2.

[145] Aber der uralte König gerieth noch in grössere Traurigkeit, als seine Töchter fort waren, und schickte viele Kundschafter aus gegen Morgen und gegen Mittag und gegen[145] Abend und gegen Mitternacht; aber keiner war, der ihm Kunde gebracht hätte von seinen drey Töchtern. Da wollte sein Sohn ausziehen, seine Schwestern zu suchen; der König aber gab's nicht zu, denn er fürchtete, ihn auch zu verlieren. Endlich zehrte ihn der Gram auf, und er starb in seinem hohen Alter.

Da der junge Königssohn aber die Leiche seines Vaters beerdigt hatte neben dem Grabe seiner Mutter, ließ er seine Räthe und alle Hohe des Reiches zusammen kommen, nahm Abschied von ihnen, und zog aus, seine Schwestern zu suchen, nachdem er den Räthen das Wohl des Reichs empfohlen hatte. Und zog weit umher in fremden Landen, und kam endlich in das Reich India, und an den Strand des Meeres. Traurig setzte er sich nieder und blieb da den ganzen Tag, und sah den Mond herauf kommen aus den Wellen. Und fern auf den Wellen hört er's rauschen, und blickte auf, und sah sich's bewegen im Mondenscheine. Er horchte auf,[146] und deutlich hört er's singen, wie Geisterton:

»Tauch unter,

Die Wunder

Der Erde zu sehen.

Kannst wohl auch erreichen

Den Stein, ohne Gleichen,

Den Stein Opal.


Tauch unter,

Die Wunder

Der Erde zu sehen.

Drey Schwestern voll Treue

Im Brunnen der Reue

Gefangen sind.


Tauch unter,

Die Wunder

Der Erde zu sehen.

Die Güter der Erden

Bereitet werden

In Tellus Reich.«
[147]

Jetzt erblickte er den Vogel, der seine Schwestern hierher begleitet hatte; und da er sah, daß der Vogel ihm winkte, warf er sein Kleid von sich, und schwamm hinaus. Da rauschte das Wasser auf, die Fee erschien, und fragte ihn: »Was suchst du?« »Drey Schwestern will ich erretten aus dem Brunnen der Reue!« antwortete der Jüngling. Darauf sprach die Fee: »Noch steht dir frey zurückzukehren. Fühlst du Muth in dir, das zu vernehmen, was kaum der menschliche Sinn ertragen kann? Ist dein Streben rein? willst du sonst nichts?«

»Mein Streben ist rein!« antwortete der Jüngling, »aber auch den Stein ohne Gleichen, den Stein Opal will ich erringen, und will schauen die Wunder der Erde.« Da faßte sie ihn bey der Hand, und nahm ihn mit sich in die Tiefe des Wassers, und führte ihn ein durch die kühle Grotte in den dunkeln Saal, wo die Sterne sich drehten und der Mond auf und nieder wandelte.[148] Donnernd scholl eine Stimme durch den hallenden Saal, und fragte: »Was suchst du, Sohn der Oberwelt, in dem Schoose der Erde?« Und beherzt antwortete er: »Drey Schwestern will ich erretten aus dem Brunnen der Reue.«

Da hallte abermahl die Stimme durch den Saal, und rief: »Wenn es nicht deine Schwestern sind, sollen sie dir gleich frey gegeben werden.« »Ich weiß es nicht,« antwortete er, »aber ich vermuthe, daß es meine Schwestern sind.« Und zum drittenmahle hallte eine Stimme durch den Saal, und rief: »Du hast nicht verheimlicht deines Herzens Gedanken, darum sey dein Wunsch dir gewahrt!« Und vor ihm that der Boden sich auf, und aus dem Brunnen der Reue stiegen auf seine drey Schwestern und er bewillkommte sie herzlich. Der Boden aber schloß sich wieder.

Die Fee war verschwunden gewesen; jetzt trat sie wieder zu ihm, und führte ihn ein durch eine goldene Pforte. Seine Schwestern[149] mußte er zurück lassen. Da war ein grosses marmornes Gewölbe. Bey einer düstern Lampe saß ein Greis, und las in einem grossen Buche; und als die Fee zu ihm trat, stand er auf, und sie sprachen miteinander; aber der Jüngling verstand nicht, was sie sprachen. Er schaute umher an den Wänden; da waren wunderbare Zeichen eingegraben; und er schaute auf zur Decke, da brannte, wie Phosphor, die Schrift: »Schicksale der Erdenbewohner.« Und er sah nach der Pforte, durch die er gekommen war; da las er die Worte: »Schaue! aber frage nicht!« Darum schwieg er, und fragte nicht nach dem Sinne der Bilder und Züge.

Endlich trat der Greis mit der Fee wieder zu ihm, und er fiel auf die Kniee unwillkührlich. Und der Greis fragte: »Weißt du dich rein von Sünden, Jüngling?« »Ich bin mir keiner Sünde bewußt, o Greis!« antwortete er voll Ehrfurcht vor dem Ernste des Greisen. Da machte ihm der[150] Greis ein Zeichen auf die Stirn, und der Fee machte er ein Zeichen in die Hand, und winkte ihnen zu gehen.

Und sie gingen aus dem marmornen Saale durch einen dunkeln Gang, und kamen an den Eingang eines alten zerfallenen Thurmes. Die Fee winkte ihm stehen zu bleiben, und ging hinein. Er durfte aber durch die Pforte hinein sehen. Da saß ein Greis an einem Rade, und spann die Haare seines eigenen Bartes mit grossen Schmerzen zu einem Strick, und wie er spann, wuchsen ihm die Haare immer nach. Vor sich hatte er eine Tafel aufgehangen mit wunderlichen geheimnißvollen Figuren, ähnliche Figuren waren auf den Boden gezeichnet. Als aber die Fee zu ihm trat, schaute er um mit einem zornigen Blick, und rief: »Was willst du?« Da wieß sie ihm das Zeichen in ihrer Hand, und der Greis ward wie wüthend, und riß sich ein Haar aus seinem Bart, und warf's ihr zu. Sie weilte aber nicht länger, und nahm das Haar,[151] bracht's dem Jüngling, und knüpft' es an einem Stein an, und hieß ihn, sich führen an dem andern Ende desselben, und er solle stets antworten nach seiner wahren Überzeugung, wenn er gefragt werde. Sobald er aber den Stein Opal habe, müsse er zurücke gehen, und das Haar darauf wickeln. Jetzt dürfe er fragen, was er wolle, und wenn er den Wunderstein habe, dürfe er auch thun, was er wolle. Als sie das gesagt, verschwand die Fee.

Aber der Jüngling faßte das Ende des Haares, und ging weiter, und mit jedem Schritte verlängerte sich auch das Haar. Und er kam an ein Bächlein; das strömte vorbey, und an dem Bächlein saß eine Mutter und weinte, aber alle ihre Thränen wurden Perlen, und fielen in das Bächlein, und es führte die Perlen in das Meer auf die Oberwelt, wo die Muscheln sie aufnahmen, und die Menschen darnach fischen.

Da trat der Jüngling zu ihr, und fragte sie, warum sie weine. Die Mutter zeigte[152] ihm aber jenseits des Bächleins eine weisse Lilie, die war gewelkt auf ihrem Stengel, denn der Stengel war golden, und konnte nicht Nahrung saugen aus der Erde.

Und er ging weiter fort, und kam an eine Stelle, da wuchs eine Pflanze, nicht wie die Pflanzen dieser Erde, und doch schien sie das Muster zu seyn, wornach alle Gewächse gebildet sind; und aus allen Blättlein sang eine Stimme heraus, und begrüßte ihn mit sanften Tönen, sang ihm Trost und Muth in's Herz. Da strebte er mit neuem Muthe weiter, und kam an den Quecksilbersee. Drey Ströme flossen von ihm aus, und führten das Quecksilber hinauf in die Schachten der Berge.

