERHERR kommt wieder. Neue Depeschen –

NAPOLEON. Gut. Übrigens verbitt ich, mir künftig jedesmal[388] die Kuriere und Depeschen förmlich anzumelden. Wer Beruf oder Mut hat, mir etwas zu bringen, mit mir zu sprechen, komme unangemeldet. Europa blickt voll Erwartung hieher, und läßt mir keine Zeit zur Etikette.

KAMMERHERR. Wie Sie befehlen, Sire.

NAPOLEON. Apropos – Standen Sie bei Ludwig dem Achtzehnten im Dienst?

KAMMERHERR. Sire, ja – einige Zeit.

NAPOLEON für sich. »Sire, ja – einige Zeit« – Ein stotternder Zweideutler. Laut. Meines Dienstes sind Sie entlassen.


Kammerherr ab. Kuriere, Ordonnanzen treten ein.


Die Botschaften – – Ah, Gilly hat den Angoulême bei Lyon gefangen –


Zu einem Offizier.


Der Telegraph hat nach Lyon zu berichten, daß General Gilly den Herzog von Angoulême im ersten besten Seehafen denen, die ihn zu besitzen wünschen, ausliefre.


Offizier ab.


Wieder der Telegraph – Die Angoulême ist nach tapferer Gegenwehr aus Bourdeaux vertrieben. – Sie ist der einzige bourbonische Sprößling, der Hosen zu tragen verdiente. – – Was bringst du?

EINE ORDONNANZ. Dieses, Sire.

NAPOLEON. Auch vom Telegraphen. – Pah, der Kongreß zu Wien ist auseinander. Daß der auseinanderlief, wußt ich, als ich von Elba den Fuß in das Schiff setzte. – – Und du?

EINE ANDERE ORDONNANZ. Depeschen von Montmédy.

NAPOLEON während er liest. In Preußen marschierts – Der sonst so sparsame Staat schickt seine Soldaten sogar auf der Post an unsre Nordgrenze – Die Niederlande machen es ebenso – – Nun, kommt ihr mir zu voreilig entgegen, so rechnets euch selbst zu, wenn ihr mich zu früh findet.


Zu den Schreibenden.


Ist alles fertig?

DIE SCHREIBENDEN. Ja, Sire.

NAPOLEON. So schickt es fort.


Mehrere ab.


– – Du hast?

EINE ORDONNANZ. Telegraphische Nachrichten von Brest und von Toulon –[389]

NAPOLEON. Ha, England –


Er liest.


– Die englischen Flotten überall an Frankreichs Küsten mit ausgesteckter, roter, großer Kriegesflagge – Orlogs, kommt meinen Strandbatterien nicht zu nahe! – – Und ganz Frankreich ist von den Herren in St. James in den Blockadezustand erklärt? – Ei, warum verbieten sie uns nicht auch das Atmen?

BERTRAND kommt. Sire, hier die Ausfertigungen –

NAPOLEON. Bist fleißig gewesen; ich glaube, du hast in drei Tagen, weder unterwegs noch hier geschlafen.

BERTRAND. Konnt ichs vor Freude? – Da wollt ich denn doch bei dem Wachen auch etwas tätig sein.

NAPOLEON. Was macht deine Frau?

BERTRAND. Sitzt am Stickrahmen, springt wieder auf, tanzt, küßt ihr Kind, empfängt Bekannte, glüht vor Freude und Gesundheit, und ruft einmal über das andere: es lebe Gott, es lebe der Kaiser, und jetzt mögen wir dazu leben!

NAPOLEON. Grüße sie von mir – Nun?

BERTRAND. Sire, noch etwas –

NAPOLEON. Ich merke, was Schlimmes – Entdeck es, – ich bin kein Bourbon, – wer wie sie das Schlimme nicht erblicken will, vermeidet es nicht.

BERTRAND. Die Telegraphen melden von allen Seiten, daß nirgends, vom kleinsten deutschen Fürstenhofe bis nach Wien, Berlin und der Newa deine Briefe angenommen sind.

NAPOLEON. So will Ich Selbst sie den Herren bringen, und dreimalhunderttausend Mann dazu. – Künftig läßt du in jedem offiziellen Schreiben, das »Wir« und das »von Gottes Gnaden« aus. Ich bin Ich, das heißt Napoleon Bonaparte, der sich in zwei Jahren Selbst schuf, während jahrtausendlange erbrechtliche Zeugungen nicht vermochten, aus denen, die sich da scheuen, meine Briefe anzurühren, etwas Tüchtiges zu schaffen. – Jetzt durchzuckt es mich wie ein Blitz, und ich sehe klar in die tiefsten Gefilde der Zukunft: es wäre klüger von mir gewesen, hätt ich die Österreicherin nicht zur Frau genommen, sondern, wie ich konnte, zur Mätresse. Sind einmal alle Vorurteile der alten Zeit umgewälzt, so schadet es den Enkeln meines Sohnes noch in späten Jahrhunderten, daß sie von einer als kaiserliche Prinzessin geborenen Mutter entsprungen und[390] dadurch der Anhänglichkeit an lächerliche Ahnenideen verdächtig sind!

BERTRAND. Auch haben alle Mitglieder des Kongresses –

NAPOLEON. Zaudre nicht –

BERTRAND. – eine Art Acht über dich ausgesprochen.

NAPOLEON. Es ist spaßhaft. Geächtet? Mich? Warum?

BERTRAND. Sire –

NAPOLEON. Ich will es dir sagen: alle die Leute mit all ihren Generalen, den alten, tollen Blücher vielleicht ausgenommen, beben nicht vor Frankreich, wie es jetzt ist, sondern vor meinem Genie. – Geächtet! Ich! Ich kann mir die schönen Phrasen denken, in welchen die Ächtung ausposaunt ist – vom »Störer des Weltfriedens, Eroberer, Tyrannen« wirds darin wimmeln. – Eh, eine treffliche Sprache im Munde der Teiler von Polen – Vermieden sie nur die politische Scheinsucht, – würden sie nur nicht zugleich kleinliche Heuchler, indem sie große Gewalttaten begehen, – aber da wird alles mit erlogenen Beweggründen motiviert, jeder Raub mit glatten Worten ausgeputzt, und beides dient bloß, die Bewältiger und Räuber verhaßter und verächtlicher, und die Unterdrückten und Beraubten erbitterter zu machen! – Geächtet! – Weil ich als Kaiser, als unabhängiger Fürst von Elba, den Bourbons, die mir meine Pension nicht zahlten, Krieg gemacht? Hat Rußland je soviel Ursach zum Krieg mit den Osmanen gehabt? – O Gott sei gelobt, daß ich Waffen genug habe, um meinen Grimm nicht wie ein armer Sultan verbeißen zu müssen! – Bertrand, am dreizehnten Juni, abends sieben Uhr, steh ich mit meiner ganzen Armee bei Avesnes und weder sie soll wissen, wie sie dort zusammengekommen ist, noch der Feind mich eher ahnen, als bis ich mitten in seinen Kantonierungen hause. – Nimm diese Karte, – die Marschrouten hab ich schon darauf bezeichnet, – laß bis morgen früh an die Heerteile und Platzkommandanten die nötigen Befehle ergangen sein.


Bertrand ab. Fouché und Carnot treten auf.


NAPOLEON für sich. Die beiden zusammen? – Ich hätte jeden lieber einzeln – Doch der freie Eintritt ist einmal erlaubt.

FOUCHÉ. Sire, unsre Glückwünsche zur Wiederbesteigung Ihres Thrones.

NAPOLEON. Otranto, – Sie übernehmen wieder das Portefeuille des Polizeiministers.[391]

FOUCHÉ. Sire –

NAPOLEON. Und Ihnen, Graf Carnot, Dank für die Verteidigung von Antwerpen.

CARNOT. Leider war sie vergeblich, – ich mußt es auf Befehl des Königs übergeben.

NAPOLEON. Tut nichts. Belgien entläuft uns doch nicht. – Wissen Sie, meine Herren, daß bereits ganz Europa gegen uns proklamiert und marschiert?

FOUCHÉ. Wir wissen es.

NAPOLEON. Was tun wir?

CARNOT. Sire, geben Sie Frankreich eine liberale Konstitution, mit sichren Garantien, und die Despoten Europas erzittern, während der Bürger von Paris fröhlich sein Vaudeville singt.

