Einiges aus dem Kinderglauben.

[57] 1) Wenn ein Brüderchen oder Schwesterchen geboren wird, und die Kinder fragen, woher es gekommen sey? so sagt man ihnen: aus dem Brunnen, da hole man sie heraus. Gewöhnlich ist aber an dem Ort ein gewisser Brunnen, auf den man verweist, und wenn sie hineingukken, sehen sie ihre eignen Köpfe unten im Wasser und glauben desto mehr daran.

Oder man sagt: ein Engel bringe sie, und der habe zugleich das Zuckerwerk mitgebracht, das ihnen bei der Kindtaufe oder vorher gegeben wird; gewöhnlich sind es bunte Zuckererbsen Oder: der Storch fische die Kinder im Wasser und bringe sie in seinem rothen Schnabel getragen, darum wird er angesungen:


Klapperstorch, Langbein,

bring meiner Mutter ein Kind heim,

leg es in Garten,

will es fein warten,

legs auf die Stiegen!

will es fein wiegen.


Oder auch niederdeutsch:


Ebeer, Langbeen

wenneer wult dn to Lande teen etc.


Der Name des Storchs Adebar, bedeutet vermuthlich Kindträger, von baren, tragen und andere erklären Oudevar durch: alter Vater. Unter[57] den Nürnberger Spielwaaren ist der Storch mit dem Wickelkind im Schnabel sehr häufig.

Bronner erzählt in s. Leben (Zürch. 1795. I, 23. 24.) »da fragte ich meinen Vater einst bei Tische: wo ist denn unser Brüderlein hergekommen?« die Hebamme saß auch dabei. Diese Frau da, sagte er, hat es aus dem Krautgarten hereingebracht, du kannst noch heute den hohlen Baum sehen, aus dem die kleinen Kinder immer herausschauen, die man denn abholen läßt, sobald man ihrer verlangt, u.s.w. Es war eine hohle Weide an einem Teich, Bronner schaute hinein und sah den Knaben im Wasser, sein Vater hieß ihn rufen: Buben, wo seid ihr? und er zweifelte nicht mehr. In einem Kinderlied:


»die andere geht ans Brünnchen

und finde ein goldnes Kindchen.«


2) Wenn man Papier verbrennt, giebt man Acht, wie die Funken auf dem schwarzen herumgeben und nach und nach verschwinden, besonders auf den allerletzten. Man sagt: das seyen die Leute die aus der Kirche gingen, und der letzte sey der Glöckner, (Küster der die Thüre zuschließe, Französ. que c'est l'abbesse, qui fait coucher les nonnains.)

3) Wenn die Kinder Abends vor Müdigkeit mit den Augen blinzen und gleichwohl noch gern wach blieben, aber nicht können, heißt es: das Sandmännchen kommt! Baierisch: Pechmännchen (Schmidt westerwald. Id. Schütze, im holstein. Id. 4. p. 34) meint es sey aus Sämännchen entstellt, wie Sandsaier, aus Saatsaier: »de Saatsaier kumt,« wenn einer schläfert, und still ist, wie im stillen Wetter gesät wird. Offenbar gezwungen. Nach der griech. Mythe sprengt der Schlaf Lethewasser in die Augen (wie dort Sand), und weht mit seinen Flügeln, bis man entschläft. Bei Zeus setzt er sich auf die höchste Tanne des Ida in das stachelvolle Gezweig.

4) Frisches Brod aus neuem Korn heißt Haasenbrod, und der Haase hat es im Wald gebakken. Wenn auf den Bergen Nebel liegt, so ist es der Rauch aus seiner Küche: »der Haas kocht.«[58]

5) Fällt Schnee, so sind es Federn aus dem großen Bett, das dem lieben Gott aufgegangen ist; oder Frau Holle macht ihr Bett. Hierzu gehört eine merkwürdige Stelle Herodots (Melpom. c. 7. und 31.) wonach bereits die alten Skythen den schneienden Himmel voller Federn glaubten.

Vom wehenden Schneien in großen Flocken: »Müller und Becker schlagen sich einander.« (I. Paulus Fixlein p. 91.) Der Schnee ist Mehl. Hier wird vielleicht eine Stelle Rumelands (alt Meistersgesangbuch CCCXXII.) klar:


swan so der sne gevallen ist, so hor ich das vil dicke

man sprichet: gib den wynden brot, er hat gesnyget!

swer syne guten wynde laz in hungernot verderben den sumer lang,

der mac des winters in dem sne vil lutzel mite ir (? in) erwerben, ir macht ist krank.


soll hier der fallende Schnee das Mehl bedeuten, woraus man den hungrigen Winden Brod backen solle? Daß die Winde hungrig, vielfressend sind, erhellt aus der nordischen Mythe, Vafthrudnismal 37; der Wind heißt Hräsvelgr, cadaverum lielluo (svelgia, schwelgen, svelta, hungern) oder vielmehr: er kommt aus den Adlerflügeln des Hräsvelgr. Er ist also ein Vogel und dies bestätigt der latein. Name aquilo, der nach Festus a vehementissimo volatu ad instar aquilae benannt wird, im Grund aber der Adler selbst ist, denn wie dieser der Vögel König, so ist aquilo der Winde König. Besondere Erläuterung gewährt aber, was Prätorius in s. Weltbeschreibung 1, 429 berichtet: »zu Bamberg in Franken zur Zeit eines starken Windes hat ein alt Weib ihren Mehlsack in die Hand gefaßt, und denselben aus dem Fenster in die freie Luft nebenst diesen Wörtern ausgeschüttet:


lege dich, lieber Wind,

bringe das deinem Kind!


sie wollte hiermit den Hunger des Windes stillen, da sie glaubte derselbige wüthe darum, wie ein fräßiger Löwe, oder ein grimmiger Wolf.«[59] In der Rockenphilosophie p. 265. »wenn der Wind sehr wehet, so kann man solchen stillen, wenn man einen Mehlsack ausstaubet und darzu spricht:


sieh da Wind,

koch ein Muß für dein Kind!«


Fischart, im 14. Capitel, von der Jugend des Gargantua führt folgendes an: die Wolken sind Wolle oder Blumendolder (wie man eine gewisse Art weißer Wolken Lämmerchen nennt), das Gewölk Spinnweb oder Schynhut (?), der Schnee Mehl (so der Mehlthau), die Schlosen Zuckererbsen, die Wasserblasen Laternen, (Rabelais IV. 5. läßt den Hagel aus einem Land Lanternois kommen), man schöpfe die Kinder aus dem Brunnen; es all noch eins vom Himmel: der Storch bringe roche Schuh mit; wann die Wolken fallen, konne man alle Lerchen sehen; wann den Kindern hungert: die Frösche murrten in ihrem Bauch (stomachus latrat). (Nach Schütze pflegt man auch zu sagen: Jung iß, sonst kommt der Hund und frißt dir deinen Magen weg.)[60]

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Kinder- und Hausmärchen. 2 Bände, Band 2, Berlin 1812/15.
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