[2]

Brunnenhold und Brunnenstark.

1.

[2] Es lebte einmal in einem fernen, fernen Lande ein König, dessen Gemahlin war todt krank, und er mit seiner Tochter Armina waren um sie Tag und Nacht, und pflegten sie mit Treue. Als es aber in den letzten Tagen ihres Lebens war, und Armina, ihre Tochter, einmal das Zimmer verließ, da winkte sie ihren Gemahl zu sich an's Bett, und sagte zu ihm: »Lieber Gemahl und Herr, ich fühle wohl, daß es mit mir sich zu Ende neigt; der Tod nagt mir schon am Herzen, und es wird kurze Zeit vergehn, so bricht mein Herz, und brechen meine Augen. Nun hab' ich vor meinem Hinscheiden aber noch eine große Bitte an Euch, die wolltet Ihr mir nicht versagen.«

Darauf sagte der König: »O sprich nur, liebes Weib! und wenn es mein Königreich kosten sollte, so will ich Deinen letzten Wunsch erfüllen mit tausend Freuden.«[3]

Da richtete sich die todtkranke Königin noch einmal auf in ihrer letzten Kraft, und faßte ihres Gemahls beide Hände mit ihren Händen, und sprach: »Seht, ich weiß, daß Ihr mich werthgehalten habt vor Allem in der Welt um meiner Schönheit willen, und daß Ihr mich oft genannt habt die schönste Perle Eurer Krone. Ich mahne Euch daran nicht aus Eitelkeit, denn dies verschwindet gewiß, wenn man schon mit dem einen Fuße im Grabe steht, wie ich. Nein, ich wollt' Euch nur daran erinnern, wie Ihr Euch selbst oft glücklich gepriesen, um Eurer schönen und tugendhaften Gemahlin willen. Nun möcht' ich Euch aber auch nach meinem Tode noch eben so glücklich wissen, als Ihr bei meinem Leben gewesen. Darum bitt' und beschwör' ich Euch, mein Gemahl, wenn ich zu Grabe gebracht bin, und die Trauerzeit um ist, so laßt mein Bildniß hundertmal abkonterfeien, und schickt es umher in Euerm Lande, bis Ihr ein Mädchen findet, das meinem Bilde ganz ähnlich ist an körperlicher Schönheit. Und die mir ganz ähnlich ist an körperlicher Schönheit, die wird mir auch ähnlich seyn an Tugend, und ähnlich werden an Liebe zu Euch, daß Ihr mit ihr glücklich leben werdet, wie Ihr mit mir gelebt habt. Und habt Ihr ein solches Mädchen funden, so setzet ihm Eure Krone auf das Haupt, und nehmt sie an meiner Statt zu Eurer Königin und Gemahlin, daß sie Euch, wie ich oft gethan, durch ihre[4] Theilnahme an Euern Sorgen für Euer Reich tröste, und durch freundliches Gespräch Eure trüben Stunden Euch erheitere.«

Während solcher Rede liefen aber dem König die Thränen über die Wangen, und er sagte ganz bewegt: »O, meine Gemahlin, was verlangst Du von mir? Wie kann ich Dich vergessen, und eine andere Gemahlin nehmen? Denn wo lebt eine Seele noch wie du, so fromm, so gut?«

»Du sollst mich auch nicht vergessen, und wirst es nicht,« sagte darauf die Königin mit Rührung. »In Deiner künftigen Gemahlin sollst du mich noch ehren und lieben. Denn, wenn sie mir ähnlich sieht am Leibe, so ist sie mir auch ähnlich an Güte und Frömmigkeit; und ist sie mir auch darin ähnlich, so ist sie ja Eines mit mir, und ich lebe Dir in ihr, wenn ich gleich gestorben bin. O, versprich mir, meine Bitte zu erfüllen! Sieh, ich werde immer schwächer. Laß mich diesen Trost mit mir nehmen in das Grab.«

Mit diesen Worten sank sie nieder auf ihr Hauptkissen, und war ganz ermattet. Da versprach ihr der König mit einer von Thränen fast unterdrückten Stimme, ihr Begehren zu erfüllen. »Dank, Dank,« sprach sie, »nun bin ich ruhig.« Darauf lag sie noch etliche Tage, und segnete ihre Tochter am letzten, und starb.

Als sie aber todt war, ließ der König sie begraben mit allem Aufwande, und errichtete ihr ein kostbares Denkmal[5] aus weißem und schwarzem Marmor auf ihrem Grabe in dem Garten seines Schlosses, und legte sich Trauerkleider an, lange, lange Zeit, und saß oft ganze Nächte auf ihrem Grabe und weinte. Und so vergingen ein Paar Jahre unter beständiger Trauer.

Armina, des Königs Töchterlein aber, wuchs in der Zeit heran zu einer Jungfrau, und ward ganz der Mutter Ebenbild an Schönheit und Tugend. Aber der König ließ nicht nach mit seiner Trauer, und verzehrte sich selbst durch seinen Gram, daß er nach und nach ganz abnahm an Kraft, und seine Gestalt verfiel, und seine Wangen wurden blaß.

Das machte seinen Großen und Räthen viel Kummer und Sorgen. Denn sie sagten unter einander: »Unser König ist ein guter König, der sein ganzes Land beglücket, und Recht und Gerechtigkeit handhabt nach bestem Willen und Gewissen. Darum ist es nicht gut, daß er sich also abzehrt, und seinem Gram nachhänget, der ihn bald unter die Erde bringen muß. Dann stünde unser Land verlassen und verwaiset. Denn er hat nicht einmal einen Sohn, der uns nach ihm regieren könnte. Da würden sich die Nachbarskönige um die Herrschaft und um die Hand der schönen Prinzessin Armina schlagen, und am Ende würde unser glückliches Land vom Kriege verheert und vielleicht einem strengen Könige zu Theil werden, der nur immer an seinen Ruhm[6] und seine Eroberungen dächte, und nicht Rücksicht nähme auf das Glück seiner Unterthanen.«

Indem die Großen und Räthe so sprachen, wurden sie einig mit einander, und gingen zu dem Könige, und stellten ihm die Sache vor, und baten ihn, sich doch nicht ferner mehr also zu grämen; und er möchte seinen Gram zu zerstreuen suchen und für seine Gesundheit und für sein Leben sorgen um des Landes willen, das so glücklich sei unter seiner Regierung, und nach ihm nur schlimmeren Zeiten entgegen sehe. Sie baten ihn auch, er möge doch dem Lande wieder eine Königin schenken, die ihm durch freundlichen Umgang seine Traurigkeit verscheuchen, und vielleicht die Mutter eines Kronprinzen werden könnte, der das Land dereinst nach seinem Tode wieder eben so glücklich regieren werde, wie er.

Der König wollte aber lange nichts von diesen Vorschlägen hören, und die Großen und Räthe lagen ihm von nun an täglich mehr an, und sprachen ihm so oft davon, und legten es ihm an das Herz, es sei seine Pflicht, so für sich und sein Land zu sorgen, bis er endlich des vielen Zuredens müde ward, und zu ihnen sagte; »Nun wohlan! ich will euer Verlangen und den Wunsch meiner Unterthanen erfüllen. Aber ich habe meiner verstorbenen Gemahlin auf dem Sterbebette versprochen, nur eine Gemahlin zu nehmen, die[7] ihr vollkommen ähnlich ist an Schönheit. Muß man den Lebenden Wort halten, so muß man es noch mehr den Gestorbenen. Nehmt also das Bildniß meiner Gemahlin, laßt es hundertmal abkonterfeien, und schicket es umher im ganzen Lande. Findet ihr ein Mädchen, das dem Bilde vollkommen gleich ist, so soll sie meine Gemahlin werden, und wenn sie eine Bettlerin ist.« Aber der König dachte bei sich, sie könnten lange suchen, bis sie ein Mädchen fänden, das dem Bilde ganz ähnlich wäre.

Und so war's auch. Die Großen und Räthe nahmen das Bild der verstorbenen Königin, und ließen es abkonterfeien hundert- und zweihundertmal, und schickten es herum im Lande an alle Fürsten und Grafen des Königreiches, zu sehen, ob nicht eine der Töchter derselben dem Bilde vollkommen ähnlich wäre. Aber von allen Enden kamen die Boten und hatten nicht funden, wornach sie geschickt waren.

Darüber freuete sich der König. Aber die Großen und Räthe gingen wieder zusammen, und berathschlagten sich, und ließen das Bild abkonterfeien noch zwei- und dreihundertmal, und sandten es an alle Ritter und Edeln im Lande zu sehen, ob nicht eine der Töchter derselben dem Bilde vollkommen ähnlich wäre. Aber von allen Enden kamen die[8] Boten und Diener wieder zurück, und brachten nicht mit sich, wornach sie geschickt waren.

Deß freuete sich abermals der König. Aber seine Großen und Räthe kamen wieder zusammen, und berathschlagten mit einander. Da ließen sie das Bild abmahlen viele tausendmal, und schickten es in alle Städte und Dörfer des Reiches, und ließen es anschlagen an allen Märkten und freien Plätzen, und trugen es zur Schau hoch herum, und ließen ausrufen in allen Städten, auf allen Dörfern, das Mädchen, so dem Bilde ähnlich sei, sollte Königin werden, wenn es sich zeige.

Aber so zogen sie durch alle Städte, durch alle Dörfer des Königreiches, und ließen nachfragen in allen Mühlen, in allen Hütten, und kamen heim, und hatten des Bildes Ebenbild noch nicht gefunden.

Da war der König abermal froh, und dachte bei sich, seine Großen und Räthe würden ihn jetzt einmal in Ruhe lassen. Sie thaten sich aber zusammen, und berathschlagten abermals. Und jetzt schickten sie das Bild in alle benachbarte Königreiche, und ließen auch dort des Bildes Ebenbild suchen bei allen Ständen in allen Städten und Dörfern. Aber von allen Enden kamen die Botschafter und brachten die Nachricht, daß nicht zu finden sei, was sie suchten.[9]

Darüber waren denn etliche Jahre vergangen, und des Königs Schmerz war linder worden in der Zeit. Da traten eines Tages seine Großen und Räthe vor ihn, und fragten ihn, ob er noch sein Versprechen erfüllen wolle, wenn sie ihm eine Jungfrau nennten, die ganz das Ebenbild der vorigen Königin sei. Da schwur der König einen heiligen Eid, daß er sein gegebenes Wort halten wollte, und wann er es nicht in jedem Falle erfülle, so sollten sie ihn aus seinem eigenen Lande verbannen.

Da sagten die Großen und Räthe: »Wohl, wir haben nun das Wort. Unser Vaterland wird nun bald wieder eine Königin haben, denn Armina ist ganz das Ebenbild ihrer verstorbenen Mutter.«

Da entsetzte sich der König, und ihm fiel schwer auf's Herz, daß er seinen Eidschwur unbedacht abgelegt, und stellte es ihnen vor, wie das eine Sünde sei vor den Menschen und im Himmel, denn noch nie sei das in der Welt geschehen, daß ein Vater seine eigene Tochter zur Gemahlin gehabt habe, und er dürfe nichts thun, wenn er schon König wäre, was noch kein Mensch in der Welt gethan habe. Aber die Großen und Räthe bestanden darauf, er habe geschworen, sein Wort in jedem Falle zu halten, und seinen Schwur dürfe er jetzt nicht brechen; es müßte so geschehen.

Da wollte der König läugnen, daß Armina das Ebenbild[10] bild ihrer Mutter sei. Aber sie bestanden darauf, und ließen alle Maler im Königreiche zusammen kommen, die sollten den Ausspruch thun, ob sie Recht oder Unrecht hätten. Und die Maler kamen zusammen von nah und fern, und verglichen die Schönheit der Tochter mit dem Bilde der Mutter, und alle stimmten darin überein, daß sie die größte Aehnlichkeit mit dem Bilde habe, so das man das Bild füglich für das Bild der Tochter ausgeben könne; denn ähnlicher sei kein Wassertropfen dem andern.

Da läugnete der König abermal, und sagte, sie könnten nicht richten in ihrer eigenen Sache; denn sie seien Kinder seines Landes, und wünschten, wie alle seine Unterthanen, daß er dem Lande wieder eine Königin gebe, und darum sprächen sie ein unwahres Urtheil; man müßte aus fremden Landen ein Gericht berufen, das nicht partheiisch wäre. Und der König schrieb selbst an alle Nachbarskönige, an alle Nachbarsfürsten, und sie schickten ihm jeder die geschicktesten Maler aus seinem Lande. So kam ein großes Gericht von fremden Malern zusammen. Aber alle sprachen einstimmig, daß auf der ganzen Erde noch kein Bild ähnlicher gemalt worden sei, als das Bild der Königin ihrer Tochter Armina ähnlich wäre.

