Kantate an den Finanzminister Graf Stadion

[155] Chor


Sei uns willkommen, freudige Stunde,

Sei uns willkommen, herrlicher Tag!

Denn du vergönnst zu gestehen dem Munde,

Was sonst schweigend im Herzen nur lag.

Brechet die Schranken,

Stille Gedanken!

Und aus des Busens engendem Haus

Tretet als feurige Wünsche heraus!

Preiset ihn! Preiset ihn!

Preiset den Mann,

Der Großes will, der Großes kann!


Sopran


Rezitativ.


Hofft ihr mit eurem Dank zu seinem Ohr zu dringen,

So laut auch euer Lied aus vollem Busen schwoll?

Dem täglich Tausende des Jubels Opfer bringen –[155]

Nicht achten wird er unsrer Freude schwachen Zoll!

Und doch – von süßer Hoffnung ist mein Busen voll.


Lied


Rings umhüllt von dichten Zweigen,

Sitzt ein Vöglein still und stumm,

Furcht gebietet ihm zu schweigen,

Denn so laut ists rings herum;

Darum, während Hymnen steigen,

Sitzt das Vöglein still und stumm.

Laß dich nicht von Angst betören!

Er, der waltet in dem All,

Trotz dem Hall von Jubelchören,

Mitten durch der Hymnen Schall,

Durch den Donnerklang der Sphären

Hört er auch die Nachtigall.


Bass


Rezitativ.


Und kann er zürnen? Nein! die süße Pflicht zu danken,

Sie gibt zu danken auch ein heilig Recht!

Und ich wills tun, will laut auch aus es sprechen,

Was hier im Innern flammenatmend wallt:

Heil ihm! Der mitten in des Lebens Mühn und Drängen

Ein Auge noch behielt, ein Vateraug der Kunst;

Der mit derselben Hand, die erst noch Rechte wog

Und Sicherheit vermählte dem Besitz,

Den hingesunknen Dolch gab Melpomenen,

Die Flöte wieder legte in Euterpes Hand,

Den Fuß entfesselte der jüngsten der Kamönen,

Und Saiten wieder in Thaliens Leier band.


Duett


Bass.


Schön ist die herrliche Tat!

Völker, die zischende Schlangen

Markverzehrend umfangen,

Preisen, befreiet, die Tat.


Sopran.


Aber auch schön ist das Lied!

Schmerzdurchstochene Busen[156]

Heilen die helfenden Musen,

Heilt das versöhnende Lied.


Bass.


Das Gute beut herrliche Kronen!


Sopran.


Das Schöne strahlt himmlischen Glanz!


Bass.


Dem Recht sind demantene Thronen!


Sopran.


Den Musen ein ewiger Kranz!


Beide.


Drum Heil dem Erdensohne,

Dem beide die Kränze geweiht;

Des Guten und Schönen Krone

Spottet der siegenden Zeit!


Tenor


Rezitativ.


Was segnend unsre Lippen auch gesprochen,

Es ist ein Hauch, die Winde tragens hin.

Doch einer hörts, der nie die Treu gebrochen

Der Brust, die ihre Schulden stellt auf ihn;

Er hörts, bewahrt es fest und wirds erfüllen,

Um unsers Wunsches und um deines Wertes willen.


Gesang


Hoch die Augen empor

Und die Hände gehoben!

Dem großen Vergelter dort oben

Ruf euer flehender Chor!


Terzett mit Chor


Hoch die Augen empor

Und die Hände gehoben!

Dem großen Vergelter dort oben

Ruf euer flehender Chor!


Kanon zu drei Stimmen


Du, der hoch am Himmelszelt

Der Geschicke ehrne Wage

Über unsern Häuptern hält,

Segne des Geliebten Tage!


[157] Mit Begleitung


Mach sie schön wie seine Güte,

Wie sein Geist, so kräftig frei;

Mach sie reich wie sein Gemüte,

Wandellos wie seine Treu!


Chor


Segne des Geliebten Tage!

Mach sie schön wie seine Güte,

Wie sein Geist, so kräftig frei,

Mach sie reich wie sein Gemüte,

Wandellos wie seine Treu!


Und nun entschwebe, flüchtige Stunde,

Geh zur Ruh, entschlummernder Tag,

Der du gewährtest zu sagen dem Munde,

Was sonst schweigend im Herzen nur lag.

Gebrochen die Schranken

Unsrer Gedanken,

Aus des Busens engendem Haus

Bracht ihr als feurige Wünsche heraus.

Preis ihm! Preis ihm!

Preis dem Mann,

Der Großes gewollt, der Großes getan!

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 155-158.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Gedichte und Dramen
Medea: Trauerspiel in fünf Aufzügen. Dritte Abteilung des dramatischen Gedichts »Das Goldene Vlies«
Das goldene Vliess: Dramatisches Gedicht in drei Abteilungen. (Der Gastfreund, Die Argonauten, Medea)
Gedichte Reclam
Sämtliche Werke: Erster und zweiter Band: Gedichte

Buchempfehlung

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich

Deutsche Lieder aus der Schweiz

Deutsche Lieder aus der Schweiz

»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon