Am Hügel

[129] O Hügel! sanft von Steinen aufgeschichtet,

Die saftig Gras und Alpenmoos umzieht,

Von deinem Haupt ein Baum emporgerichtet,

An dem die Vogelbeere rötlich glüht,[129]

Indes am Fuß in buntgemischter Reihe

Der Schwarzbeer dunkle Frucht und helles Kraut,

Hoch überragt von Weidrichs Veilchenbläue,

Dir einen Thron, sich eine Freistatt baut;

Wie schön blickst du herab von deiner Höhe!

Wie würdig stellst du dich dem Auge dar!

Der Wandrer steht entzückt in deiner Nähe

Und sucht beinah nach Weihort und Altar.

Gewiß auch, rollten noch die alten Zeiten,

Da unentzweit der Gott und die Natur,

Ein Schutzgeist würde hier sich Sitz bereiten,

Wo Gräser jetzt, hilflose Blumen nur.

Doch da ich solches kaum begann zu denken,

Straft Lügen mich ein schauerndes Gefühl,

Ich fühle Geister sich herniedersenken

Und mich umlispeln in der Winde Spiel.

Erinnrung kommt, der stillvertraute Zeuge

Von dem, was einst das Glück mir hier verlieh,

Und, wie geschloßnen Augs ich mich hinüberbeuge,

An ihrer Hand die Poesie.

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 129-130.
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