Galorin und Malwine

[37] ein Rittergedicht in Gesängen


Erster Gesang


O Krieges Muse, stimme mir die Leier,

Die sonst von Scherz und Liebe nur erklang,

Zum freien Ton der Ritterabenteuer

Und leite meinen schwankenden Gesang.

Die Muse ruft der Sänger von Achilles Grimme

Und heutgen Tags mit lauter Stimme

Zur Wehemutter mancher Dichter, wenn er kreißt,

Doch wie uns die Erfahrung weist,

Bemühet mancher sie von ihrem Wolkensitze

Und stellet sie an seines Werkes Spitze

Und meldet uns mit gräßlichem Geschrei,

Daß sie die Mutter seines Sohnes sei,

Da doch das Kind die göttliche Gestalt der Muse

Und ihre holden Züge so erreicht,

Wie Anadyomene der Meduse,

Die Eule einem Schwane gleicht.

Die Muse will ich nicht bemühn. Mein sei die Ehre,

Die dies, mein erstgebornes Söhnchen, sich erwirbt,

Und wenn es auch schon in den ersten Wochen stirbt,

Und wenn sein Los auch Schande wäre,

So komm auch diese über mich. Wie Zeus getan,

Will ich aus meinem eignem Haupt gebären.[37]

(Lest nur die Mythen nach und euern Lucian.

Dort werdet ihr es deutlich hören,

Wie der geplagte gute Mann,

Um eines unerbittlichen Schicksales Willen

Mit einem Male zu erfüllen

Und auch zugleich die Stimme seiner Herrschergrillen

Und Herrscherfurcht zu stillen,

Obgleich der Schritt ihn sehr betrübte,

Die holde und schon schwangere Geliebte,

Mit Schmerz und Tränen, aber doch verschlang,

Wie seinem Haupte dann die schöne

Mit Speer und Schild bewaffnete Athene,

Die ewig keusche, hehr entsprang,

Und wie das alles heißt, was die Poeten singen. –)

Mag auch der Kritiker und Kritikaster schrein,

So soll doch meinem Haupt ein Kind entspringen:

Zwar keine Pallas soll es werden, nein,

So mein ichs nicht. Bin ich doch auch kein Zeus, so ein

Gesundes starkes Kind soll es nur sein,

Nur zur Geburt soll mir die Muse Beistand leihn,

Um den ich sie im ersten Vers gebeten,

Denn zum Erzeugen hab ich ihrer nicht vonnöten. –

Doch ho, was hör ich dort in jenem fernen Haine

Für ein betäubendes Geschrei,

Ha, laßt uns sehen, was es sei.

Beleuchtet von der Luna falbem Scheine

Tobt dort der Kampf von ein Paar wackren Rittern.

Seht, jeder spornt sein schaumbedecktes Roß

Und sprengt voll Mut auf seinen Gegner los.

Jetzt treffen sich die Speere, keiner wankt dem Stoß

Des Gegners, doch die starken Lanzen splittern.

Nun springt ein jeder von dem Pferd,

Legt seine tapfre Hand ans Schwert

Und reißt die spiegelhelle scharfe Schneide,

Erhitzt von Kampfgier, aus der glatten Scheide.

Im hellen Strahl des Mondes glühn

Die Schwerter, und die schweren Hiebe rasseln

Hernieder, daß die Funken sprühn,[38]

Und Helm und Panzer prasseln.

Wie wenn ein Fels im tiefen Meere,

Wenn ihn die tolle Flut

Mit schrecklich aufgeregter Wut

Umbrüllt, auf seine Schwere

Und seine Festigkeit, die ihn bisher geschützt,

Mit stillem Hohn und Trotz gestützt,

Der regen Wellen Ungestüm verlachet

Und sich für unbesiegbar hält,

Doch endlich, untergraben, wankt und krachet

Und donnernd in die bodenlose Tiefe fällt,

Vom Zorne des ergrimmten Ozeans bezwungen,

So fühlt der Ritter einer sich umschlungen

Von seines Gegners starkem Arm, zwar wehrt

Er sich verzweiflungsvoll mit Dolch und Schwert,

Doch seines Gegners Eisen schmettert nieder

Aufs welke Haupt, er hebt zum Gegenhieb die Hand,

Doch ihren Dienst versagen ihm die matten Glieder,

Er sinkt entkräftet in den Sand.

Entflammet von der Rache lohen Zunder,

Enthelmt der Sieger des Gefallnen Haupt, und ha,

Welch unerhörtes Wunder!

Statt eines Ritters liegt ein Mädchen da!

Ihr Haupt – von blonden Locken rings umflossen,

Ruht auf der stahlbedeckten Hand,

Das schöne große Aug geschlossen,

Liegt sie betäubt im harten Sand.

...

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 37-39.
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