Drittes Kapitel.

[102] Wohl saß der finstre Ritter nach etlichen Tagen noch finsterer in der Halle der Finsterburg vor seinem zerschlagenen Steintische, als er endlich durch seine Knappen erfahren, sein Sohn Adelbert sei mit Leuthold verschwunden, und ihre Spur nicht zu finden in den Forsten der Nähe und Ferne.[102] Und von nun an kam noch ein finsterer Geist über ihn, so daß er auch nicht mehr hinaus stürmte in die Nacht des Forstes auf die Jagd der wilden Thiere, wie er doch vorher noch zuweilen gepflegt. Und da saß er in seinen noch kräftigen Mannesjahren schon wie ein sehr schwacher Greis, und kam nicht mehr vor die Burg, und führte ein einsames freud- und thatenleeres trauriges Leben. Da wuchs bald das Gras auf dem Burgwege und unter dem Burgthore, und die Thüren bewegten sich nur schwer in ihren Angeln.


Adelbert und Leuthold saßen aber am dritten Morgen, nachdem sie ausgezogen waren, in dem Schatten eines Buchwaldes, um da zu ruhen. Da sah Leuthold auf einmal aufmerksam seinem Junkherrn ins Gesicht, und sprach: »Ei, Junkherr, was habt Ihr da für einen Fleck auf der Stirne?« Und Adelbert fuhr sich mit der Hand über die Stirne, vermeinend, er wolle den Fleck wegwischen. Aber Leuthold sprach: »Nein, nein, der Fleck ist nicht weg! Und es ist ja gar ein Blutfleck. Habt Ihr denn Jemanden erschlagen?« Da ward Adelbert zumal traurig, und sprach: »Ja, es ist fast so. Mein Mütterlein ist meinetwegen gestorben, und ließ mir da auf die Stirne eine Blutnelke fallen aus ihrem Strauß in den Haaren – und den Blutfleck werd'[103] ich wohl tragen müssen, bis sie ruhig schläft in ihrem Grabe, und bis meine Schuld einst völlig gebüßt ist und gesühnt. – Frage mich aber nicht weiter, treuer Leuthold, denn Alles kannst du nicht wissen.«

Da schwieg der alte, treue Diener, und sie saßen bald wieder zu Pferde, und zogen von dannen. Und sie zogen immer nach der Gegend hin, wo die Sonne untergeht. Da geschah es, daß sie eines Tages an einem steilen Felsenhange ankamen, auf dessen Gipfel lag eine große Stadt. Leuthold ging aber auf dem nächsten Fußpfade hinauf, um für seinen Junkherrn eine Herberge zu suchen in der Stadt. Sein Pferd hatte er unten bei Adelbert gelassen am Fuße der Felswand, und Adelbert war auch von seinem müden Rößlein gestiegen, und hatte sich auf der Wiese gelagert im Herbstgrase unweit dem Eingange einer weiten Felsenhöhle, die sich hinter hohem Schilfgrase öffnete. Und wie er gewohnt war, so that er auch jetzt. Er nahm sein süßes Saitenspiel, dem er von Tag zu Tag schönere Lieder und sanftere Töne abzulocken lernte, von dem Rücken, und spielte manch schönes Liedlein im lauen Scheine der Herbstsonne.

Aber er spielte noch nicht lange, da kamen die Rosse schnaubend herbei gelaufen mit gesträubten Mähnen und scheuen Blicken, und bäumten sich, und nur als er ihnen entgegen sang, wurden sie ruhiger und lagerten sich hinter[104] seinem Rücken. Da merkte er wohl, daß ihm ein Ungethüm nahe sein müßte, vor dem die edeln Thiere sich also entsetzten. Und als er umher sah, hörte er es dumpf rauschen in der Felsenhöhle, und sah es sich hervorwälzen in riesengroßer knäuelförmiger Gestalt, und ihm nach wälzten sich noch mehrere kleinere Ungestalten. Als aber der riesengroße Knäuel sich jetzt herausgewälzt hatte an das Tageslicht, da war es ein großer Lindwurm, und die kleinen Ungestalten, so sich ihm nachwälzten, waren die sieben jungen Lindwürmer desselben. Und im Glanze der Abendsonne entwirrte sich ihre ungestalte Bildung. Da gewahrte Adelbert an ihrem ungeheuern Schlangenleibe harte glänzende Schuppen, und ihre Füße waren mit scharfen und langen stahlharten Krallen bewaffnet, und ihr Schwanz endigte in eine pfeilförmige Spitze mit Widerhaken. Aber an des Leibes Seite trugen sie zwei ungeheure Fledermausflügel. Ihre Köpfe waren blau und gelb von Farbe, und glichen von Ansehen einem ungestalten verzerrten Menschengesichte, mit weit vorliegenden Feueraugen. Und wenn sie athmeten, drang aus den weiten Nasenlöchern ein schwarzer Qualm.

Und als sich so die Lindwürmer entwirrt hatten, lagerten sie sich im Halbkreise um Adelbert her, und starrten ihn an mit ihren weit vorliegenden Feueraugen und mit aufgähnenden Rachen voll scharfer spitziger Zähne. Da sah Adelbert,[105] wie die Arbeiter auf den fernen Feldern ihre Geräthe weggeworfen, und in weiten Umkreisen den Felsenhang erstiegen, und den Eingang der Stadt zu erreichen suchten, und wie selbst die Ochsen und Schafe von der Weide liefen, und sich scheu in die Wälder und Ställe flüchteten. Da ward ihm doch auch ein wenig bang um das Herz. Aber er getrauete sich nicht aufzustehen, und von dannen zu fliehen, weil er dann um so gewisser eine Beute der greuelerregenden Brut zu werden befürchtete. Und halb in Angst, halb in Ungewißheit, was er thun solle, spielte er immer noch über die Saiten seiner Zither hin, aber seiner Seele war nicht bewußt, was seine Finger thaten. Da er aber sah, daß die Würmer sich also ruhig um ihn gelagert hatten, und auf die Töne zu horchen schienen, griff er wieder beherzter in die Saiten; und immer aufmerksamer wurden die Würmer. Da faßte Adelbert noch kühneren Muth, und sang zu den Tönen folgendes Lied.


»Saß ein Knab' am Felsenhange,

Schlug der Saiten Gold;

Kommt aus dunkelm Grottengange

Lindwurm hergerollt.

Hinter ihm die Lindwurmsbrut.

Und dem Knaben sinkt der Muth.

Aber von den gold'nen Saiten

Hört man noch die Töne gleiten,

Und den Zauber ungekannt,

Lockt hervor des Knaben Hand.«
[106]

Als er so weit in seinem Liede kam, da sah er die Würmer gähnend ihre Rachen aufreißen, und dann schlossen sie noch horchend die Augen. Während dem sang Adelbert aber weiter:


»Und der Lindwurm liegt im Kreise,

Um ihn her mit seiner Brut,

Horcht begierig seiner Weise,

Und dem Knaben schwillt der Muth,

Singt sein Lied aus voller Brust. –

Das Gewürm in sel'ger Lust

Schließt der grellen Augen Lieder,

Sinket schnarchend vor ihm nieder –

Zither, klinge fort und fort!

Sei fortan sein Zauberwort!«


Und als er das Lied ausgesungen, da war's auch so, wie es im Lied heißt. Die Lindwürmer lagen hingesunken in tiefem Schlafe, und schnarchten, und der Giftqualm stieg zuweilen in blauen Flämmchen aus ihren Nasenlöchern empor.

