Siebentes Kapitel.

[129] So waren sie nach rascher Fahrt gelandet an der vielen Ströme einem, durch die sich der Fluß des fruchtbaren Aegyptens ergießt, und Adelbert und Groß Ott waren mit Adelberts altem Diener Leuthold, der noch immer väterlich für seinen Junkherr besorgt war, und oft mehr als sich gebühren wollte für den herangereiften Jüngling, längs dem Arme des Stromes durch das üppige Nilthal gezogen. Wohl überall hatten sie nach dem fremden Zauberritter gefragt, aber nirgends konnten sie Kunde von ihm bekommen. Da zogen sie denn planlos durch Unter-Aegypten hindurch. Und als sie hinaufkamen an die Stelle, wo der Nil nicht mehr getheilt, sondern in einem breiten Strome fließt, an[129] den schönen Palmenwäldern vorbei, wo hier und da schon auf den kleinen Anhöhen die kleineren Pyramiden sich erheben, da sahen sie zur Rechten hinauf endlich die hohe Cheops-Pyramide stehen, und beschlossen, dahin sich zu wenden. Und sie betraten den langen Damm, der hinauf zur Anhöhe führt, und kamen mit müden Rossen an der Pyramide an. Da standen sie an dem ungeheuern Baue, und staunten daran hinauf, und Groß Ott freute sich höchlich über die Ausführung eines so kühnen Unternehmens.

Indem gewahrte Adelbert im Herumgehen um die Ecke der Pyramide eine Oeffnung in der Mauer, und sprach zu Groß Ott: »O, werther Herr, der Abend dämmert schon im Nilthale, und die Sonne bescheint auch nur noch die Spitze des großen Baues, die Nacht kann nicht fern mehr sein, und bis wir ein wirthliches Dach unter den Fremden fänden, das möchte wohl lange dauern. Auf keinen Fall finden wir ein solch königlich hohes, als das hier. Laßt uns darum die Nacht hier zubringen. Ich gewahre hier einen Eingang, und dafern uns der Nachtthau unter Dach treibet, so können wir ja immer da hineinsteigen.« Das war recht nach Groß Otts Sinne, und er willigte freudig ein. Da ließen sie ihre Rosse von Leuthold wieder hinabführen in das Thal, damit sie dort ihr Futter fänden; sie selbst aber blieben oben bei der Pyramide. Damit sie aber im Nothfalle[130] Bescheid darin wüßten, stiegen sie gleich hinein. Da führten vier schmälere und ein breiter Gang durch die ungeheuere Steinmasse, und aus den Hallen trat man in geräumige Gemächer.

Sie legten sich aber in dem ersten derselben nieder auf die Erde um da zu ruhen bis an den Tag. Es war aber dunkel um sie, denn die Gemächer hatten kein Licht von außen. Herr Groß Ott war bald eingeschlummert, und lag nun in tiefem, bewußtlosem Schlafe, aber Adelbert war ruhig in seiner Seele, und lag schlaflos auf dem Boden. Da griff er endlich nach seiner Zither, und spielte darauf, und rührte kaum hörbar die Saiten. Und es erhellte sich nach und nach das Gemach, und er sah in den Wänden ringsum hohe Mauernischen, und in diesen standen große Steinsärge. Und er rührte ferner die Saiten, da trat zur Thür herein ein brauner Mensch mit grauem Barte und weitem Mantel, und um den Mantel trug er einen weiten Gürtel mit seltsamen Zeichen. Aber in der Hand hielt er einen Stab, mit welchem er Adelberten winkte, ihm zu folgen. Da führte er ihn hinaus durch die andern Gänge bis an das Ende des geräumigen Ganges. Und hier rührte er mit seinem weißen Stabe eine große Steinplatte. Da bewegte sich selbe, wie eine Thür in ihren Angeln, und öffnete einen verborgenen Gang, der führte eine Strecke gerade aus. Und der[131] Mann winkte Adelberten mit seinem Stabe, ihm weiter zu folgen. Da stiegen sie endlich, wo der Gang sich wendete, viele Stufen weit hinab, und schritten dann wieder auf ebenen Wegen, von Mauergewölben gedeckt, weiter und weiter. Endlich stiegen sie wieder einige Stufen hinauf, und schritten nun durch verworrene Hallen und Gänge in eine kleinere Halle, die war wieder an den Wänden ringsum mit Nischen erbaut, und in den Nischen standen Steinsärge. Aber der Mann mit dem Stabe führte den Jüngling an den größten Steinsarg der mittelsten Nische, und rührte mit seinem Stabe den Deckel desselben. Da hob sich der Deckel, und legte sich zur Seite nieder, und darin lag wunderlich eingehüllt seltsam verziert eine ähnliche Mannsgestalt, die war noch ganz umgeben mit einer braunen Rinde. Und der Braune mit dem grauen Barte rührte die Gestalt mit seinem Stabe, da lös'te sich auch der obere Theil der Rinde mit den seltsamen Verzierungen ab, als die äußere Schale, und darinnen lag ein brauner Mensch. Da sagte der Alte zu Adelberten: »Weck' ihn! weck' ihn!« und deutete auf sein Saitenspiel. Und Adelbert hatte kaum die Saiten gerührt, da richtete sich der Mann aus der braunen Rinde auf, und die beiden Braunen bewillkommten sich herzlich, aber schweigend, und traten in die andere Ecke der Halle, und sprachen insgeheim recht angelegentlich mit einander. Nachdem sie lange Zeit[132] so gesprochen, schieden sie wieder von einander, der eine Braune legte sich nieder in seine braune Hülle und der Deckel mit dem Zeichen legte sich darüber und dann auch der Steindeckel des Sarges. Aber der Alte winkte wieder, und führte Adelberten wieder zurück zu seinem schlafenden Genossen, Herrn Groß Ott. Dann zog er aus seinem weißen Stabe, als aus einer Scheide, einen ähnlichen kleinern Stab, und reichte ihm denselben und sprach: »Zieh stromaufwärts bis dahin, wo er über die Felsen hoch herabstürzt. Dort wirf das Stäblein in den Sand, und folg' ihm nach; es führt dich.« Damit schied er nun, und mit ihm verlosch der helle Schein, so bisher ihre Wege erleuchtet hatte. Und Adelbert legte sich auf die Erde neben seinen Genossen. Da sank auch bald der Schlaf auf seine Augen hernieder.

Quelle:
Albert Ludewig Grimm: Lina’s Mährchenbuch 1–2. Band 2, Grimma 21837, S. 129-133.
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