Dritte Szene

[246] Eine Anhöhe vor dem Dorfe.


MOLLFELS tritt auf. Sieh, da liegt es, das väterliche Dorf! Horch! auf seinem grauen Kirchturme klingt die Vesperglocke! Wie anmutig sie mir nach dreijähriger Abwesenheit entgegentönt! – Auch das altertümliche Schloß ist unverändert geblieben; stolz und stattlich erhebt es sich dort aus der Mitte seines sommerlich blühenden Gartens, und in seinen mächtigen Fenstern spielt purpurn der erste Schimmer des Abendrots! – – O Liddy, Liddy, wie ich dich liebe! Ärgerlich. Wäre ich nur nicht so verflucht häßlich!

DER SCHULMEISTER tritt auf, ohne Mollfels zu bemerken. Hier will ich stehen bleiben, auf die Fluren meines Schulbezirks niederschauen und meinen patriotischen Phantasien[246] nachhängen. Wie könnte doch alles verbessert werden! Wenn die Bauern so lange in die Schule gehen müßten bis daß sie etwas gelernt hätten, so müßten sie selbst am Weltende noch sechs volle Wochen bei Wasser und Brot nachsitzen! Ferner, was für eine Nutzanwendung wäre nicht mit dem großen Eichwalde da drüben vorzunehmen! Wann werden die glücklichen Zeiten der Aufklärung erscheinen, wo man ihn in lauter Schulbänke zerschneidet, diese Schulbänke systematisch geordnet auf den Gefilden umhersetzt, lernbegierige Knäblein und Junggesellen hinzutreibt, und mich zum Direktor des Ganzen kreiert? O, dann würde ich vermittelst eines Luftballons die Abendsonne zu meinem leuchtenden Katheder machen, – den Kirchturm würde ich als Feder gebrauchen, – jener See wäre mein Tintenfaß, – und dort das Gebirge wäre ein Stück Speck, welches mir die Eltern und Gönner aus Dankbarkeit verehrten! Er versinkt in tiefes Nachdenken.

MOLLFELS tritt vor und klopft ihm auf die Schulter. Sie sind da in echt pädagogische Reverien geraten, Herr Schulmeister!

SCHULMEISTER emporblickend. Herr Mollfels?! – Ich bin entzückt vor freudiger Überraschung! – – Wie hats Ihnen in Italien, dem Lande, wo die Steine sprechen, gefallen? Gewahrt man an der Venus von Medicis noch immer keine Altersschwäche? Der Papst hatte doch nicht mit dem Stiefel in den Dreck getreten, als Sie ihm den Fuß küßten? Ist –

MOLLFELS. Ich will es Ihnen bei gelegenerer Muße erzählen. Sagen Sie nur, ob hier zu Hause alles beim alten geblieben?

SCHULMEISTER. Es hat sich in Ihrer Abwesenheit nichts Bedeutendes ereignet. Gestern ist die Spritze in Stand gesetzt worden, um das vorgestrige Feuer zu verhüten, und der reiche Barthel, der die Kathrine geheiratet hat, in welche er so sehnsüchtig verliebt war, hat sich jetzt nach der Analogie seiner Hosen ein Hemde von Hirschleder machen lassen, weil ihm die Faustschläge seiner Frau zu weh tun. Was meine Wenigkeit betrifft, so ist mir wie dem Vater Homer gegangen, – ich habe seit zwei Jahren keinen Schweinebraten geschmeckt!

MOLLFELS. Ei, woher schließen Sie denn, daß der alte Homer keinen Schweinebraten geschmeckt hat?[247]

SCHULMEISTER. Weil er ihn so delikat beschreibt, Herr Mollfels!

MOLLFELS. Sie beschreiben demnach den Branntewein wohl herzlich schlecht?

SCHULMEISTER. Nein, den Branntewein nicht, aber die Tugend!

MOLLFELS. Es gibt doch keine Regel ohne Ausnahme! – – Aber antworten Sie mir: wie steht es auf dem Schlosse selbst? Ist Fräulein Liddy noch heiter?

SCHULMEISTER. Auf dem Schlosse ist ein Schornsteinfeger angekommen, der ein Generalsuperintendent sein will, und schon vierzehn Tage vor seiner Geburt auf den Verlust seiner Unschuld pränumeriert zu haben scheint. – Die Heiterkeit der Baronin und die bittre Laune ihres Onkels sind in statu quo.

MOLLFELS. Da! für die gute Nachricht zwanzig Kodons! Ich kaufte sie von einem Juden, den ich nicht anders loswerden konnte, und kann sie nicht weiter gebrauchen!


Geht ab.


SCHULMEISTER. Kodons? Was sind das für Dinger? Was soll ich hagres Schulmeistergesicht damit machen? – Aber stille! ich will sie der Frau Gerichtshalterin als Gegenpräsent für den Topf Erbsen übersenden; sie versteht sich auf alles und wird daher auch so'nen Kodon gehörig zu placieren wissen.

TOBIES kommt. Guten Abend, Herr Schulmeister.

SCHULMEISTER. Guten Abend, lieber Tobies. Beiseit. Alle Teufel, wie schaffe ich mir den Kerl vom Halse?

TOBIES. Nun, was macht mein Gottliebchen? Sind Sie mit ihm auf dem Schlosse gewesen?

SCHULMEISTER. Haben Sie auch gehört, Herr Tobies, daß vor einer Stunde im Wirtshause ein Zahnarzt angekommen ist, der die Zähne umsonst auszieht?

TOBIES. Meinetwegen! Sehen Sie, ich habe ein paar Reihen Zähne, die so gesund sind, daß ich meine Heugabel daran scharf wetzen könnte.

SCHULMEISTER. Was tut das? Sie haben das Ausziehen umsonst! So was muß man mitnehmen!

TOBIES. Ja, das ist auch wahr! Man muß ein Profitchen nicht verschmähen! Ich will hingehn und mir alle meine Backenzähne ausreißen lassen!


Er geht ab.


SCHULMEISTER. O heilige Naivetät! süße Unschuld! Du hast den Luxus der Städte verlassen und bist in die Hütte des[248] Landmanns geflohen! Tobies läßt sich die Zähne ausziehen, weil er es umsonst hat! O! O! O! Ab.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 1, Emsdetten 1960–1970, S. 246-249.
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