Sechstes Kapitel.

[124] Als am andern Morgen die Lerchen sich in die Lüfte schwangen, ihr Morgenlied zu singen, hatte Adelbert das seinige schon längst erschallen lassen durch Flur und Wald, und ritt nun schon ferne von der Stadt mit seinem Freunde, Herrn Groß Ott, der Küste des Meeres zu. Dort angelangt, bestiegen sie noch selbigen Tages ein segelfertiges Schiff, das bestimmt war nach Aegypten zu segeln, um eine Ladung Waaren aus jenem Lande zu holen. Ein günstiger Wind blähete die Segel, und man lichtete fröhlich die Anker und stach in die hohe See. Da glitt der Kiel des Schiffs leicht über die Fläche des Wasserspiegels hin, und Adelbert saß mit Herrn Groß Ott auf dem Verdeck, und sah von Tage zu Tage die Küsten des Landes, an denen sie längs hinsegelten, ferner und ferner verschwinden, und bald sahen sie nichts mehr als Wasser und Himmel. Da geschah es eines Morgens,[124] daß sie aufgeweckt wurden von dem lauten Getümmel der Ruderknechte auf dem Verdecke, und als sie hinauftraten, sahen sie den Himmel in Westen von dunkeln Wolken verdeckt, und der Steuermann rief ihnen zu, ein fürchterlicher Sturm sei im Anzuge. Zugleich kräuselten sich auch die Häupter der hohen angeschwollenen Wogen, und fern grollte ein weithin hallender Donner. Da erhob auch der Wind seine Macht und blies in die Wogen, daß sie höher und immer höher heranrauschten mit schäumenden, überschlagenden Häuptern, und an das Schiff anschlugen mit zerstörender Gewalt. Und der Donner rollte näher und näher. Da sank allen den Ruderknechten und Steuerkundigen vollends der Muth. Und als Adelbert sie schmählte um ihrer Ruchlosigkeit willen, da sprach der alte wegkundige Steuermann: »Junkherr, Euer Muth machte mich lachen, wenn man in solcher Lage zu lachen vermöchte. Ich hab' mein halbes Leben wohl schon auf dem Meere hingebracht, und manchen Sturm schon bestanden, doch hier ist's heute ein Anderes. Euer Muth kommt von Unkunde der Gefahr, in der wir jeden Augenblick schweben. Denn Ihr wißt wohl nicht, daß wir hier an der Stelle des Meeres sind voller Untiefen und Sandbänke; und so uns nicht Gottes sichtbare Führung leitet, muß unser Schiff zerschellen an irgend einer der Bänke, an welche der Sturm und die Wogen uns schleudern.«[125]

Da antwortete Adelbert: »Ei so muß man denn auch auf Gottes sichtbare Fügung bauen, wenn sie allein nur zu retten vermag. Ohne Vertrauen wird Niemandem geholfen.«

Aber von Minute zu Minute verstärkte sich die Macht des aufgeregten Elementes. Der Himmel war dunkel schwarz umzogen, und die Blitzschlangen fuhren in grellerhellendem Zickzack durch das Dunkel des Gewölbes hernieder auf das durcheinander gerührte brausende Wellenheer. Und der Donner schlug mit fürchterlich lautem Halle nach, von Wolke zu Wolke forthallend durch das weite Gewölbe, und tausendfach gebrochen im dumpfen Wiederhall, fortrollend und in der Ferne nach und nach sich verlierend. Und schneller und immer schneller kehrten die Blitzschläge wieder, und lauter und immer lauter krachte der Donner, und wilder und immer wilder tobte und schäumte die Meeresfluth. Da stieg das Schiff, zur Bergeshöhe von den Wellen gehoben; da sank das Schiff, in Abgrundstiefe von dem Sturme geschleudert, und selbst der Angstruf der Ruderknechte schwieg verstummend in dem gräßlichen Aufruhr. Aber Adelbert hatte sein Saitenspiel gefaßt, und weil er nicht zu stehen vermochte in dem Schwanken, hatte er sich niedergesetzt an dem Hauptmaste des Schiffes, und hatte den Mast mit seinen Füßen umfaßt, und lehnte sich an denselben mit seiner Schulter, ihn mit dem linken Arme umfassend. Und so fing er an in das Krachen[126] des Donners, in das Sturmgebrause, in das Wellengetöse hinauszuspielen auf seiner Zither. Und er rührte die Saiten mit raschen Schlägen, gleich als ob er zürne, und bald lockte er dazwischen beruhigende Töne hervor.

