Erste Szene

[425] Abend. Ein Hotel in Brüssel. Viele große Säle, prächtig erleuchtet.

Herzog von Wellington mit Gefolge, Damen und Offiziere höchsten Ranges darunter, tritt ein. Der Herzog von Braunschweig kommt etwas später, den sogenannten »schwarzen Becker«, seinen Kammerdiener, zur Seite. Er setzt sich in eine Nische des vordersten Saales. Der schwarze Becker bleibt neben ihm stehen.


HERZOG VON BRAUNSCHWEIG. Becker, hast du alle meine Papiere in Ordnung?

SCHWARZER BECKER. Ja, Eure Durchlaucht.

HERZOG VON BRAUNSCHWEIG. Du bist ein braver Kerl, sorgst wohl zuerst für dich, dann aber zunächst für mich – Mehr kann man von einem Menschenkinde nicht verlangen –

SCHWARZER BECKER. Herr Herzog –

HERZOG VON BRAUNSCHWEIG. Laß das gut sein – So braun dein Gesicht, und so schwarz dein Haar ist – du bist mir lieber als viele der Herrn, welche mich in Braunschweig bei meiner Rückkehr mit ihren nichtssagenden Fratzen und wohlfrisierten Perücken devotest empfingen, und dennoch mit – und mit den – unter einer Decke spielen möchten. Schwarzer Becker, vernichte jedes Papier, von dem es dir nicht gut scheint, daß es an das Licht komme – die alten Korrespondenzen mit – – – –, und Gott weiß, mit wem sonst noch – fort damit! 's ist alles Lumpenzeug.

SCHWARZER BECKER. Sie befehlen, Durchlaucht.

HERZOG VON BRAUNSCHWEIG. Becker, ich falle bald – mir so sagts die Ahnung so deutlich, daß ich nicht zweiflen mag. Es tut mir leid um meinen unmündigen ältesten Jungen,[425] – man wird ihn vielleicht so – – und sich in solche Schaffelle zu kleiden wissen, daß, wenn er in die welfischen Brausejahre kommt, und mündig wird, und dann den ganzen Spuk der ausheimischen, einländischen und persönlichen Interessen erblickt, er glaubt, noch toller werden zu dürfen, als die, welche – – Wenn ich nicht mehr bin, Becker, so laß dich nicht im Braunschweigischen nieder, – gib dann das wildbewegte Leben auf, heirate irgendwo anderwärts eine tüchtige Person, und denke bisweilen an mich, wenn du recht glücklich bist.

SCHWARZER BECKER. Herzog –

HERZOG VON BRAUNSCHWEIG. Laß das Weinen. Nichts verlachenswerter. – – Ich sage dir, in diesen Tagen fall ich –

SCHWARZER BECKER. Durchlaucht, gewiß Phantasien –

HERZOG VON BRAUNSCHWEIG. Mag sein, aber immer noch besser als Wellingtons Tanzlust – Er meint, er hätt es mit einem Jourdan zu tun – Bonaparte wird ihm den Unterschied zeigen.

SCHWARZER BECKER. Bonaparte ist noch in Paris.

HERZOG VON BRAUNSCHWEIG. Leicht möglich und ebenso leicht nicht. Er ist in der Regel da, wo man ihn nicht vermutet.

SCHWARZER BECKER. Durchlaucht, zerstreuen Sie sich – Hören Sie die Musik! Da das: God save the King!

HERZOG VON BRAUNSCHWEIG. Solang es dauert. – Sind die Braunschweiger bereit?

SCHWARZER BECKER. Immer unter Waffen.

HERZOG VON BRAUNSCHWEIG. Gut.

SCHWARZER BECKER. Durchlaucht, welch ein Schimmer von Uniformen – Da selbst der ehrliche Brite Picton in größtem Staat – Und gar der Herzog von Wellington, der Prinz von Oranien –

HERZOG VON BRAUNSCHWEIG. Der Herr Herzog halten immer den Mund auf, und hören doch oft recht schwer. – Nehmen die englischen Krebse sich nicht besser in Acht, so müssen sie bald nach gewohnter Manier zurück in die See, wie bei Corunna und Vlissingen.

SCHWARZER BECKER. Da naht eine Damendeputation – Sie hat uns an den Totenköpfen der Tschakos erkannt, und will Ew. Durchlaucht mit Lorbeeren bekränzen.

