Hekabes Klage

[53] Hier steh ich Arme an dem öden Strande,

Wo jeder mich als seine Feindin haßt,

An meinen Händen klirren ehrne Bande,

Als Sklavin blick ich nach dem fernem Lande,

Das alles, was mir teuer war, umfaßt,

Nach den Ruinen, die des teuern Gatten

Und meiner Heldensöhne Grab umschatten!


Ihr Lieben meiner Seele seid gefallen,

Wie Eichen, die der Wettersturm zerknickt,

Und meiner Trauer herbe Seufzer schallen

In blutbegieriger Hellenen Hallen,

Die sie mit euern Waffen ausgeschmückt,

Und niedrig schmähend trinken rohe Zecher,

An feiler Dirnen Brust, aus Priams Becher,


Besudeln frech des grauen Helden Ehre,

Die auch bei seinem Fall nicht unterging,

Als er am Fuß der heimischen Altäre

Von Neoptolemos grausamen Speere

An meiner Brust den Todesstreich empfing.

Und ich darf nicht zu murren mich erkühnen,

Als niedre Magd muß ich den Mördern dienen!


Ich, einst die Mutter von so vielen Söhnen,

Ich, die man ehmals hochbeglücket pries,

Verklage nun vorm Throne Zeus mit Tränen

Die Grausamkeit barbarischer Hellenen,

Die meine wackern Kinder mir entriß;

Gemordet von der Griechen blutgem Schwerte,

Deckt kühlend sie die mütterliche Erde.


Doch auch den schwachen Trost sollt ich nicht haben,

Zu sehn, daß sie ein niedrer Hügel deckt,

Brich Mutterherz, sie liegen unbegraben

Und nackt, ein Raub der Geier und der Raben,

Auf Trojas glühnde Trümmer hingestreckt.[54]

Und ich von all den Meinen losgerissen,

Kann ihnen nicht einmal die Augen schließen.


O Hektor! – Ha, im Mutterbusen nagen

Mir bei dem Namen Schmerz und Wut,

Halt ein, Barbar! Achilleus Pferde jagen

Dahin und Hektorn schleift der goldne Wagen,

Die Mauern Ilions netzt Hektors Blut,

Und seiner Leiche spotten feige Scharen,

Die sonst vor seinem Arm geflohen waren.


Doch wohl euch allen, ihr habt ausgelitten,

Für eures Vaters Wohl, für Ilion

Habt ihr als wackre Männer brav gestritten,

Des Lebens Dornenbahn ist nun durchschritten,

Jenseits des Lethe harret euer Lohn.

Wohl allen, die bei Trojas Fall erblaßten,

Wohl euch, daß euch nicht Sklavenfesseln lasten,


Wie mich! Mich, die der Purpur und die Krone

An meines Gatten Seite einst geziert,

Die nun herabgerissen von dem Throne,

Gemartert von der Feinde Spott und Hohne,

Zu ihrer Qual ein Sklavenleben führt!

War ich nur darum einst so hoch gestiegen,

Um desto tiefer itzt im Fall zu liegen!


Doch nur auf wenig Augenblicke scheiden

Von euch mich, Teure, Sklaverei und Grab,

Bald naht das schöne Ende meiner Leiden,

Der Genius winket und die Parzen schneiden

Den Faden meines Lebens gütig ab,

Bald führt der Tod mich wieder zu den Meinen,

Auf ewig mich mit ihnen zu vereinen!


Den 13ten Oktober 1807


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 53-55.
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