Da schalt ihm der Steuermann von dem Hintertheile des Schiffes herüber, daß er in solchem Sturme sein eiteles Saitenspiel immer noch forttriebe. Aber Adelbert achtete nicht seines Scheltens, und erhob nur kräftiger seine Stimme, aus voller Brust in die Wuth der Elemente wieder hinaus singend:


Verhall, Verhall,

Du Donnerschall!

Sanft! Sanft! Ihr wilden Wellen!

Mein Schifflein möcht' zerschellen!

Ihr Winde, schweigt!

Ihr Wolken grau,

Verschwimmt, und zeigt

Den Himmel blau.

Jetzt in Gefahr

Du hohe Kraft,

Die Alles schafft,

Mach dich uns offenbar.

Die Gotteshand,

Die Alles hält,

Führ' unzerschellt

Mein Schifflein zu dem fernen Strand.


Und langsamer und immer langsamer erfolgten die Donnerschläge; und stiller und immer stiller wurde von Augenblick[127] zu Augenblick das Sturmgebrause und das Wellenrauschen; und lichter, und immer lichter wurde das Gewölke; und sanfter und immer sanfter wurde das Schwanken des Schiffes. Und jetzt zerriß das Gewölke und der blaue Himmel lachte hervor, und die Wellen zerrannen und durch die Spiegelfläche gleitete wieder der Kiel, und ferner und immer ferner rollte der Donner, und schon hörte man ihn gar nicht mehr. Da lebte auch der Muth des Steuermanns und der Ruderknechte neu auf, und sie kamen, und dankten ihrem Erretter. Denn sie hatten, trotz Sturmsgesaus und Donnerhall, sein Lied doch vernommen, und nachgebetet in ihren Herzen. Und der Steuermann sprach zu ihm: »Junkherr, jetzt ist's an Euch, mich der Unwissenheit zu beschuldigen und zu strafen. Denn ich wußte nicht, welch großen Schatz des Vertrauens Ihr in Eurer Seele traget, und daß solch Vertrauen also mächtig wirkt in dem Menschen und aus ihm heraus.«

Da antwortete ihm Adelbert: »Sofern Ihr das nun erkannt habt, so gebet Gott die Ehre, dessen sichtbare Führung uns gerettet hat aus der Gefahr der drohenden Elemente, und laßt uns ein Lied singen, ihm zu Dank und Preis.« – Und sie stimmten ein Lied an, und das ganze Schiffsvolk sang mit aus voller Kehle zu dem Klange des wunderthätigen Saitenspiels, und das Lied fing an, wie es[128] jetzt noch bei uns ein Lied gibt: Großer Gott, wir loben dich!

Dann segelten sie glücklich um die Pyrenäische Halbinsel herum, durch die Meerenge bei Gibraltar hindurch, an Malta vorüber, gegen die sieben Mündungen des Nilstromes zu. So es ihnen aber auf dieser fernen Fahrt an Lebensmitteln gebrach, warfen sie nur die Netze aus, und wenn Adelbert sein Saitenspiel rührte, kamen die Fische schaarenweise herbeigeschwommen und ließen sich fahen.

Quelle:
Albert Ludewig Grimm: Lina’s Mährchenbuch 1–2. Band 2, Grimma 21837, S. 124-129.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Brachvogel, Albert Emil

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.

68 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon