Mein Traum

Erstes Buch

[11] Erscheinung des Geistes des Pater Kochem, Unterredung desselben mit dem Verfasser. Fahrt nach dem Himmel. Ermahnungen des Geistes auf dieser Fahrt.


1

Ich lag jüngst spät bei tiefer Nacht

Einsam in meinem Bette,

Und hatte eben durchgedacht,

Wie mans zu machen hätte,

Wenn man der Heuchler große Schar

Vernichten wollte ganz und gar

Und fing an zu entschlafen.


2

Bis, als die Glocke zwölfe schlägt,

Aus meinem süßen Schlafe

Mich eine Geisterstimme weckt,

Die ruft »Verwegner Sklave!

Der du die Mönche Heuchler nennst

Und weder Höll noch Teufel kennst,

Hier blicke her und zittre!«


3

Ich setzte mich im Bett empor

Und hob die Augenlider,

Da trat ein Ungetüm hervor,

Mir bebten alle Glieder,

Ein mächtig schwarzer, dicker Geist,

Der mich beim Arme zerrt und reißt,

Als wollt er mich zerfleischen.


4

Er war in geistlichem Ornat,

Mit Meßgewand und Stole,

Und ganz in seinem Kirchenstaat,

Vom Kopf bis zu der Sohle.

Mit fettem Bauch und kahlem Schopf,

Mit mächtig großem, dicken Kopf,

Stand er vor meinem Bette.
[12]

5

Das Kreuz, das Helena erfand,

Trug er in seiner Linken,

Man sah in seiner rechten Hand

Ein Schwert von Golde blinken.

Er schnitt ein fürchterlich Gesicht,

Ich war erschreckt und wagt es nicht,

Ins Antlitz ihm zu sehen.


6

Zu seinen Füßen lag ein Heer

Von Millionen Teufeln,

Ach, dacht ich, das ist Luzifer.

Man kann nicht länger zweifeln!

Gott nimm dich meiner Seele an,

Sonst ist es jetzt um mich getan,

Erbarme dich doch meiner!


7

Ihr Freunde lachet nicht, fürwahr,

Mein Irrtum war verzeihlich,

Umrungen von der Teufeln Schar

Erschien er ganz abscheulich.

Auch war er überdies bewehrt,

Wie ich gesagt, mit einem Schwert,

Da muß man sich wohl scheuen!


8

Auch sah er so verteufelt aus,

Als wäre er besessen,

Und macht ein schreckliches Gebraus,

Als wollte er mich fressen.

Daher sah ich den guten Mann

Für jenen großen Teufel an,

Verzeih mir Gott die Sünde!


9

Ich ward vor Angst bald weiß, bald rot,

Und schrie, die guten Geister

Verehren stets und loben Gott[13]

Als ihren höchsten Meister.

Drum höre auf mit dem Gebraus

Und sprich den Namen Jesu aus,

Denn sonst bist du ein Teufel.


10

Ich war gewaltig echauffiert,

Der Spaß bekam mir übel,

Doch, von dem Schrecken animiert,

Ergriff ich eine Bibel

Und schrie, schwör ohne Trug und List,

Daß du von Gottes Dienern bist,

Dann magst du immer bleiben!


11

Der Geist erhob nun seine Hand

Und trat zum Bette eilig,

Und legt sie auf des Buches Band,

Schreit, Gott der Herr ist heilig!

Und ich bin stets sein treuer Knecht!

Ach, schrie ich, ach, jetzt ists schon recht,

Nun seid ihr wohl ein Heilger!


12

Das nicht, versetzt in tiefem Ton

Der Geist, nein ich bin keiner,

Mir fehlt Kanonisation,

Doch bin ich nicht viel kleiner.

Mein Nam ist überall bekannt,

Mit Ehrfurcht wird er stets genannt,

Doch bin ich nur ein Selger.


13

Doch du darfst glauben, ich bin nicht

Von den gemeinen Seelen,

Im Himmel habe ich Gewicht,

Und habe zu befehlen.

Ich schrieb das gräuliche Legend

Der Heiligen, das jeder kennt,

Kurz ich bin Pater Kochem!
[14]

14

Mit diesem Schwert in meiner Hand

Bestrafe ich die Bösen,

Doch kann ich auch der Sünden Band

Mit diesem Schwerte lösen.

Ja, dem, der an die Kirche glaubt,

Ist manch Vergehen wohl erlaubt,

Das man an andern tadelt.


15

Nur dem, den sein Vergehen reut,

Kann man Verzeihung schenken,

Denn immer muß die Billigkeit

Des Richters Ausspruch lenken.

Leg er der Kirch sein Geld in Schoß,

So ist er seiner Sünden los,

Dann bete er und faste.


16

Der Sünder aber, der nichts hat,

Wird exkommunizieret,

Da eine jede Lastertat

Zu tausend andern führet.

Doch auch mit dem hats keine Not,

Er weihe seine Seele Gott

Und werd ein Kapuziner!


17

Doch jener, welcher nicht bereut,

Trotz allen seinen Sünden,

Der wird ohne Barmherzigkeit

Schon seine Strafe finden.

Der wird vor Gottes Richterstuhl

Verdammet zu dem Schwefelpfuhl,

Wo die Verdammten prasseln.


18

Wer Gottes Diener nicht verehrt

Und lästert seinen Namen,

Sich nicht an die Quatember kehrt,[15]

Gehöret in die Flammen.

Atqui, du bist ein solcher Wicht,

Ergo verdammt dich das Gericht.

Quod erat demonstrandum.


19

Drum folge mir ohne Verzug,

Gott gnade deiner Seele,

Ich bringe dich im schnellsten Flug

Geradeswegs zur Hölle.

Auf, mache dich nur flugs bereit,

Der Weg zur Hölle ist sehr weit,

Wir dürfen nicht verweilen.


20

Ach, sagt ich zum gestrengen Herrn,

Es hat noch keine Eile,

Denn wisset, daß ich allzu gern

Auf dieser Erde weile.

Ich bin ein Kind der Sinnenwelt,

Das viel auf Leib und Leben hält,

Ich bin zu jung zum Sterben!


21

Auf, schrie er, auf, du mußt nun fort!

Dort wartet schon mein Wagen,

Ich habe ohnehin ein Wort

Dir Spötter noch zu sagen.

Schleppt mich in seinen Phaëton

Und fliegt mit mir im Hui davon,

Geradeswegs zum Teufel.


22

Du bist, fing er im Wagen an,

Ein wahrer Libertiner,

Bekümmerst dich um keinen Bann,

Schimpfst auf die Kapuziner,

Hältst nichts auf Inquisition,

Und auf die Gnad, sine qua non

Man nie kann selig werden.
[16]

23

Man sagt, du liebest den Rousseau

Und lobest den Voltaire,

Bekennst dich coram populo

Zu ihren falschen Lehren.

Sagst, daß Rousseau ein guter Christ,

Ein bessrer als manch Priester ist,

Und liesest seine Schriften!


24

Noch nicht genug, auch überdies

Liest du verbotne Schriften,

Wie des Blumauer Aenëis,

Die nur die Welt vergiften,

Und schimpfst selbst auf den Papst von Rom,

Hältst keinen Geistlichen für fromm

Und nennst uns alle Heuchler.


25

Behauptest, daß zur Rel'gion

Auch die Vernunft gehöre

Und daß auch keine Nation

Ohn diese glücklich wäre,

Der Gläubige ohne Vernunft

Gehöre zu der tollen Zunft

Der Toren und Phantasten!


26

Und, wie ich höre, wolltest du

À la Blumauer schreiben,

Doch nun geht es der Hölle zu,

Da laß dus immer bleiben,

Wenn du nicht in der Hölle Schoß,

In Luzifers geheiztem Schloß,

Bei Blumauern willst sitzen.


27

Blumauer, schrie ich, und ward blaß,

Wär in der Höll, mein Pater,

Ich sehe wohl, ihr treibt nur Spaß,[17]

Soviel ich weiß, so hat der

Blumauer in der Aenëis,

Nichts Fehlerhaftes, nein gewiß,

Er ist nicht in der Hölle!


28

Er ists, weil er das Christentum,

Sprach er, mit Spott verachtet,

Und unsrer heilgen Kirche Ruhm

Und Glanz zu stürzen trachtet,

Weil er dem Papst sein Ansehn raubt,

An keine Seligsprechung glaubt,

Die Heiligen beschimpfet.


29

Doch, guter Freund, jetzt merke auf,

Ich hab dir noch zu sagen,

Warum wir so in vollem Lauf

In hohen Lüften jagen?

Du sollst durch Höll und Himmel gehn,

Und dort alles genau besehn,

Um den Spott zu bereuen.


30

Doch sieh hinauf, wir sind sogleich,

In einer halben Stunde,

In des so holden Glaubens Reich.

Hier machen wir die Runde

Und fahren dann sogleich davon,

Hin zu der nächsten Station,

In den gepriesnen Himmel.

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 11-18.
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