Da kam Leuthold wieder von der Stadt herunter; denn er hatte von den flüchtigen Arbeitern und Hirten gehört, der Lindwurm sei mit seiner Brut aus der Höhle hervorgebrochen, und gewiß habe er schon den fremden Junkherrn mit der Zither verschlungen, der unten ganz nahe an seiner Höhle gesessen. Als aber Leuthold näher herab kam und sah, wie sein Junkherr ruhig und singend in Mitte des giftigen Gewürms saß, und rüstig die Saiten rührte, da rief er ihm in entsetztem Erstaunen zu: »Was, Junkherr? mein[107] Junkherr! was für Gesellen habt Ihr um Euch gesammelt?« Adelbert aber winkte ihn stille zu sich, und sprach: »Bring Ketten, daß wir die Unholde fesseln im Schlafe!« Und Leuthold ging hinauf in die Stadt, und brachte der Ketten so viele, als er nur aufzutreiben vermochte. Und während Adelbert von dem Einen der Lindwürmer zum Andern ging, ihm zu seinem tiefen Geschnarche in leisen Tönen ein Schlaflied spielend auf seiner Zither, fesselte Leuthold die Lindwürmer, zuerst den alten Lindwurm, und nach ihm seine Brut.

Und als sie nun alle gefesselt lagen in schweren Eisenketten und noch schwererem Schlafe, sprach Adelbert: »Gehe hinauf zur Stadt, und laß von den Bürgern Holz zusammen bringen, daß wir rings um die Würmer einen Scheiterhaufen bauen, und sie also verbrennen, daß das Land hinfort gesäubert sei von solchem Verderben.« Und Leuthold ging hinauf in die Stadt. Doch als er Kunde brachte von dem, was er mit seinem Junkherrn gethan, und wie sein Junkherr gedenke, die Würmer nun im Feuer zu tödten, da war ein Jubel unter dem Volke über die Maßen. Denn der Wurm hatte schon vielen Schaden gethan mit seinen Jungen, an Menschen und Heerden, und sie brachten eilig des Holzes eine große Menge zusammen, und bauten einen Scheiterhaufen um die Lindwürmer, und zündeten denselben[108] an, an allen Enden zugleich. Aber die Würmer erwachten erst vom tiefen Schlafe, als die Flammen schon hoch aufschlugen, und über ihnen zusammenflackerten, und versuchten aufzustehen und von dannen zu fliehen. Ehe sie sich aber der Fesseln zu entledigen vermochten, hatten sie schon die Flammen ergriffen, und sie brannten unter heftigem Gebrülle und lautem Schlangengezische, und das Drachenfett schmorete aus ihren Leibern heraus, und floß in einem Strom unter dem Scheiterhaufen hervor.

Da stand Adelbert und sprach: »Nun könnte man ja wohl thun, wie der hörnerne Siegfried, und sich baden in dem Fette, daß man auch hörnern würde, gleich ihm. Ich mag aber kein starker Kriegsheld sein auf Erden, und was ich nicht blos mit dem Saitenspiel und Gesang mir erwerbe, das will ich mit roher Kraft nicht erzwingen!« Und damit wandte er sich ab zur Stadt, und sein alter Knappe Leuthold mit ihm, daß er ihm die Herberge zeige.

Aber das Volk hatte sich um sie gesammelt, und begleitete sie mit Frohlocken hinauf, und führte sie vor den König des Landes, der in selbiger Stadt seinen Hof hielt. Der König empfing aber den Junkherr mit großen Holden und Ehren, und bot Adelberten mit Leuthold Herberge an in seinem Schlosse, und bat ihn, bei ihm zu bleiben etliche[109] Zeit, daß er ihm für die Wohlthat, die er ihm und dem Lande erwiesen, gebührende Ehre bezeigen möchte.

Solche freundliche, ehrende Ladung nahm Adelbert an, und wohnte fortan in dem Schlosse des Königs.

Quelle:
Albert Ludewig Grimm: Lina’s Mährchenbuch 1–2. Band 2, Grimma 21837, S. 102-110.
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