II.

[168] Ein Schneider hatte drei Söhne, die wollt' er nach einander in die Welt schicken, da sollten sie was rechtschaffenes lernen, und damit sie nicht leer ausgingen, bekam jeder einen Pfannkuchen und einen Heller mit auf den Weg. Der ältste zog aus und kam zu einem kleinen Mann, der wohnte in einer Nußschale, war aber gewaltig reich. Er sprach zu dem Schneider: »wenn du meine Heerde an dem Berg weiden und hüten willst, sollst du ein gut Geschenk von mir haben; doch mußt du dich in Acht nehmen, vor einem Haus am Fuße des Bergs, da gehts lustig zu, man hört immer Musik und Tanzgeschrei, trittst du einmal hinein, so ists mit uns vorbei.« Der Schneider willigte ein, trieb die Heerde auf den Berg, hütete sie fleißig, blieb auch immer weit von dem Haus. Einmal aber, auf einen Sonntag, hört' er, wie gar lustig es darin war, dacht, einmal ist keinmal, ging hinein, tanzte, und war vergnügt. Als er aber wieder heraus kam, war es Nacht und die ganze Heerde fort, da ging er mit schwerem Herzen zu seinem Herrn und gestand ihm was er gethan. Der Herr in der Nußschale[168] war gewaltig bös, doch weil er so lang seinen Dienst ordentlich versehen und weil er auch seinen Fehler offenherzig gestanden, schenkte er ihm ein Tischgen deck dich. Der Schneider war damit von Herzen zufrieden und machte sich auf den Heimweg zu seinem Vater. Unterwegs kam er in ein Wirthshaus, da ließ er sich von dem Wirth eine besondere Stube geben, sagte, er brauche kein Essen und schloß sich ein. Der Wirth dachte, was mag der wunderliche Gast vorhaben, schlich sich hinauf, und guckte durch das Schlüsselloch, da sah er wie der Fremde einen kleinen Tisch vor sich setzte, »Tischgen deck dich!« sprach und alsbald das beste Essen und Trinken vor sich stehen hatte. Der Wirth meinte, das Tischen wär noch besser für ihn selber, und in der Nacht, als der Fremde fest schlief, holt' er es heraus, und stellte ein anderes dahin, das ebenso aussah. Am Morgen zog der Schneider fort und merkte nichts von dem Betrug. Als er heim kam erzählte er seinem Vater sein Glück, der war froh, und wollte gleich das Wunder probiren, allein alles Sprechen, »Tischgen deck dich« war umsonst, es blieb leer, und der junge Schneider sah nun, daß er bestolen war.

Da bekam der zweite Sohn seinen Pfannkuchen und Heller, sollt in die Welt gehn und es besser machen. Er kam auch zu dem Herrn[169] in der Nußschale, diente ihm lange Zeit treulich, zuletzt aber ließ er sich auch verleiten, ging in das Haus, machte sich lustig, tanzte und verlor die Heerde. Da mußte er seinen Abschied nehmen, der Herr aber schenkte ihm einen Esel, wenn er zu dem sprach: »rüttel und schüttel dich, wirf Gold hinter dich und vor dich« da regnete es Gold von allen Seiten. Der Schneider ging vergnügt nach Haus, im Wirthshaus aber vertauschte ihm der Wirth den Esel mit einem gemeinen und wie er nach Haus kam und seinen Vater reicher machen wollte, wars vorbei und er um sein Glück gebracht.

Endlich ward der dritte Sohn mit der Ausstattung in die Welt geschickt und der versprachs besser zu machen. Er diente dem Herrn in der Nußschale getreulich, und damit er nicht in das gefährliche Haus gerathe, verstopfte er sich die Ohren mit Baumwolle und als das Jahr herum war, überlieferte er ihm die ganze Heerde, und kein Stück fehlte. Da sagte der Heer: »ich muß dich besonders belohnen, da hast du einen Ranzen darin steckt ein Knüppel, und sobald du sprichst: Knüppel aus dem Ranzen, so springt er heraus und weht die Leute durch und durch.« Der Schneider machte sich damit auf den Heimweg und kehrte bei dem Wirth ein, der seinen beiden Brüdern ihre Geschenke abgenommen.[170] Er warf seinen Ranzen auf den Tisch und erzählte von seinen Brüdern: »der eine hat ein Tischgen deck dich, der andere einen Goldesel mitgebracht, das ist alles recht gut, aber nichts gegen das, was ich da im Ranzen habe, das kann die ganze Welt nicht bezahlen.« Der Wirth ward neugierig und hoffte den Schatz auch noch zu kriegen. Als es Nacht ward, legte sich der Schneider auf die Streu und seinen Ranzen legte er unter den Kopf. Der Wirth blieb auf und wartete, bis er dacht der Schneider schlafe fest, da ging er herzu, holte einen andern Ranzen, und wollte dem Schneider seinen unter dem Kopf wegziehen. Der war aber wach geblieben, und als er die Hand des Wirths merkte, rief er: »Knüppel aus dem Ranzen!« Da sprang der Knüppel heraus, auf den Wirth und prügelte ihn so wichtig, daß er auf die Knie fiel und sehr um Gnade schrie. Der Schneider ließ aber den Knüppel nicht eher ruhen, bis der Dieb das Tischgen deck dich und den Goldesel heraus gab. Dann zog er mit den drei Wunderstücken heim und sie lebten von nun an in Reichthum und Glückseeligkeit, und der Vater sagte: »meinen Pfannkuchen und meinen Heller hab ich nicht umsonst ausgegeben!«

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Kinder- und Hausmärchen. 2 Bände, Band 1, Berlin 1812/15, S. 168-171.
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