9. Trennung

[220] So laß uns scheiden denn, tuts not zu scheiden,

Allein als Freunde, ohne Groll und Haß.

Ein unerklärtes Etwas zwischen beiden

Stört den Erguß und hemmt ohn Unterlaß.


Ob ich dies Etwas, ewig störend, kenne?

O gebe Gott, daß ich es nicht erkannt!

Denn ist es, was ich denk, obgleich nicht nenne,

So bist du, Weib, in einer furchtbarn Hand.


In einer Hand, die einmal schon die Klauen

Nach deiner Jugend Blüten ausgestreckt,

Und die, zum zweitenmal genaht in Grauen,

Ihr Opfer hält, bis es die Erde deckt.


Doch ob es ist? Ich weiß nicht, mags nicht wissen!

Und so, beim Scheiden, das, wie schwer! verletzt,

Nimm das Geständnis, mir zuletzt entrissen:

Nie kannt ich dich, noch kenn ich selbst dich jetzt.


Ein Rätsel warst du mir, wie man beim Spiele,

Den Nachbar neckend, wohl zusammenflicht,

Jetzt los und leicht, leichtfertig selbst, wie viele,

Drauf wieder ernst und streng, wie viele nicht.


Bald sah ich Hohn durch deine Züge schweifen,

Drauf sie verklärt von warmer Tränen Hauch,

Nun mühsam dich das Leichtste nicht begreifen,

Dann selbst das Tiefste wieder fassen auch.


Was offen mir auch stand, dein innres Wesen,

Es blieb verschlossen mir bis diesen Tag,[220]

Und so geb ich, ein Rätsel, noch zu lösen,

Dem Weisern dich, ders lösen darf und mag.


War mirs vergönnt, in ungestörter Fülle

Dir nah zu sein, vielleicht tat es sich auf,

Doch wars, ob unser, nicht des Schicksals Wille,

So habe denn, was not tut, seinen Lauf.


Du bist nun frei und doch nicht ungebunden,

Denn eines ist, was nimmer dich entläßt:

Erinnerung der letztverfloßnen Stunden,

Und halt sie immer nur im Herzen fest!


Denn wie du jetzt bemühst dich, halb vergebens,

Zu malen dir dies Band als schwere Last,

Es bleibt denn doch die Krone deines Lebens,

Für alle Zeit das beste, was du hast.


Du wirst dein Herz zu dem, zu jenem neigen,

Doch wie er fühlt und was er sich vermißt,

Wird er dir doch zuletzt den Abstand zeigen,

Der zwischen ihm und mir befestigt ist.


Und immer wirds dich wieder übereilen,

Sooft Zerstreuung der Besinnung weicht,

Wenn man mich nennt, bei jeder meiner Zeilen,

Denkst du: er wars! Verlor ich ihn so leicht?


Und sollt es einst dir ganz vergessen scheinen,

Dann ists das Zeichen einer furchtbarn Zeit:

Du bist umstellt vom Niedern und Gemeinen,

Dann hat es dich, dann bist du ihm geweiht.


Und selber dann noch, suchend, spät im Schranke,

Halb achtlos, müßig, fändest du dies Blatt,

Und plötzlich stünd er vor dir, der Gedanke

An das, was war und ist an seiner Statt.


Weit ob dem Zwischenraum der dunkeln Jahre

Trüg es dich hin ins frühre Blumenreich,

Die Hand gedrückt in deine schönen Haare,

Stündst du, ein Marmorbild, erstarrend, bleich.
[221]

Und wie aus Wolken, lauten Stürmen weichend,

Der Mond hervortritt in verklärter Pracht,

So käme blaß dein Bild, nun nicht mehr gleichend,

Entgegen dir aus des Vergangnen Nacht.


Der stille Reiz der unschuldsvollen Züge,

Die klare Stirn, von keiner Schuld gedrückt,

Der Mund, noch wahr bei halb bewußter Lüge,

Das Aug ein Adler, der zur Sonne blickt,


Und weinend – doch wozu uns jetzt erweichen?

Der Augenblick scheint viel, die Zukunft hohl.

Laß uns die Hand zum letzten Abschied reichen,

Und so, für alle Zukunft, lebe wohl.

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 220-222.
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