Zweite Szene

[399] Paris. Ein Zimmer in den Tuilerien.

Napoleon und Hortense treten ein.


NAPOLEON. Nun gehts in das Feld, Hortense. – Ich und meine Armee werden unsre Schuldigkeit zu tun wissen.

HORTENSE. Ahnt ich nicht, daß es so kommen würde? – Bitte Sire, nimm dieses Etui.

NAPOLEON. Wahrlich, schön überzogen – Adler, Bienen,[399] Veilchen darauf gestickt. – Und darin? Allerliebste Sachen! Ein ganzes kostbares Schreibzeug en miniature darunter!

HORTENSE. Länder, womit du zu spielen gewohnt bist, kann ich dir nicht geben. Nimm die Kleinigkeit, und denke dabei der großen Liebe der armen Hortense.

NAPOLEON. – Wann sticktest du den Überzug?

HORTENSE. Als – o – als du fern warest.

NAPOLEON. Auch etwas wie Tränen darauf gefallen?

HORTENSE. Harter, fragst du? – Es waren trübe Stunden – ja, entsetzliche!

NAPOLEON. Hätt ich doch nicht gefragt – – Dein Etui vergeß ich nicht unter den Donnern der Schlacht.

HORTENSE. Und, Kaiser, schone deiner Gesundheit, – du tust es leider nie.

NAPOLEON. Was ist auch zu schonen in einem Feldzuge?

HORTENSE. Feldzug, Feldzug! – Ach, laß uns flüchten!

NAPOLEON. Wohin?

HORTENSE. Nach Nordamerika.

NAPOLEON. Gute, dahin flüchte ein Bürger, der sich einmal gegen seinen Monarchen empört hat, Napoleon aber kann nicht flüchten, kann sich nicht verstecken. Ist er nicht vernichtet, oder nicht behütet wie Feuer, so stürzt Europa zürnend oder liebend ihm nach. – Nordamerika wird übrigens binnen vierzig Jahren ein größeres Karthago, der Atlantische Ozean ein größeres Mittelmeer, um welches die Alte und Neue Welt sich lagern – Wie lange, liebe Hortense, währt das aber? Zwei, drei ärmliche Jahrhunderte und dann wandeln auf den Inseln und Küsten der noch grenzenloseren Südsee die Herrscher des Menschengeschlechts.

HORTENSE. Bei jedem Anlaß in den entferntesten politischen Ideen!


Bertrand kommt.


NAPOLEON. Alles im Marsch?

BERTRAND. Ja, Sire.

NAPOLEON. Die Truppen sollen die Adler mit Flor umhangen bis sie einen Sieg errungen haben. Besonders das Augenmerk auf die Artillerie und schwere Reiterei gerichtet, denn wir müssen dieses Mal rascher als je niederschmettern und zuschlagen – Drouot kommandiert die erstere, Milhaud[400] die andere, – zu den Kavalleristen meistenteils Elsasser oder Normannen genommen, – sie reiten am besten, aber einige Gascogner unter sie gemengt, damit sie durch die verleitet werden, auch toll darauf los zu reiten, – die Kürasse sollen ein Drittel dichter als früher sein, um recht nah dem Feind ins Auge blicken zu können, – Kriegsmanifeste nicht nötig, weil ich Formalien nicht mehr beobachte, – für die Armee ein paar Proklamationen gegen die Preußen und Engländer, denen wir zuerst begegnen, – meine Schnauzbärte lesen sie zwar nicht, wickeln sie um die Patronen, aber mancher meint doch unbesehens, es wäre etwas darin, – von den alten dotierten, zu Herzogen und Fürsten gemachten Marschällen bloß der Ney mit mir nach Norden, – nützt' es mir nicht, daß Europa glaubt, er sei freiwillig zu mir übergegangen, auch ihn behielt' ich vielleicht nicht, – die Mehrzahl jener Herren waren tüchtigere und redlichere Korporale als Generale. – Mehrere sonstige Anordnungen kennst du, und ich bitte, besorg alles so gut wie du meine Marschorders besorgt hast, wofür ich dir auch danke.

BERTRAND. Den Dank verdien ich nicht, denn für dich zu arbeiten ist mir Ehre und Freude.


Er entfernt sich.


HORTENSE. Wenn der Mann all das behält und expediert, was du ihm eben und jede Stunde aufträgst, so ist er ein Genie, fast größer als du selbst!

NAPOLEON. Käm es auf das bloße Talent, und nicht auf die Tatkraft an, durch welche es in Bewegung gesetzt wird, so wäre Berthier statt meiner Kaiser der Franzosen.


Er klingelt. Ein Ordonnanz-Offizier tritt ein.


Sind die Mitglieder des Ministeriums versammelt?

ORDONNANZ-OFFIZIER. Ja, Sire.

NAPOLEON. So will ich noch einmal bei ihnen präsidieren, und selbst sehen, was und wie sie arbeiten.

HORTENSE. Und dann –

NAPOLEON. Mach ich einen Staatsbesuch in der Pairs- und einen in der Deputiertenkammer.

HORTENSE. Zuletzt aber?

NAPOLEON. Nehm ich Abschied von dir und besiege die Koalition, oder erblicke dich nie wieder.[401]

HORTENSE. Trifft das letztere ein, so sei mir die Blindheit willkommen.


Beide ab.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 2, Emsdetten 1960–1970, S. 399-402.
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