Einem Regiments-Inhaber

[342] Ein halb Jahrhundert ist vorbeigerückt,

Seit du der Führer wardst von unsern Fahnen,

Erlaube, daß wir des, die du beglückt,

Dein treues Regiment, dich heute mahnen.


Gerecht und mild, so fanden wir dich stets,

Freigebger Hand von allem, was das Deine;

So war für uns, für andre dein Gesetz,

Allein die Welt, sie urteilt nach dem Scheine.


Als fremden Guts Bewahrer aufgestellt,

Schien es dir Pflicht, das Fremde nicht zu mindern,

Wie tief du fühltest manche Not der Welt,

Du konntest nur versagen und verhindern.
[342]

War es das Deine, o wie gabst du gern!

Nie konnte Selbstsucht je dein Wohltun schmälern;

Für andre handeln war dein böser Stern,

Du trugst die Last von längstgewesnen Fehlern.


So wie der Tag zur tollen Fastnachtzeit

Dem lustbegiergen Tänzer scheint zu zaudern,

Er wünscht den heitern Strahl schon fern und weit,

Der Uhr gemeßner Gang erweckt ihm Schaudern.


Allein, wenn nun die laute Nacht durchtobt,

Erscheint der Tag nichts weniger vom neuen,

Und selbst der müd sein Gegenteil erprobt,

Wird seiner Rückkehr sich wie andre freuen.


Die Welt ist müd. Sie hat die Lust gebüßt

Und büßt für ihre Lust. Die bösen Worte,

Die Ewges als Veraltetes begrüßt,

Verstummen an des Unheils offner Pforte.


Wohl dem, der nie sich von der Pflicht getrennt,

Das Wandellose sichert vor der Reue,

Drum sieh auf uns, dein altes Regiment,

Uns führt durch dich, was dich geführt, die Treue.

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 342-343.
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