Das schlug dem Könige schwer aufs Herz. Denn jetzt hatte er keine Ausrede mehr, und mußte sein gegebenes Wort[11] halten. Und als Armina das hörte, ging sie zu ihrer alten getreuen Amme, und fragte sie um ihren Rath. Diese rieth ihr was sie thun sollte. Denn als am andern Morgen ihr Vater und seine Großen und Räthe zu ihr kamen, um ihr die köstlichen Brautgeschenke an reichen Stoffen und glänzendem Geschmeide und Kleinodien zu bringen, da sprach sie zu ihnen: »Nicht also, lieber Vater! Nicht also, ihr Großen und Räthe! Diese Geschenke sind zwar sehr kostbar; allein ich verlange nichts von diesen Perlen und Edelsteinen, nichts von allen diesen Seiden- und Sammtstoffen. Der Braut des Königs geziemt es, andere Brautgeschenke zu erhalten, als ihr sie mir bietet. Drei Wünsche trage ich bei mir, erfüllet ihr diese, so will ich gleichwohl eure Königin werden; erfüllet ihr sie mir aber nicht, oder nicht alle, so schwör ich hier, daß ich nie, weder jetzt, noch nach meinem Vater, Königin in diesem Lande sein will.«

Als sie aber das gesprochen, war ihr Vater froh und hoffte, sie würde drei Wünsche nennen, die zu erfüllen nicht in Menschenmacht stände, und gab es gern zu, daß sie den ersten ihrer Wünsche nenne. Da verlangte sie, man sollte ihr ein Kleid machen von purem Golde, das glänzen müßte, wie die Sonne, und doch so leicht wäre, als sei es von Flor. Und der König frohlockte in seinem Herzen; denn er hoffte, daß kein Mensch das zu machen im Stande sei. Aber die[12] Großen seines Hofes und seine Räthe schickten aus nach den Künstlern in allen Reichen und Ländern, und beriefen sie zusammen, und versprachen demjenigen von ihnen hundert Pfunde Goldes, der das Kleid in einem Monate zu Stande brächte. Aber die meisten derselben läugneten, daß eine solche Arbeit von Menschenhänden könne hervorgebracht werden. Und nur dreie traten hervor aus ihrer Mitte, aber sie verlangten ein ganzes Jahr, weil die Arbeit so schwierig sei. Endlich trat aber einer der ältesten Künstler hervor, und versprach die Arbeit zu liefern im nächsten Vollmond. Da traten die andern Künstler zurück und sagten: »Mit Zauberkräften sind wir nicht begabt, und stehen nicht im Bunde mit Feen und Kobolden, daß wir solches uns zu leisten vermessen dürften, als du dich zu leisten vermessen hast.« Und alle zogen von dannen.

Als aber am nächsten Tage der Vollmond hinter des Königs Garten über die hohen Bäume herauf kommen sollte, erschien der Künstler schon mit seinem sonnenglänzenden, goldenen Kleide. Aber alle, die es sahen, glaubten, es müsse schwerer sein, denn ein Centner Gewichts. Und da er es vor den König und die Großen seines Hofes und seine Räthe brachte, ließ er sich eine Waage bringen, und legte das Kleid in eine der Waagschalen, und in die andere Waagschale ließ er die Prinzessin Armina einen Pomeranzenkern legen,[13] – und siehe! der Pomeranzenkern zog die Schale, darin er lag, tief, tief herunter, und die Schale, darin das Kleid lag stieg hoch, hoch in die Höhe, als sei gar nichts darinnen.

Darob erstaunten und freueten sich die Großen des Hofes und die Räthe, und überhäuften den Künstler mit Lob und Ehre, und ließen ihm auf der Stelle aus der Schatzkammer des Reiches vorwägen ein hundert Pfund Goldes. Aber Armina und der König erstaunten zwar auch, doch sie erblaßten dabei vor Schrecken, als sie sahen, daß der Wunsch erfüllt war, den die Königstochter darum gethan hatte, weil er ihr unerfüllbar geschienen.

Des andern Tages sollte Armina nun ihren zweiten Wunsch nennen. Da ging sie gegen Abend wieder mit ihrer treuen Amme im stillen Kämmerlein zu Rath. Und als sie am andern Tage vor den Großen des Hofes und Räthen ihres Vaters um ihren zweiten Wunsch befragt wurde, verlangte sie ein Bild, nicht größer als die kleinste Geldmünze, darauf abgebildet wäre, ihres Vaters Schloß und ihr Vater selbst, heraussehend aus dem Fenster des Schlosses einem, und doch alles erkennbar, besonders das Bild ihres Vaters getroffen. So fein und doch so treffend zu mahlen, hielten zwar alle für unmöglich, aber die Großen vom Hofe und[14] die Räthe beriefen wieder aus allen Ländern und Reichen in der Nähe und Ferne alle Mahler zusammen, und versprachen demjenigen zwei hundert Pfund Goldes, der in Monatsfrist das Gemählde abliefern würde.

Da traten nur zwei der jüngsten Mahlerkünstler hervor und versprachen die Arbeit zu liefern, wenn man ihnen ein Jahr vergönnen wollte zur Arbeit. Endlich versprach aber der jüngste von ihnen, bis nächsten Vollmond das Gemählde zu liefern. Und als der Tag angebrochen war, da am Abende der Vollmond scheinen sollte, erschien er vor dem König und den Großen seines Hofes und seinen Räthen, und brachte sein Bild. Und siehe! es war eine Kapsel darüber von Golde, nicht größer denn die kleinste Goldmünze, die im Reiche geprägt wurde, und als er diese geöffnet hatte, sah man das kleine Gemählde darin, das aber so klein war, daß man es erst durch ein Vergrößerungsglas beträchten mußte, wenn man die Gegenstände alle unterscheiden wollte. Und wer es betrachtete, mußte erstaunen; denn des Königs Bild war so klein darauf, daß man es kaum für ein kleines Pünktchen erkannte. Wenn man es aber durch ein Vergrößerungsglas betrachtete, so erkannte man alle Züge so genau daran, daß man selbst die drei Sommerfleckchen auf des Königs Nase deutlich sah.

Darüber freueten sich denn abermals die Großen des Hofes[15] und Räthe des Königs, und hofften nun um so sicherer, daß sie auch den dritten Wunsch Armina's würden erfüllen können. Darum erwiesen sie dem Künstler alle Ehre, wie sie auch dem alten gethan hatten, und gaben ihm nicht nur gern die zwei hundert Pfund Goldes, die sie ihm versprochen hatten, sondern machten ihm auch noch außerdem aus der Schatzkammer des Reiches ein gutes Geschenk.

Aber der König ward wieder traurig darüber, denn er hatte nicht geglaubt, daß dieser Wunsch erfüllt werden könnte. Aber Armina war noch trauriger darüber. Und als es Abend war, ging sie wieder mit ihrer getreuen Amme zu Rath. Als sie nun am andern Morgen auch ihren dritten Wunsch nennen sollte, so begehrte sie ein Schifflein von getriebenem Silber, mit Golde verziert, in Gestalt eines fliegenden Drachen, das versehen wäre auf dreißig Jahre mit hinreichenden Lebensmitteln, und die Eigenschaft besitze, daß es in einem Augenblicke jeden, der darin sitze, durch die Luft dahin trage, wohin er sich wünsche. Da ließen die Großen vom Hofe und die Räthe des Königs wieder aus allen Reichen und Ländern alle Künstler und Magier zusammen kommen, und versprachen drei hundert Pfund Goldes dem, der in Monatsfrist ein solches Schifflein liefern wollte. Aber die Künstler sprachen, wenn sie Silbers und Goldes genug hätten, so wollten sie wohl ein solches Schiff daraus[16] bilden; allein es mit Lebensmitteln auf so lange zu versehen, oder ihm gar die Kraft zu verleihen, durch die Luft dahin zu fliegen, wohin man sich wünsche, das gehe über menschliche Macht, und sie vermöchten das nicht. Aber zwei Magier traten hervor, und versprachen, wenn man ihnen das Schifflein liefere, so wollten sie ihm in einem Augenblicke Vorrath auf dreißig Jahre verschaffen, und die Kraft ertheilen, sich nach dem Wunsche Armina's frei durch die Luft zu bewegen, und in einem Augenblicke in den fernsten Gegenden zu sein.