Aber er getraute sich nicht weiter. Da rief eine Stimme ihm: »Jüngling, bist du rein von Sünden, so schreite vorwärts, und du wirst nicht untersinken.« Und er schritt vorwärts, und um ihn, dünkt es ihn, liefen die Ufer rings herum, und die Wellen des[153] Sees gingen hin und her. Aber er schritt vorwärts, und kam jenseits glücklich an.

Und er kam an eine Pforte von Glase, die verschlossen war von innen. Da pocht' er an, und es rief eine Stimme: »Was willst du in der Behausung der Elemente?«

»Ich will schauen die Wunder in Tellus Reich; öffnet mir die Behausung der Elemente.« Da that sich das Thor auf, und er trat ein in die Behausung der Elemente. Da stand eine irdene Säule in der Gluth der Feuerflammen; und ein Luftstrom brach aus zur Seite, und drang hinaus auf die Oberwelt, und ein Wasserstrom drang aus zur andern Seite, und vertheilte sich in den Schoos der Berge; und es dünkte ihn, als sey die Behausung der Elemente ein Vorbild der Berge auf Erden, die Feuer ausspeyen.

Da er aber weiter ging, kam er an eine Pforte, die war zusammen gesetzt aus allen Metallen. Und als er anpochte, rief eine Stimme: »Was willst du in der Behausung der Metalle.« Und er antwortete wieder:[154] »Ich will schauen die Wunder der Königinn Tellus; öffnet mir die Behausung der Metalle.«

Da that sich das Thor auf, und er kam in einen runden, gewölbten Saal, wo aus einem Quell die Metalle alle hervor wuchsen, und sich ausdehnten nach allen Enden, und sich drängten in die leeren Adern der Schachte, in die Poren der Steine und blieben da liegen, hart, von mancherley Farbe und mancherley Güte.

Aber der Jüngling ging weiter fort, und schritt über die wachsenden Metalle hin, und kam an eine diamantene Pforte. Da er nun anklopfte an die Pforte, rief eine Stimme ihm, und sprach: »Warum wagst du dich an die Wohnung der Königinn Tellus?« Da antwortete er: »Ich will hohlen den Stein Opal bey der Königinn Tellus.« Und zum zweytenmahle rief eine Stimme: »Wenn du den Stein Opal willst für andere, so soll er dir werden; willst du ihn für dich, so kehre um, Jüngling, denn dein Streben ist vergeblich.«[155]

Wie er aber sich umkehrte, und zurück gehen wollte, da rief die Stimme zum drittenmahle: »Gehe ein! denn du bist wahr, und meidest die Lüge.« Und die diamantenen Thorflügel thaten sich auf, und der Jüngling ging ein. Aber er stürzte nieder, und barg seine Augen, denn sie konnten nicht ertragen den Glanz, der auf sie eindrang. Eine Stimme rief ihm: »Stehe auf!« und er richtete sich auf, und konnte hin sehen. Da saß auf einem Thron aus Diamant die Königinn, und ihre Dienerinnen um sie auf chrysolithenen Sitzen. Da standen Tische aus Onych-Steinen und darauf waren Gefässe aus Rubin und Sapphir; der Boden war belegt mit Türkis und Achat; die Säulen und Pfeiler waren aus Jaspis und Porphyr; die Decke war aus Lasur-Steinen, und Sterne darin aus Diamanten; Wandleuchter waren da, und in der Mitte ein Kronleuchter aus Karfunkel. Aber vor dem Throne der Königinn Tellus war ein Becken, darin floß ein Spiritus, der brannte in allerley Farben. Und[156] die Königinn schöpfte von dem Spiritus aus mit einem diamantenen Löffel, und Dienerinnen gingen aus und ein, und trugen sapphirene Urnen; und die Königinn schöpfte ihnen von dem Spiritus in die Urnen; und sie gingen aus und träufelten ihn in die Schachten und in die Wasser, daß er Edelstein würde, und die Menschen ihn fänden, und auch hätten von den Schätzen der Königinn Tellus.

Quelle:
Albert Ludewig Grimm: Kindermährchen. Heidelberg [1809], S. 145-157.
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