Die beiden Hunde

[48] Längs einem Strom in einem Felsenschlunde,

Ging einst ein Edelmann,

Und ihn umhüpften seine beiden Hunde:

Joli und Soliman.


Joli, das Windspiel, sprang mit tausend Possen

Hinan an seinen Herrn,

Und wird geküßt, indessen steht verstoßen

Der arme Pudel fern,


Den armen liebt man nicht, er kann nicht schmeicheln,

Zu finster ist sein Blick,

Und statt den treuen, wie Joli, zu streicheln,

Stößt man ihn stets zurück.


Nun aber wankt der Herr am steilen Strande

Mit ungewissem Fuß

Und stürzet plötzlich von dem glatten Rande

Des Abgrunds in den Fluß.


Indes Joli mit Furcht und bangem Bellen

Am hohen Ufer steht,

Sich in dem Silberspiegel glatter Wellen

Begaffet und dann geht,


Stürzt sich der brave, stets verschmähte Pudel

Hinab vom hohen Strand,

Entreißet mühsam seinen Herrn dem Strudel

Und trägt ihn froh ans Land.


O möge diese kleine Fabel lehren,

Wie oft der Schein belügt,

Nur die Gefahr kann einen Freund bewähren,

Die Außenseite trügt.


Ihr Weltenherrscher hasset nicht den Braven,

Weil er nicht niedrig kriecht,

Der erste eurer tiefgebückten Sklaven

Ist oft ein Bösewicht.


Den 24ten März 1807


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 48-49.
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