Als die Großen vom Hofe und Räthe des Königs das hörten, ließen sie die Künstler sogleich anfangen, und mußten alle zusammen helfen, und bekamen dazu aus des Reiches Schatzkammer des Goldes und Silbers so viel sie verlangten. Und siehe! ehe der dritte Morgen anbrach, sprachen schon die Magier ihren Zaubersegen darüber, und am dritten Tage wurde es schon vor den König und die Prinzessin Armina gebracht. Und es sprachen nun die Großen und Räthe zu ihr, es seien jetzt alle ihre Wünsche erfüllt, sie dürfe jetzt länger nicht zögern, und heute müsse noch das Fest ihrer Vermählung gefeiert werden. Da sah der König keine Ausrede mehr, und gab traurig Befehl, die Anstalten zum Feste zu machen.

Aber Armina stand auf, und sprach zu den Umstehenden:[17] »Lasset noch beruhen die Anstalten zum Feste. Denn ich sehe zwar vor mir das Drachenschiff, allein ich zweifle noch an seiner Kraft, sich nach meinem Willen zu bewegen. Darum thut es Noth, daß ich es vorher selber erprobe.«

Solches billigte auch ihr Vater, und billigten selbst die Großen und Räthe. Sie ging darum hinein, und legte an ihr goldenes, sonnenglänzendes Kleid, und nahm zu sich das kleine Bild von ihres Vaters Schloß, und weinte noch einmal bitterlich in den Zimmern, und ging und rief ihre Amme, und fiel noch einmal ihrem Vater weinend um den Hals, und nahm von ihm Abschied, als wollte sie ihn auf immer verlassen. Als das aber die Räthe des Königs sahen, murmelten sie untereinander und sprachen: »Was soll das? scheint es doch, als nähme sie auf immer Abschied von ihrem Vater!«

Das hörte Jungfrau Armina beiseit, und wandte sich zu ihnen, also sprechend: »Was murmelt ihr untereinander, daß ich also Abschied nehme von meinem Vater? Ists denn nicht so, daß ich mich nun ewig trennen muß von ihm? Denn beweißt das Schifflein die verheißene Kraft, so hab' ich ja keinen Vater mehr; so kehre ich zurück, und finde in ihm nur meinen Gemahl.«

Als sie das zu ihnen gesprochen, wurden sie ruhig, und sie schlang abermal ihre Arme um den Vater und weinte[18] und halsete, herzte und küßte ihn. Darauf stieg sie mit ihrer Amme in das Wunderschiff, und wünschte sich fern, fern im großen Meere auf einer stillen friedlichen Insel zu sein. Da erhob sich mit einemmale das Drachenschiff hoch, hoch in die Luft und schoß pfeilschnell von dannen, und ehe man sich nur darauf besinnen konnte, wars aus dem Gesichte Aller verschwunden.

Aber der König und die Großen vom Hofe und seine Räthe und das Volk standen da, und harrten von Stunde zu Stunde, und erwarteten jeden Augenblick, daß es wieder erscheinen würde. Aber es erschien nicht. Und sie harrten vom Mittage zum Abend, und vom Abende zur Nacht und zur Mitternacht, aber Armina in dem Wunderschiffe kam nicht. Und sie hofften zum Morgen und wieder zum Abend, und wieder zum Morgen, aber – vergebens und immer vergebens.

Da warf der König seine Krone zur Erde, trat sie mit Füßen, und zerraufte sein Haar und rief: »O, daß ich doch kein König wäre, so hätt' ich doch meine fromme Tochter noch. Aber mir geschieht, wie ich verdient habe; ich habe mich zwingen lassen, daß ich Sünde hätte begehn müssen vor dem Himmel. Und sie hat Recht gethan, daß sie von dannen gezogen.« Und damit ging er weg, und schloß sich in sein einsamstes Gemach, und grämte sich, und starb in[19] wenig Monden. Aber in sein Reich theilten sich die Nachbarsfürsten, und regierten dann fortan.

Quelle:
Albert Ludewig Grimm: Lina’s Mährchenbuch 1–2. Band 2, Grimma 21837, S. 2-20.
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