NAPOLEON. So auch sprach neulich ein braver junger Mann, Labédoyère. »Liberalismus«, »Konstitution« lauten gut, aber Carnot, Sie erfuhren selbst, wie wenig die Menge davon versteht. Der gute, wohlmeinende Advokat aus Arras, Robespierre, mußte zum Schreckensmann werden, als er die Republik aufrechterhalten wollte, und Sie selbst waren sein Kollege. Dafür haben die Zeitungsschreiber ihn und Sie so mit Tinte übergossen, daß es lange währen wird, ehe der Strom der Geschichte beide wieder weiß wäscht. – – – Was ich für den Augenblick tun kann, soll indes geschehen – Die Zukunft schaffe weiter. Alles was in der neuen bourbonischen Charte nach Feudalismus und Pfaffentum schmeckt, will ich durch eine Zusatzakte wegschaffen, und diese Akte auf einem Maifelde, ähnlich jenem der fränkischen Kaiser, publizieren lassen. Aber, aber, glauben Sie, meine Herren, Charten und Konstitutionen sind zerreißbarer als das Papier, auf welches man sie druckt.

FOUCHÉ. Sire, eine Druckerei bedeutet jetzt mehr als eine römische Legion.

CARNOT. Und bedeutete sie weniger als eine französische Kompanie – besser, das Gute wollen, als das Schlechte tun.

NAPOLEON. Sie, Carnot, sind mein Minister des Innern.

CARNOT. Sire, Sie geben mir ein Amt, dessen Geschäfte ich nicht kenne.

NAPOLEON. Das Kriegsministerium wär Ihnen lieber, aber Davoust ist der dermaligen Armee bekannter als Sie – Er hat es. – Drum nehmen Sie den Minister des Innern[392] an, wärs auch nur als nicht verschmähtes Zeichen meines Zutrauens, und seien Sie ohne Sorge, ob Sie dazu passen, – Sie passen zu jedem großen Staatsdienst, denn Sie sind weise, kühn und brav. – Meine Herren, für heute gute Nacht.

FOUCHÉ mit Carnot abgehend, flüstert diesem zu. Die alte Manier, als wäre gar kein Elba gewesen.

NAPOLEON. Der listig kühne Fouché und der ehrliche Republikaner Carnot sind immer noch zehnmal besser als der klug feige Talleyrand, welcher mit dem Winde schifft, und nachher sagt, er hätte ihn gemacht. Weh ihm, irrt er sich einmal um die Breite eines Haares, der Seiltänzer! Weh ihm, irrt er sich jetzt an mir!


Hortense tritt ein.


Warum kommst du erst jetzt? Du bist seit einer Stunde hier. – Ich hörte deinen Wagen.

HORTENSE. So genau weiß das mein Kaiser? Ich sollte mir schmeicheln.

NAPOLEON. Und deine Reisekleider abgelegt – in Goldstoff – Welch ein Gürtel, – eine Sammlung von Diamanten.

HORTENSE. Ich schmückte mich, um dich in würdiger Tracht zu grüßen.

NAPOLEON. Frischen Lorbeer im Haar? – Davon muß ich bald ein paar Blätter verdienen.

HORTENSE. Ach, seit wir uns nicht gesehen, Kaiser, ist manches, manches Schmerzliche über deine Familie ergangen, – du sprühtest Funken, wüßtest du, wie undankbar, wie schlecht die Menschen sind! Allein das Geschick tat doch den härtesten Schlag –

NAPOLEON. Hortense, ich bitte, laß deine Gewohnheit, mache mich nicht schwermütig – Ich habe andere Geschäfte. –

HORTENSE. Einen Augenblick hast du übrig für das Angedenken an Die, die jahrelang nur dich dachte – die bescheidene Blume, welche du der prächtigen Rose des stolzen Österreichs opfertest, – sank dahin.

NAPOLEON. Josephine! – – Hortense, du bist hart – O, ihr Tod hat mir schon genug schmerzvolle Nächte gekostet – Ja, Sie war mein guter Stern! – Mit ihr erlosch mein Glück! – – – Selige Tage, wo ich in Italiens Gefilden den Tod verachtete, und nur siegte, um ihr meine Triumphe zu melden! Das hat mich zum Helden geschaffen! – Sprach[393] sie von mir noch in den letzten Stunden?

HORTENSE. Als sie nicht mehr sprechen konnte, blickte sie auf das goldne N über ihrem Betthimmel, und ließ sich die Hand auf das Herz legen.

NAPOLEON. Ha! – – Genug, Hortense. Es ist über haupt alles anders geworden. Ich bin, wie in einer Wüste. Berthier ist fern, Duroc, Bessières sind längst gefallen, Junot hat sich aus dem Fenster zu Tode gestürzt, Louise und meinen Sohn hält man zurück, und noch schlimmer als das alles, viele sind weder gestorben, noch haben sie sich entfernt, aber sie wurden Verräter. Selbst der Ney – Er ist der mutigste meiner Marschälle, doch an Charakter der schwächste. Du hättest das Gesicht sehen müssen, mit dem er vor mich trat, als seine Truppen zu mir abfielen. Er hatte im Ernst gegen mich kämpfen wollen, und konnte nun nicht das Auge aufschlagen. Als ich ihm aber entgegenging und tat als wüßt ich nichts, ward er wie ein geretteter armer Sünder, wäre mir fast zu Füßen gefallen, und ich bin überzeugt, er streitet nächstens verwegener für mich als je.

HORTENSE. Ich würd ihn nicht wieder anstellen.

NAPOLEON. Ich muß es tun – Sein Name hat einen guten Klang im Heere.

HORTENSE. Es gibt Einen unter deinen Ministern, der treuer ist als alle deine Marschälle – Er harrt im Vorsaal, Wonne im Auge –

NAPOLEON. Das ist Maret.

HORTENSE. Du errätst ihn.

NAPOLEON. Keine Kunst, – er ist gewandt wie ein Aal, klammert sich aber auch ebenso fest an. – Er bekommt das Staatssekretariat zurück.

HORTENSE. Auch deine Brüder: Lucian –

NAPOLEON. Der Präsident der Fünfhundert naht sich dem Kaiser? O weh, ich muß ihm hülfsbedürftig, seiner Großmut würdig erscheinen.

HORTENSE. Auch Joseph, Jérôme –

NAPOLEON. Die beiden unterscheid ich nicht. Jeder fühlt sich in dem Teiche wohl, in den ich ihn setze.

HORTENSE. Beurteile nicht alle so hart. Bedenke, was würde die Welt, wären wir alle wie du?

NAPOLEON. Nun, die würde nicht so übel.[394]

HORTENSE. Ewiger Krieg und Lärm würde aus ihr –

NAPOLEON. Hortense –

HORTENSE. Verzeihe, Kaiser – – Bin ich zu frei, ist deine Güte schuld. – Aber, wie viele Kürassiere, Dragoner, Batterien, Grenadiere, Voltigeurs, ziehen wohl schon auf allen Straßen? – Nicht? – O gesteh es nur – Ich kenne dich. – Dir donnern bereits tausend Kanonen im Haupte – – Schone, schone die Jugend Frankreichs, schone die Mütter, welche mit zerrißnen Herzen ihre Söhne in den Tod senden!

NAPOLEON. Die Truppen, welche jetzt marschieren, sind Veteranen aus Spanien und Rußland, haben schwerlich noch Mütter, und hätten sie deren, welche Französin wäre so schlecht, ihren Sohn nicht gern dem Vaterlande auf dem Felde der Ehre zu opfern? Wo stirbt er besser?

HORTENSE. Feld der Ehre – sage oft: Feld der –


Sie stockt.


NAPOLEON. Sprich.

HORTENSE. – der Eitelkeit.

NAPOLEON. Der Albernheit beschuldigen mich die faden Zeitungsschreiber. – Hortense, denke du besser von mir: nie kämpft ich ohne Grund. Zog ich nach Spanien, so war es, um die Heimtücke des Kabinetts von Madrid zu strafen, die letzten Bourbonen des Kontinents, welche mich nie aufrichtig lieben konnten, aus meinem Rücken zu entfernen, den Engländern mit einem gewaltigen Bollwerk das Mittelmeer zu schließen. Zog ich nach Rußland, so war es, endlich mit einem Schlag zu entscheiden, ob südlicher Geist oder nordische Knuten die Welt beherrschen sollten. Jetzt so hätt ich indes gern Frieden – doch Groß und Klein ist gegen mich, und ich muß kämpfen.

HORTENSE. Du mußt – ja, weil du willst.

NAPOLEON. Ihr weißer! Wer euch belehren will, beschwört das Feuer. – Hortense tanze, – du verstehst es meisterhaft, – aber nie wieder ein Wort über Politik.

EINE ORDONNANZ tritt ein. Paris ist illuminiert.

NAPOLEON. Mir lieb, – so haben die Lichtzieher vielen Absatz.


Zu Hortense.


Komm mit in den Vorsaal, Maret und die Brüder zu überraschen.


Zu den Schreibenden.


Meine Herren, schnell!


Mit Hortense ab.
[395]

Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 2, Emsdetten 1960–1970, S. 387-396.
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