HERZOG VON BRAUNSCHWEIG. Gehe zu den Damen, mache[426] deine höflichsten Verbeugungen, und sag ihnen: ich dankte für die Ehre.

SCHWARZER BECKER. Wie Ew. Durchlaucht gebieten.


Er richtet den Befehl des Herzoges mit größter Höflichkeit aus, die Damen ziehen sich zurück, und er geht wieder zum Herzog.


HERZOG VON BRAUNSCHWEIG. Schaffe mir einen Whisky.


Der »schwarze Becker« geht und bringt den Whisky.


EIN ENGLISCHER ARTILLERIEOBRIST eine junge Dame hereinführend. Adeline – Was ich so lange in Londons ersten Zirkeln gesucht, – hier, auf dem Feldzug, find ich es auf einmal in Dir – entzückenden Schönheitsglanz und unversiegbare Liebe.

ADELINE. Wer weiß, wie viele herrlichere Blumen du vorbeigingst, ohne sie zu sehen, und wie zufällig dein Blick grade auf mich fiel.

ARTILLERIEOBRIST. Nein, nein, – kein Zufall – Mein guter Genius selbst führte mich in deine bräutlichen Arme.

ADELINE. Siehe dort die Fürstin Ligne, die Herzogin von Chimay, die Gräfinnen von Barlaymont, und so manche andere – Welche Gestalten! welche Grazien! Welch überreicher Schmuck strahlt von ihrem Haar und Gewand, und wie armselig ist er gegen sie selbst! – Edward, es ist unmöglich, daß du mich liebst, wenn du solche Göttinnen siehst.

ARTILLERIEOBRIST. Deine Bescheidenheit ist göttlicher als all jener Prunk. – Oft schrien die ehernen Stimmen der Geschütze um mich, flogen Pulverwagen, Reiter und Pferde, Ingenieure und Bombenkessel in meiner Nähe auf, – an keine Dame Europas hätt ich gedacht in dem Getümmel, – aber an dein Auge gewiß, ja an die Spitze deines kleinen Fingers.

ADELINE. Edward, nimm den Abschied – mache den Feldzug nicht mit.

ARTILLERIEOBRIST. Es kommt zu keinem Feldzug, Geliebte – Der Korse scheint keine Armee zusammenbringen zu können – Wir marschieren wohl ohne Aufenthalt nach Paris –

ADELINE. Ach, wären wir auf deiner Stammburg in den grünenden Auen von Sheffield!

ARTILLERIEOBRIST. Der Prinz von Oranien faßt die Hand der Fürstin Ligne, Wellington die der Herzogin von Chimay –[427] Alles arrangiert sich – – der Ball beginnt – Horch! die Musik braust los, ein Ätna feuersprühender Töne, – Treten wir in die Reihen.

ADELINE. Musik! Musik! – Was rufen all die Töne? – mir nichts als deinen Namen!


Der Artillerieobrist tritt mit Adeline in die Tanzreihen.


HERZOG VON BRAUNSCHWEIG. Noch einen Whisky, Becker.


Der schwarze Becker holt den Whisky.


SCHWARZER BECKER. Da beginnen sie eine Galoppade.

HERZOG VON BRAUNSCHWEIG. Wer weiß, ob nicht schon die Kürassiere des Milhaud hieher galoppieren.

HERZOG VON WELLINGTON. Lauter die Musik! – Herzogin, Sie glühen – Der Tanz greift Sie an.

HERZOGIN VON CHIMAY. In den Armen des Siegers von Salamanca immer.


Dumpfe, aber sehr entfernte Töne.


HERZOG VON BRAUNSCHWEIG springt auf. Becker, was ist das?

SCHWARZER BECKER aus einem Fenster sehend. Ein Gewitter zieht auf.


Wieder entfernte, immer lautere Töne.


HERZOG VON BRAUNSCHWEIG. Gewitter? Gewitter? – Ob aber am Himmel oder auf der Erde? – Melde Wellington, ich glaubte Kanonenschüsse zu hören.

SCHWARZER BECKER geht zu dem Herzog von Wellington. Der Herzog von Braunschweig vernimmt Kanonenschüsse –

HERZOG VON WELLINGTON. Ei, woher denn? – Hält er etwa diese Pauken oder die Donner des Unwetters dafür? – Vorwärts der Tanz! – Napoleon ist noch in Paris, oder daraus wieder nach Süden vertrieben. – Seine paar Bataillone bei Charleroi haben keine Kanonen, und unsere überstarken Avantgarden sind Blücher bei Ligny und meine Truppenteile bei Quatrebras – Vorwärts der Tanz!

SCHWARZER BECKER zu dem Herzog von Braunschweig zurückkehrend. Wellington hält die Töne nicht für Kanonenschüsse.


Lautere und stets lautere Klänge.


HERZOG VON BRAUNSCHWEIG. So kenn ich sie besser als der Herr von Ciudad Rodrigo – Es sind die Klänge unter denen mein Vater fiel! Ein schlechter Sohn, der sie hört und verbeißt, statt rachedurstend ihnen entgegenzustürzen – Folge mir!


Mit dem schwarzen Becker ab.

[428] Gleich darauf die Alarmmusik der Braunschweiger.


HERZOGIN VON CHIMAY. Hören Sie –?

HERZOG VON WELLINGTON. Ruhig, Beste, so schön Ihnen auch die Unruhe steht. – Der Braunschweig hat seine kriegerische Laune, läßt Alarm schlagen, und übt seine Truppen in der Wachsamkeit.


Immer nähere Kanonenschüsse.


ADELINE. Wehe, was donnert da? – Das sind doch nicht – Da schreckt auch der Herzog auf!

ARTILLERIEOBRIST. Adeline, – vor deinem forschenden Blick kann ich nicht lügen – Du hörst – o Gott – feindliche Kanonen!

ADELINE. Jesus Christus! – Wie hast du dich geirrt – Napoleon marschiert doch heran!

ARTILLERIEOBRIST. Wer könnte in ihm sich nicht irren? Er ist wie ein neuer plötzlich aufgetauchter, unerforschter Erdteil –

ADELINE. O, wer stürzt da herein? – Das sind nicht Menschen – Das sind Teufel.


Adjutanten Blüchers stürzen in die Szene.


ARTILLERIEOBRIST. So nenne sie nicht – preußische Kameraden sinds, noch schwarz vom Pulverdampfe der Bataille.

ERSTER PREUSSISCHER ADJUTANT. Wo der Herzog Wellington?

EIN ENGLISCHER OFFIZIER. Dort steht er.

PREUSSISCHER ADJUTANT. Durchlaucht –

HERZOG VON WELLINGTON. Sie kommen?

PREUSSISCHER ADJUTANT. Aus der Schlacht.

HERZOGIN VON CHIMAY. Also dennoch –?

HERZOG VON WELLINGTON. Ruhig, ruhig, Herzogin!

HERZOGIN VON CHIMAY. Unmöglich, Herzog – Selbst Ihr Befehl bezwingt meinen Schrecken nicht – Wie stäubt der Ball auseinander –

VOLK auf der Straße. Der Feind! der Feind! er kommt! er kommt!

HERZOGIN VON CHIMAY. Gott! ganz Brüssel in Bewegung!

VOLK. Der Feind! der Feind! Brüssel brennt schon! Feuer! Feuer! Feuer!

HERZOG VON WELLINGTON. Madame, trauen Sie diesem tollen Straßengeschrei nicht – Aber fahren Sie zu Haus, – eine zahlreiche Sauvegarde begleitet Sie.
[429]

Herzogin von Chimay ab.


PREUSSISCHER ADJUTANT. Herzog, Napoleon erschien mit seiner Armee urplötzlich vor Ligny, Ney vor Quatrebras –

HERZOG VON WELLINGTON. Feldmarschall Blücher und mein Vortrab?

PREUSSISCHER ADJUTANT. Sind beide geschlagen, und ziehen sich hieher zurück.

HERZOG VON WELLINGTON. Was meint der Feldmarschall?

PREUSSISCHER ADJUTANT. Er hofft, Ihr Heer vor Brüssel schlagfertig aufgestellt zu finden, sonst schlägt er die zweite Schlacht auch ohne es.

HERZOG VON WELLINGTON. Bülows Korps?

PREUSSISCHER ADJUTANT. Hat an der Schlacht nicht teilgenommen, und stößt bald zu uns.

HERZOG VON WELLINGTON. Und Blücher kommt, wenn ich Stand halte?

PREUSSISCHER ADJUTANT. Er sagte es.

HERZOG VON WELLINGTON. So glaub ich es. – Sagen Sie ihm, Sie hätten mich leider in erbärmlichen Tanzschuhen getroffen, die ich leichtsinnig genug angezogen, – aber ich wollte selbst dieser Schuhe nicht wert sein, träf er mein Heer nicht in Schlachtordnung vor dem Walde von Soignies.


Die preußischen Adjutanten ab.


Alarm! Alarm! Alle Truppen vorgeschoben nach Waterloo!

ARTILLERIEOBRIST. Geliebte –

ADELINE. Bleibe!

ARTILLERIEOBRIST. Darf ich? – Schon rasseln meine Batterien über das Pflaster!

ADELINE. O, diese Räder – Sie gehen durch mein Herz!

ARTILLERIEOBRIST. Adeline, auch durch das meinige – Doch ich muß, ich muß – Wehe mir, die Rosenhimmel der Liebe auf deinen Wangen erbleichen – Welch ein schmerzliches Bild nehm ich mit in den Kampf – – Lebe wohl! Vielleicht sehn wir uns wieder! – Diener, meine Braut zu ihrer Mutter geführt!


Ab, – Adeline, in Ohnmacht, wird fortgeführt. – Draußen marschiert Kavallerie, Artillerie, Infanterie, unter letzterer.


DIE HOCHLÄNDISCHEN REGIMENTER singend unter Begleitung der Sackpfeife.

Clan Douglas, Clan Douglas,

Die Mutter, sie weint –[430]

Was »weint«!

Dort trotzet der Feind!


Clan Douglas, Clan Douglas,

Fluß Avon blinkt schön –

Was »schön«!

Die Sachsen dran stehn!


Clan Douglas, Clan Douglas,

Wie stürzt er Berg ab –

Was »ab«!

Wir kühn in das Grab!


Clan Douglas, Clan Douglas,

Was jammert die Braut –

Was »Braut«!

Der Feind ist schon laut!


Clan Douglas, Clan Douglas,

Wie steil unser Stieg –

Was »Stieg«!

Zu Rache und Sieg,

Clan Douglas, Clan Douglas,

Clan Douglas!

HERZOG VON WELLINGTON. Wetter, die Bergschotten sind eine brave, treue Nation, – Lieder auf die sächsischen Eroberer de anno 500 nach Christi Geburt begeistern sie noch heute gegen die Franzosen. – – Meine Herren vom Generalstabe: Bonaparte hat uns getäuscht und überrascht, aber das alles läßt sich gutmachen durch Festigkeit. Wir waren eben im Tanz begriffen, und sehr heiter, – seien wir in der Schlacht auch so, und die Franzosen sollen bestürzt aussehen, wenn sie ihre Erbfeinde nicht im Tanz, sondern gewaffnet und ruhig sich gegenüber erblicken. Verteilen Sie sich in den Kantonnements, sorgen Sie, daß jeder Befehlshaber seine Schuldigkeit tut. Ja keine Unordnung unter den Truppen, – die strengste Disziplin geübt, – aber den Leuten Lebensmittel gegeben, soviel aufzutreiben. Adieu!


Ab, – die Offiziere gleichfalls.


ERSTER AUFWÄRTER. Abgeräumt – Das Volk ist fort.

ZWEITER AUFWÄRTER. Alle Reste in die Tasche – Da Kuchen[431] über Kuchen –

ERSTER AUFWÄRTER. Halbvolle Weinflaschen stehen dabei. Nehmt und trinkt sie aus mit den Hausmamsellen.


Für sich.


Ah, da find ich eine Brillantnadel –

ZWEITER AUFWÄRTER. Himmel, wie das marschiert und trottiert!

ERSTER AUFWÄRTER. Ich hoffe, die Franzosen gewinnen doch. Ich sage lieber »Monsieur« als »Myn Her« oder »Ihro Hochedelmögenden«. – – Daß die Küchenmädchen die Teller besser putzen, keinen gelben Rand darum lassen, sonst soll die Kanaillen – – Hurtig, mit mir hinunter – Eine Menge Offiziere sprengt vor die Haustür, und fodert noch einen Schluck, die Courage zu begießen.


Die Aufwärter ab.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 2, Emsdetten 1960–1970, S. 425-432.
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